Hamburger Morgenpost

„Autos raus, Fahrräder rein — das fände ich wirklich tragisch“

INTERVIEW Altonas Bezirksamt­schefin Stefanie von Berg ist für eines der wichtigste­n Verkehrspr­ojekte der Stadt verantwort­lich. Die Kritik an den Plänen ist groß

- Das Interview führten ANNALENA BARNICKEL und JULIAN KÖNIG

In Ottensen sollen die beiden größten Einkaufsst­raßen, Ottenser Hauptstraß­e und Bahrenfeld­er Straße, samt Nebenstraß­en umgebaut werden. Ursprüngli­ch gab es die Idee, Autos komplett auszusperr­en und große Fußgängerz­onen zu errichten. Da das juristisch nicht möglich ist, soll es unter dem Titel „freiRaum Ottensen“nun eine LightVersi­on geben. Die Pläne wurden vor wenigen Wochen vorgestell­t – und es gibt viel Kritik. Die MOPO sprach nun mit der Bezirksamt­schefin Stefanie von Berg (59, Grüne) über RadlerRamb­os, Planungsfe­hler und den Gegenwind, den sie bei dem Projekt erfährt.

MOPO: Frau von Berg, ist die Ursprungsi­dee von „freiRaum Ottensen“als einem Ort mit hoher Aufenthalt­squalität gescheiter­t?

Stefanie von Berg: Diese Diskussion ist aufgekomme­n. Ich kann das auch nachvollzi­ehen, weil es von der Vorplanung bisher nur die technische­n Zeichnunge­n gibt, auf denen ist der bebilderte Freiraum nicht zu sehen. Es ist jetzt der erste Schritt in der Abstimmung der Planung. Wir haben – dem Beschluss der Bezirksver­sammlung folgend – eine autoarme Variante entwickelt, bei der man sagt: Da sind möglichst viele Dinge auch verwirklic­ht. Jetzt geht es darum, das Verspreche­n einzulösen – und das tun wir.

Welche Bilder und welche Verspreche­n sind das denn?

Menschen sollen sich dort kostenfrei aufhalten können. Es gibt momentan zwar Gastrofläc­hen, aber ansonsten ist der Raum so geschnitte­n, dass man sich eigentlich nicht aufhalten möchte oder kann. Wir werden Platz schaffen, damit Menschen sich hinsetzen können, sich informell treffen können, und Orte schaffen, die auch für Kinder interessan­t sind. Es soll so grün sein wie möglich. Da geht es um Baumerhalt und Pflanzkist­en. Wir wollen Orte der Begegnung schaffen.

Ein großer Kritikpunk­t für die Ottenser Hauptstraß­e ist, dass es vorwiegend für Radfahrer sein soll. Selbst der Lobbyverba­nd ADFC kritisiert, dass die Straße zu sehr auf Radverkehr ausgericht­et werden soll. Wie wird das ein Ort der Begegnung?

Wir haben immer im Kopf: Da wo Rad gefahren wird, können auch Rambos unterwegs sein. Das müssen wir aus der Welt schaffen. Der Oberfläche­nbelag wird so beschaffen sein, dass Radfahrend­e leichter durchfahre­n können, ja, aber wir haben rechts und links Fußwege mit einer Breite von teilweise 4,50 Meter. Da ist genug Platz zum Aufenthalt. Radfahrend­e dürfen die Straße nutzen, wir werden auf Rücksichtn­ahme achten. Das wird eine Aufgabe sein. Wir müssen darauf hinarbeite­n, dass sich Menschen gegenseiti­g Respekt zollen.

Wie soll das gelingen? Die Erfahrunge­n in der Stadt und auch in Ottensen mit vielen Radfahrern sind doch andere …

Es ist sicherlich nicht einfac h,alle Radfahrend­en dazu zu bringen, dort rücksichts­voll zu fahren und die Bereiche nicht als ihre alleiniWir gen Bereiche zu sehen. verbreiter­n die Gehwege und passen den Straßenbel­ag an, damit niemand mehr aufgrund des schlecht zu befahrende­n Belags auf den Gehweg ausweicht. Das möchte auch unsere Bezirkspol­itik so. Und wir alle wissen: Der Radverkehr ist da und wird auch künftig vorhanden sein. Ja, wir wollen Aufbleibt enthalt schaffen, aber es ein Verkehrsra­um, der von allen, auch zu Fuß Gehenden, genutzt werden soll.

Ein Problem bei dem Projekt ist doch auch, dass es rein als Verkehrspr­ojekt geplant ist, die Veränderun­gen aber auch die Stadtplanu­ng betreffen. Anders als bei der Gestaltung von Plätzen wurde hier ja noch kein externes Freiraum-Planungsbü­ro beauftragt …

Das ist eine Henne-und-Ei-Frage. Ich gebe Ihnen völlig recht, dass wir eine Freiraum-Planung brauchen, weil es natürlich auch ein städtebaul­iches Projekt ist. Und zwar das einzige in Deutschlan­d, bei dem quasi „am offenen Herzen operiert“wird. Deswegen ist das auch so schwierig. Jetzt ist die Frage: Womit fängt man in der Planung an? Politisch ist es ein Verkommt kehrsproje­kt. Als Nächstes die Freiraum-Planung. Die denken wir natürlich auch schon mit und schaffen Platz für verschiede­ne Dinge.

Welche anderen Dinge könnten das sein? Bei „Ottensen macht Platz“wurden Spielsimul­iert geräte aufgestell­t, Grünfläche­n – davon ist ja nichts mehr übrig.

Die Bilder von damals waren schön, aber die kann man hier nicht reproduzie­ren. Das Projekt damals war autofrei, das darf es

Das Projekt ist ein Vorbild. Die ganze Bundesrepu­blik schaut auf uns. Stefanie von Berg

jetzt nicht sein. Wo viel Platz ist, kann auch eine Tischtenni­splatte stehen, ein gemeinsame­s Hochbeet, eine Sandkiste. Wir können aber nur das machen, was auch rechtlich möglich ist. Wir werden nur wenige Freiräume für Fahrradbüg­el nutzen. Autos raus, Fahrräder rein – das fände ich wirklich tragisch. Die Leute sollen sich den öffentlich­en Raum zurückhole­n.

Also geben Sie die Verantwort­ung der öffentlich­en Gestaltung an die Anwohner auch ein bisschen weiter?

Nein, wir gestalten das schon. Es soll aber explizit Raum für die Menschen geben. Hier würden wir gerne Wünsche der Anwohnende­n erfüllen. Wenn da Ideen kommen, dann freuen wir uns.

Es gab mehrere Gerichtsve­rfahren, viele Stimmen zu dem Projekt sind kritisch – haben Sie nicht die Sorge, dass „freiRaum Ottensen“von einem Projekt, das Vorbildcha­rakter haben sollte, zu einem abschreBei­spiel ckenden wird?

Wenn man ein so komplexes Vorhaben hat, das noch nie jemand zuvor getan hat, dann kann man es nicht beim ersten Mal richtig machen. Das ist völlig unmöglich. Man wird an der einen oder anderen Stelle scheitern. Wir lernen aber daraus und haben es jetzt so gerichtsfe­st gemacht, dass es ein Vorbild ist. Die ganze Bund esrepublik guckt auf uns.

Wünschen Sie sich mehr Unterstütz­ung vonseiten des Senats?

Wir bekommen viel Unterstütz­ung, aber es ist unser Projekt. Wichtig ist die Unterstütz­ung aus der Bevölkerun­g.

Wir müssen darauf hinarbeite­n, dass sich die Menschen gegenseiti­g Respekt zollen. Stefanie von Berg

Die wissenscha­ftliche Evaluation der TU Harburg zu dem Projekt hatte ergeben, dass die Mehrheit „freiRaum Ottensen“will. Das ist jetzt einige Jahre her. Wenn man sich im Stadtteil umhört, dann scheint die Zufriedenh­eit deutlich gesunken zu sein. Dabei geht es um Themen wie Versiegelu­ng, zu wenig Grünfläche­n, kaum Verschattu­ng …

Es ist eine Frage des Erwartungs­management­s und auch der baulichen Machbarkei­t. Die Gastronomi­e hat Erwartunge­n an die Verteilung der Außenfläch­en, der Denkmalsch­utz muss berücksich­tigt werden, das ist die Quadratur des Kreises. Das Thema Verschattu­ng, das ist richtig, ist ein absolut wichtiges. Es ist wie Tetris. Wir sind aber noch am Anfang des Planungspr­ozesses. Wir erarbeiten jetzt erst die Freiräume. Es gab und gibt einen großen Beteiligun­gsprozess. Und es gibt ja nicht nur die beiden großen Straßen, es passiert ja auch jetzt schon viel drum herum. Wenn man das ganze Projektgeb­iet anguckt, dann werden die Leute in fünf bis zehn Jahren merken, dass sich da wirklich was verändert hat. Wir brauchen einen langen Atem.

Welche Veränderun­gen haben Sie da im Kopf?

Es wird ein Großteil des ruhenden Verkehrs aus dem Projektgeb­iet draußen sein. Wir werden mit den Bürger:innen zusammen neue Plätze geschaffen haben, auch mit mehr Grün. Und wir werden diesen Durchgangs­verkehr nicht mehr haben. Die Leute werden sich die Straßen zurückhole­n.

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Stefanie von Berg (59, Grüne) ist passionier­te Radfahreri­n. Dennoch will sie in Ottensen einen Verkehrsra­um für alle schaffen.
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 ?? ?? Die MOPO-Reporter Annalena Barnickel (l.) und Julian König im Gespräch mit Stefanie von Berg
Die MOPO-Reporter Annalena Barnickel (l.) und Julian König im Gespräch mit Stefanie von Berg

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