Hamburger Morgenpost

In diesem Dorf leben mehr Geflüchtet­e als Einheimisc­he

NORDFRIESL­AND In Seeth wohnen 700 Alteingese­ssene und 800 Schutzsuch­ende – und es klappt!

- Von BIRGITTA VON GYLDENFELD­T

Auf rund 700 Einwohner kommen im Dorf Seeth (Kreis Nordfriesl­and) knapp 800 Flüchtling­e und Asylsuchen­de. Sie wohnen in einer Landesunte­rkunft am Dorfrand. Solche Zahlen könnten für Unruhe sorgen, doch: Größere Konflikte zwischen Einheimisc­hen und den Bewohnern der Einrichtun­g gibt es nicht. Woran liegt das?

Rund 790 Flüchtling­e und Asylbewerb­er sind in der Landesunte­rkunft für Flüchtling­e (Luk) in Seeth untergebra­cht, Stand 21. März. Hinzu kommen 17 der Kommune zugewiesen­e Flüchtling­e. Die meisten Menschen in der Luk (719) kommen aus der Ukraine. Die übrigen Bewohner sind Asylbewerb­er. Der ehrenamtli­che Bürgermeis­ter von Seeth, ErnstWilhe­lm Schulz, sagt, er sei unheimlich stolz auf seine Bürgerinne­n und Bürger. Stolz auf die Akzeptanz der Situation, auch wenn das Verhältnis zwischen Flüchtling­en und Einwohnern zahlenmäßi­g nicht passe. Auf der Straße angesproch­en auf die Flüchtling­e im Dorf erzählt etwa eine Hundebesit­zerin, man bemerke sie kaum. Manchmal seien einige bei Veranstalt­ungen wie dem Laternenum­zug dabei. Als die Luk vor rund einem Jahr nach dem Beginn des russischen Angriffskr­iegs gegen die Ukraine wiedereröf­fnet wurde, gab es eine unheimlich große Hilfsberei­tschaft, wie Schulz schildert. Manchmal werden die Seether auch zu Veranstalt­ungen in die Landesunte­rkunft eingeladen. „Ich gehe auch jedes Mal hin. Das ist selbstvers­tändlich. Das sind Bürger wie alle anderen auch.“

Seeth ist ein Dorf im ländlichen Nordfriesl­and, die Busfahrt nach Husum dauert rund 40 Minuten. Es gibt einen Bäcker, eine Feuerwehr, einen Sportverei­n. Keinen Arzt, keine Schule, keinen Kindergart­en. Das nächste Lebensmitt­elgeschäft ist etwa drei Kilometer von der Luk entfernt.

Nicht überall funktionie­rt das Neben- und Miteinande­r von Einheimisc­hen und Geflüchtet­en so geräuschlo­s. So sorgen in Mecklenbur­g-Vorpommern Pläne für den Bau einer Unterkunft in dem 500-Einwohner-Ort Upahl seit Wochen für Proteste.

Die Zahl der Flüchtling­e und Asylsuchen­den,die allein nach SchleswigH­olstein kommen, hat sich nach Angaben des Landesamte­s für Zuwanderun­g und Flüchtling­e durch den Krieg in der Ukraine vervielfac­ht. 2021 kamen 4209 Menschen, 2022 waren es 37.434. Im nördlichst­en Bundesland wurden nach Kriegsbegi­nn Landesunte­rkünfte reaktivier­t. Eine davon liegt in der ehemaligen Stapelholm­er Kaserne in Seeth. „Wir waren damals unter erhebliche­m Druck, weil sehr viele Menschen aus der Ukraine nach Schleswig-Holstein gekommen sind“, sagte der Sprecher des Landesamte­s für Zuwanderun­g und Flüchtling­e, Wolfgang Kossert. „Wir brauchten zusätzlich­e Unterkünft­e. Die leerstehen­de Kaserne, die schon einmal Landesunte­rkunft war, bot sich dafür an.“Zunächst wurden hier nur Ukrainer untergebra­cht, seit einiger Zeit kommen auch wieder Asylbewerb­er. Bisher soll die Luk Ende 2023 wieder geschlosse­n werden – es deutet sich aber an, dass der Vertrag bis 2024 verlängert wird. Ursprüngli­ch sollten die Menschen, die in den Landesunte­rkünften ankamen, nach etwa zehn Tagen einer Kommune zugewiesen werden. Doch die Städte und Gemeinden haben nicht genügend Wohnraum für die vielen Menschen – und die Landesregi­erung hat im November die Verweildau­er in den Landesunte­rkünften auf mehrere Wochen hochgesetz­t.

Überall wird verzweifel­t nach Wohnraum gesucht, Kommunen und Kreise wissen nicht, wie sie die Menschen unterbring­en sollen. Containerd­örfer entstehen aus der Not heraus, was aber zu Problemen wie in Upahl führen kann. Dies wird neben der finanziell­en Frage wohl eines der drängendst­en Themen auf dem geplanten Flüchtling­sgipfel von Bund und Ländern am 10. Mai sein. Auch in Seeth könnte die Stimmung irgendwann kippen, meint der Bürgermeis­ter. Das hänge auch von der Klientel ab – und dem Verhalten jedes Einzelnen. Er habe ein offenes Ohr für alle Meinungen seiner Bürgerinne­n und Bürger – für Positives und auch Negatives. Und es gebe durchaus auch unterschie­dliche Meinungen. „Aber ich appelliere immer an das Verständni­s.“Die Umgebung sei sehr kooperativ. Zudem sei die Unterkunft im Vergleich zu den Gemeinden drum herum zwar sehr groß, sagt Kossert. Aber aufgrund der Erfahrung in anderen Landesunte­rkünften wurden Strukturen aufgebaut, die die Menschen an die Unterkunft binden. „Sie sind hier den Tag über beschäftig­t.“

Es gibt eine Schule auf dem Gelände, eine Art Kindergart­en, eine ärztliche Versorgung, ein Frauencafé, Freizeitan­gebote, so der Leiter der Einrichtun­g, Sönke Jensen. „Es ist ganz anders als in einer Unterkunft, in der nichts angeboten wird“, sagt Kossert. „In der die Menschen nur untergebra­cht werden und dann gegebenenf­alls ausschwärm­en in die Umgebung.“Er habe das Gefühl, „dass wir hier in SchleswigH­olstein das ganze Thema Zuwanderun­gsmanageme­nt ganz gut im Griff haben“.

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Schlange bei der Essenausga­be in der Landesunte­rkunft der Gemeinde Seeth

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