Eine unmissverständliche Ansage
Die Band begeisterte – aber so richtig wollte der Funke nicht überspringen
Das zweite Hamburg-Konzert von Tocotronic in nur wenigen Monaten: Nach der im Sommer frenetisch gefeierten Stadtpark-Show war der Kampnagel-Auftritt am Mittwochabend sozusagen die Winteredition. Die aber war mitnichten frostig.
Während die Band sich im Stadtpark aufs Frühwerk fokussiert hatte, startete sie jetzt mit dem Titelsong des im Januar erschienenen Albums „Nie wieder Krieg“. Und mit einer unmissverständlichen Ansage: „Volle Solidarität mit den Opfern des völlig ungerechtfertigten
Kriegs des kleptokratischen Herrschers im Kreml.“Mit „Komm mit in meine freie Welt“und dem krachenden „Jugend ohne Gott gegen Faschismus“blieben sie auch erst einmal bei den neuen Songs. Das Tempo rausnehmend, schloss der erste Bogen rund um das neue Album mit dem zu Beginn der Pandemie veröffentlichen „Hoffnung“ab – von Sänger Dirk von Lowtzow augenzwinkernd als „Toco-Blues“angekündigt. Es folgte eine abwechslungsreiche und vom Publikum artig beklatschte Revue der gesamten Schaffenszeit. „Aber hier leben, nein danke“, „Ich hasse es hier“, „Electric Guitar“, der Kracher „Let There Be Rock“, das als „Offenbarung, Prophezeiung und Apokalypse“angekündigte „Ich habe Stimmen gehört“.
Der Sound war sehr dicht und hatte großen Punch, ein leichtes Streicheln der Drums durch Arne Zank wurde über die Anlage wuchtig in den Saal übertragen. Rick McPhail zauberte auf seiner Gitarre Klänge, hinter denen Unwissende teilweise Synthesizer vermuten würden. Überhaupt Rick McPhail: Welch eine klangliche Erweiterung des TocoSounds. Obwohl er schon seit 20 Jahren dazugehört, merkt man immer noch das kleine Extra, das er der Band gibt. Die lieferte ab, den Fans aber merkte man einen leichten Unwillen an, die enorme
Energie in Bewegung zu übersetzen. Ganz anders als beim Stadtpark-Konzert, bei dem es zwei Stunden lang Moshpits gab und das Bierholen per Crowdsurfing erfolgte. Lag’s an der Jahreszeit? War es die Erkenntnis, dass der Krieg und die bei uns spürbaren Folgen doch nicht so schnell enden? Oder fehlte der strikte Fokus auf die aus jetziger Sicht so unbeschwerten 90er Jahre, der im Stadtpark maximale Möglichkeiten zum Eskapismus bot?
Hängen bleibt: ein eher in Moll gehaltener Abend, trotz exzellent gelaunter und sehr gut spielender Band. Auch wenn ihre Hamburger Tage mehr als 20 Jahre her sind, bewies sie einmal mehr, dass sie für immer zum musikalischen Kanon dieser Stadt gehört. Let there be Rock.