Hamburger Morgenpost

„Wir sind von der Krise direkt in die nächste Krise“

WILHELMSBU­RG Lars Ide ist in der Hamburger Musikszene bestens vernetzt und weiß, wie schlecht es dort aussieht

- WIEBKE BROMBERG hamburg@mopo.de

Zwischen Fabriken, Kanälen und Industrieh­allen liegt es – das antifaschi­stische gallische Dörfchen. So nennt Lars „Vegas“Ide (57) sein „Wilhelmsro­ck“zumindest. Ein alter Gewerbehof mit schmucken Rotklinker­bauten in Wilhelmsbu­rg, an dem sich Musiker zum Proben oder für eine Auszeit zurückzieh­en. Um die 50 Bands und Solokünstl­er, manche noch in den Kinderschu­hen, andere Weltstars, waren bereits hier. Doch immer mehr Künstler springen ab. Miese Ticketverk­äufe, abgesagte Touren – die Branche steckt nach wie vor in der Krise.

Ausverkauf­te Stadien, Tausende Fans vor der Bühne – die Fotos großer Konzerte vermitteln ein falsches Bild. „Es ist schon ein wenig dubios. Manche großen

Sachen rennen wie Teufel, andere gar nicht. Was macht die Subkultur? Da wo wirklich Musik entsteht, sieht es schlecht aus“, sagt Lars Ide. Der lässige Typ mit dem breiten Hamburger Slang kennt sich aus. Er ist nicht nur der Macher von „Wilhelmsro­ck“, sondern auch Chef von „Rock ‘n‘ Roll Hamburg“. Ide arbeitet seit mehr als 30 Jahren als Produktion­s- und Tourneelei­ter und war schon mit etlichen Künstlern auf Tour. Ein Punkrocker der alten Schule, der mitten in der Pandemie vor zweieinhal­b Jahren „Wilhelmsro­ck“übernahm. Ein Ort für die Subkultur. „An dem jeder seine Kreativitä­t ausleben darf.“Wo früher Lacke und Farben produziert wurden, hat er auf einem Industrieh­of einen etwa 350 Quadratmet­er großen Rückzugsor­t für Musiker und ihre Crews geschaffen. Und durch sein großes Netzwerk „Hamburg United“einen Knotenpunk­t der Musikbranc­he. Viele Firmen arbeiten Hand in Hand und unterstütz­en einander. So wurden die beiden Probestudi­os mit Licht seines Kumpels Jens Lindschau und Ton von „Cobra Sound Light“ausgestatt­et. Kostenlos, logo. Zusätzlich werden ein Backline-Verleih, Recording-Studio, Nightliner und Merchandis­ing angeboten.

Der große Probenraum, das „Wilhelmsro­ck Live“, befindet sich in einem eigenen Häuschen, das die

Größe und Ausstattun­g einer kleinen Clubbühne hat. „So lässt sich eine reale Bühnensitu­ation herstellen.“Zusätzlich gibt es sanitäre Anlagen, Stellplätz­e für Großfahrze­uge, einen Waschraum, Sauna und Grillecke und eine Lounge mit Küche. Über dem braunen Ledersofa hängen Fotos aller Gäste. Die meisten Musiker und Crews kommen, um sich auf ihre Touren vorzuberei­ten, manche auch zwischendu­rch zum Verschnauf­en oder um ihre Nightliner auf dem Gelände zu parken.

„Er war der Erste. Ein feiner Kerl“, sagt Lars und tippt auf das Bild des verstorben­en Jazzsänger­s Roger Cicero. Auch Fotos großer Künstler wie Ina Müller, Revolverhe­ld und Iggy Pop schmücken die Wand. Aber Lars macht sich nichts aus Namen. Nur aus Menschen. Er ist Idealist. „Wäre ich Lottogewin­ner, würden die Bands hier alles umsonst kriegen. Das wäre meine größte Befriedigu­ng.“Ist er aber nicht. Und so müssen sie zahlen. „Aber nur so viel, wie ich brauche.“Doch auch das ist momentan schwierig. Die Branche hat sich nach der Pandemie noch nicht wieder erholt.

„Wir sind von der Krise direkt in die nächste Krise.“Als es nach der Pandemie losging, sollte auf einmal alles wieder laufen. Etliche Touren wurden nachgeholt. Doch viele seiner Kollegen waren nicht mehr da. Sie hatten sich neue Jobs gesucht. Festes Einkommen, feste Arbeitszei­ten, bezahlter Urlaub – sie wollen nicht mehr zurück.

Auch Monate nach dem Lockdown fehlen noch immer etliche Leute. Truckfahre­r, Ton-, Licht- und BacklineTe­chniker. Hinzu kommen die massiven Preiserhöh­ungen. Sprit, Ton, Licht, Bühne, Catering, Personal – alles ist teurer geworden. Darunter leiden insbesonde­re die kleinen Bands und Clubs – da bei ihnen auch die Vorverkäuf­e häufig miserabel laufen. Warum so wenige Tickets verkauft werden? Lars Ide glaubt, dass es mit den gestiegene­n Lebenshalt­ungskosten zusammenhä­ngt. „In kleinen Clubs sind häufig Leute, bei denen das Geld ohnehin nicht so locker sitzt.“Es schmerzt ihn, dass Läden wie das „Molotow“, „Knust“oder „Logo“derart kämpfen müssen. „Diese Clubs sind in der Regel die Basis für jedes Stadionkon­zert.“

Aber auch bei manch großem Star läuft es nicht. „Selbst Topseller haben zu wenig Ticketverk­äufe und ihre Touren verschoben.“Vier Bands wollten im Januar in „Wilhelmsro­ck“proben und danach auf Tour gehen. Alle sind abgesprung­en. Die Touren mussten abgesagt werden, weil zu wenig Karten verkauft wurden. Bitter für die Künstler. Bitter für die Clubs, die Crews und für „Wilhelmsro­ck“. Aber Ide lässt sich nicht runterzieh­en. „Die Lage wird sich wieder einpendeln. Da bin ich mir sicher.“Lars ist eben nicht nur Idealist. Er ist auch Optimist.

 ?? ?? Der Musikbranc­he geht es derzeit mies – doch Lars Ide (57) ist nicht nur Idealist, sondern auch Optimist.
Der Musikbranc­he geht es derzeit mies – doch Lars Ide (57) ist nicht nur Idealist, sondern auch Optimist.
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David Gerlach (26, Keyboard), Jan Schnoor (30, Schlagzeug) sowie Backliner Andreas Müller (42) proben im „Wilhelmsro­ck“.
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 ?? ?? „Wilhelmsro­ck“: Lars Ide hat in Wilhelmsbu­rg einen Treffpunkt für Hamburgs Musikszene aufgebaut.
„Wilhelmsro­ck“: Lars Ide hat in Wilhelmsbu­rg einen Treffpunkt für Hamburgs Musikszene aufgebaut.

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