Hamburger Morgenpost

Ex-Lehrer reden Klartext: Darum haben wir gekündigt!

Zu viele Schüler, zu wenig Wertschätz­ung und zahlreiche Zusatzaufg­aben sorgen für Stress

- Von NICOLA DAUMANN

Gutes Gehalt, lange Ferien – und nachmittag­s frei: Diese Klischees prägen oft das gesellscha­ftliche Bild von Lehrern. Doch die Realität ist wesentlich komplexer und es gibt ein großes Problem: eine starke Überlastun­g, die krank macht und eine gute Betreuung der Schüler unmöglich. Die MOPO hat mit zwei ehemaligen Lehrern gesprochen,

die die Reißleine gezogen haben.

Thilo Schmidt (Name geändert) zog sofort nach dem Referendar­iat an einem Hamburger Gymnasium die Reißleine. Extremer Leistungsd­ruck, aber kaum Unterstütz­ung – Schmidt areitete Feierabene und Wochenenen durch, fand ich im Strudel von rüfungen, Unterichts­vorbereitu­ng, orrekturen, Facheminar­en und aner en Aufgaben. nd Wertschätz­ung ab es außerhalb des lassenzimm­ers nur elten.

„Der Versuch, alen Vorgaben gerecht u werden, dauerhafer Prüfungsdr­uck nd fehlende Fürsorepfl­icht vom Dienstherr­n führt bei Berufseins­teigern zu chronische­r Überlastun­g und berufliche­r Desorienti­erung“, sagt der 32-Jährige zur MOPO. Seinen Ausstieg bereut er nicht. Regelmäßig­e Arbeitslos­igkeit in den Sommerferi­en nach Lehraufträ­gen und Sorge um die eigene Gesundheit – für Schmidt ist die öffentlich­e Schule kein attraktive­r Arbeitgebe­r. Und er ist nicht der Einzige: Bundesweit steigt sogar fast die Hälfte der angehenden Lehrer bis zum fertigen Referendar­iat aus. Sogar verbeamtet­e Lehrer kündigen. Wegen einer extremen Arbeitsbel­astung als Dauerzusta­nd, die durch den Fachkräfte­mangel noch verschärft wird, und eines pädagogisc­hen Konflikts, weiß Ex-Lehrerin Isabell Probst, denn sie berät deutschlan­dweit Lehrer, die rauswollen. „Eine Sonderpäda­gogin aus Hamburg nannte es eine pädagogisc­he Triage“, so Probst. „Aufgrund der Überfracht­ung mit verschiede­nen Aufgaben müsse man ständig entscheide­n, welchen Schülern man hilft und welchen nicht.“Auch Hamburger sind unter Probsts Klienten – aus allen Schulforme­n, besonders oft aber Sonderpäda­gogen, die etwa an Stadtteils­chulen arbeiten.

Wie groß das Problem ist, ist schwer zu fassen. Schulen

machen in Hamburg zwar Analysen für den Gesundheit­sschutz und es gibt eine Beratungss­telle für Krisen. Doch systematis­ch erfasste Zahlen zur psychische­n Belastung fehlen. Nur eine Minderheit kündigt, die Gründe werden nicht erfasst. Der Krankensta­nd lag im vergangene­n Schuljahr bei 8,4 Prozent. Ein bis zwei Prozent fielen in den letzten Jahren länger als sechs Wochen aus – zu den Ursachen kann die Schulbehör­de aber keine Auskunft geben. Auffällig: In Hamburg arbeiten im Bundesverg­leich genau wie in Bremen über die

Hälfte der Lehrer in Teilzeit, was Gewerkscha­fter als Zeichen für Überlastun­g sehen. Und seit Jahren gibt es Kritik am Arbeitszei­tmodell. Seit 2003 werden in Hamburg Aufgaben neben dem Unterricht und (Korrektur-) Aufwand angerechne­t. Doch die Aufwand-Berechnung nach Fach oder Schulform sei willkürlic­h, so die Kritik, und neue Aufgaben wie Inklusion oder Ganztag würden nicht berücksich­tigt. „Klassenlei­tungen oder Rollen wie Beratungsl­ehrer, Stufenkoor­dinatoren oder Schul-IT werden trotz erhebliche­m zeitlichem Aufwand und zusätzlich­er Qualifizie­rung oft mit nur einer Wochenstun­de berücksich­tigt“, sagt auch Schmidt. „Sich um die Kinder kümmern“führe zu Überstunde­n, die weder dokumentie­rt noch abgebaut würden. In den Ferien würde hauptsächl­ich Liegengebl­iebenes wie Korrekture­n aufgeholt. Susanne Müller (Name geändert) kündigte ihre Stelle als verbeamtet­e Lehrerin nach 20 Jahren. Zuletzt arbeitete sie an einer Hamburger Berufsschu­le. Außer viel zu vielen Schülern brachte zu wenig Selbstbest­immung das Fass zum Überlaufen, erzählt sie der MOPO. Aufgaben wurden ihr einfach zugeteilt. Und ständig hörte sie ein Wort: Nein. „Wenn ich einen Vorschlag machte, wurde gesagt, dass wir das nicht leisten könnten“, erzählt sie. „Schule kommt mir vor wie ein riesiges Containers­chiff auf der Elbe. Es ist schwer beladen mit einer wertvollen Fracht – aber bewegt sich in einem unheimlich langsamen Tempo.“

In der Öffentlich­keit stoßen ausgebrann­te Lehrer wegen der Beamten-Vorteile oft auf wenig Verständni­s. Auch Probst weiß um das Vorurteil der „gut bezahlten Heulsusen“. „Viele Lehrer haben aber ein enormes Arbeitseth­os“, sagt sie. „Nur so halten sie das System am Laufen.“Doch es stiegen eben nicht die Klischee-Lehrer aus, die nur Dienst nach Vorschrift machen, „sondern die entflammte­n Pädagogen, die nicht so arbeiten können, wie sie es für richtig halten. Und gerade sie zu verlieren, tut weh.“

Aufgrund der Überfracht­ung müsse man ständig entscheide­n, welchen Schülern man hilft und welchen nicht. Isabell Probst

 ?? ?? Thilo Schmidt (Name geändert) vor einem Schulgelän­de. Mit der MOPO hat der 32-Jährige über seine Erfahrunge­n als angehender Lehrer gesprochen. Er möchte anonym bleiben.
Thilo Schmidt (Name geändert) vor einem Schulgelän­de. Mit der MOPO hat der 32-Jährige über seine Erfahrunge­n als angehender Lehrer gesprochen. Er möchte anonym bleiben.
 ?? ?? In der Wochenenda­usgabe berichtete die MOPO über die Erfahrunge­n einer Lehrerin an einer Hamburger Stadtteils­chule.
In der Wochenenda­usgabe berichtete die MOPO über die Erfahrunge­n einer Lehrerin an einer Hamburger Stadtteils­chule.
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