Ex-Lehrer reden Klartext: Darum haben wir gekündigt!
Zu viele Schüler, zu wenig Wertschätzung und zahlreiche Zusatzaufgaben sorgen für Stress
Gutes Gehalt, lange Ferien – und nachmittags frei: Diese Klischees prägen oft das gesellschaftliche Bild von Lehrern. Doch die Realität ist wesentlich komplexer und es gibt ein großes Problem: eine starke Überlastung, die krank macht und eine gute Betreuung der Schüler unmöglich. Die MOPO hat mit zwei ehemaligen Lehrern gesprochen,
die die Reißleine gezogen haben.
Thilo Schmidt (Name geändert) zog sofort nach dem Referendariat an einem Hamburger Gymnasium die Reißleine. Extremer Leistungsdruck, aber kaum Unterstützung – Schmidt areitete Feierabene und Wochenenen durch, fand ich im Strudel von rüfungen, Unterichtsvorbereitung, orrekturen, Facheminaren und aner en Aufgaben. nd Wertschätzung ab es außerhalb des lassenzimmers nur elten.
„Der Versuch, alen Vorgaben gerecht u werden, dauerhafer Prüfungsdruck nd fehlende Fürsorepflicht vom Dienstherrn führt bei Berufseinsteigern zu chronischer Überlastung und beruflicher Desorientierung“, sagt der 32-Jährige zur MOPO. Seinen Ausstieg bereut er nicht. Regelmäßige Arbeitslosigkeit in den Sommerferien nach Lehraufträgen und Sorge um die eigene Gesundheit – für Schmidt ist die öffentliche Schule kein attraktiver Arbeitgeber. Und er ist nicht der Einzige: Bundesweit steigt sogar fast die Hälfte der angehenden Lehrer bis zum fertigen Referendariat aus. Sogar verbeamtete Lehrer kündigen. Wegen einer extremen Arbeitsbelastung als Dauerzustand, die durch den Fachkräftemangel noch verschärft wird, und eines pädagogischen Konflikts, weiß Ex-Lehrerin Isabell Probst, denn sie berät deutschlandweit Lehrer, die rauswollen. „Eine Sonderpädagogin aus Hamburg nannte es eine pädagogische Triage“, so Probst. „Aufgrund der Überfrachtung mit verschiedenen Aufgaben müsse man ständig entscheiden, welchen Schülern man hilft und welchen nicht.“Auch Hamburger sind unter Probsts Klienten – aus allen Schulformen, besonders oft aber Sonderpädagogen, die etwa an Stadtteilschulen arbeiten.
Wie groß das Problem ist, ist schwer zu fassen. Schulen
machen in Hamburg zwar Analysen für den Gesundheitsschutz und es gibt eine Beratungsstelle für Krisen. Doch systematisch erfasste Zahlen zur psychischen Belastung fehlen. Nur eine Minderheit kündigt, die Gründe werden nicht erfasst. Der Krankenstand lag im vergangenen Schuljahr bei 8,4 Prozent. Ein bis zwei Prozent fielen in den letzten Jahren länger als sechs Wochen aus – zu den Ursachen kann die Schulbehörde aber keine Auskunft geben. Auffällig: In Hamburg arbeiten im Bundesvergleich genau wie in Bremen über die
Hälfte der Lehrer in Teilzeit, was Gewerkschafter als Zeichen für Überlastung sehen. Und seit Jahren gibt es Kritik am Arbeitszeitmodell. Seit 2003 werden in Hamburg Aufgaben neben dem Unterricht und (Korrektur-) Aufwand angerechnet. Doch die Aufwand-Berechnung nach Fach oder Schulform sei willkürlich, so die Kritik, und neue Aufgaben wie Inklusion oder Ganztag würden nicht berücksichtigt. „Klassenleitungen oder Rollen wie Beratungslehrer, Stufenkoordinatoren oder Schul-IT werden trotz erheblichem zeitlichem Aufwand und zusätzlicher Qualifizierung oft mit nur einer Wochenstunde berücksichtigt“, sagt auch Schmidt. „Sich um die Kinder kümmern“führe zu Überstunden, die weder dokumentiert noch abgebaut würden. In den Ferien würde hauptsächlich Liegengebliebenes wie Korrekturen aufgeholt. Susanne Müller (Name geändert) kündigte ihre Stelle als verbeamtete Lehrerin nach 20 Jahren. Zuletzt arbeitete sie an einer Hamburger Berufsschule. Außer viel zu vielen Schülern brachte zu wenig Selbstbestimmung das Fass zum Überlaufen, erzählt sie der MOPO. Aufgaben wurden ihr einfach zugeteilt. Und ständig hörte sie ein Wort: Nein. „Wenn ich einen Vorschlag machte, wurde gesagt, dass wir das nicht leisten könnten“, erzählt sie. „Schule kommt mir vor wie ein riesiges Containerschiff auf der Elbe. Es ist schwer beladen mit einer wertvollen Fracht – aber bewegt sich in einem unheimlich langsamen Tempo.“
In der Öffentlichkeit stoßen ausgebrannte Lehrer wegen der Beamten-Vorteile oft auf wenig Verständnis. Auch Probst weiß um das Vorurteil der „gut bezahlten Heulsusen“. „Viele Lehrer haben aber ein enormes Arbeitsethos“, sagt sie. „Nur so halten sie das System am Laufen.“Doch es stiegen eben nicht die Klischee-Lehrer aus, die nur Dienst nach Vorschrift machen, „sondern die entflammten Pädagogen, die nicht so arbeiten können, wie sie es für richtig halten. Und gerade sie zu verlieren, tut weh.“
Aufgrund der Überfrachtung müsse man ständig entscheiden, welchen Schülern man hilft und welchen nicht. Isabell Probst