„Das Regime Putin hat ihn auf dem Gewissen“
TRAUER UND ENTSETZEN Reaktionen auf den Tod des Kreml-Gegners
MÜNCHEN – Der Tod von Alexej Nawalny sorgt in der ganzen Welt für Bestürzung – und klare Worte in Richtung Putin. Eine Auswahl der Reaktionen.
Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine: „Putin ist völlig egal, wer umkommt. Hauptsache, er bewahrt seinen Posten. Und eben deswegen darf er nichts behalten. Putin muss verlieren, muss alles verlieren und sich für das Verbrochene verantworten.“Rishi Sunak, britischer Premierminister: „Das ist eine schreckliche Nachricht. Als schärfster Verfechter der russischen Demokratie hat Alexej Nawalny sein Leben lang unglaublichen Mut bewiesen.“
Christian Lindner (FDP), Finanzminister: „Alexej Nawalny hat für ein demokratisches Russland gekämpft. Putin hat ihn dafür zu Tode gequält. Das ist ein neuer, erschütternder Beleg für den verbrecherischen Charakter dieses Regimes. Alexej wird über seinen Tod hinaus allen weiter Hoffnung geben, die für ein anderes Russland kämpfen.“Kamala Harris, US-Vizepräsidentin: „Welche Geschichte sie auch immer erzählen werden, lassen Sie uns klar sagen: Russland ist verantwortlich.“
Karl Lauterbach (SPD), Gesundheitsminister: „Heute spricht man nicht mehr von Helden. Aber für mich war Nawalny ein Held. Durch seinen Widerstand hat er früh der Welt klargemacht, dass Putin ein rücksichtsloser Verbrecher im Amt ist.
Man hätte viel früher seiner Warnung folgen müssen.“Emmanuel Macron, französischer Präsident: „Im heutigen Russland werden freie Geister in den Gulag gesteckt und dort zum Tode verurteilt.“Annalena Baerbock (Grüne), Außenministerin: „Genauso brutal, wie der russische Präsident gegen seine eigenen Menschen in Russland, die für Freiheit einstehen, vorgeht, geht er auch seit zwei Jahren mit brutalstem Terror gegen die Menschen in der Ukraine, gegen ihre Freiheit, gegen ihre Sicherheit, gegen ihr Leben vor.“Jan Lipavsky, tschechischer Außenminister: „Er wurde gefangen gehalten und zu Tode gefoltert, weil er sich Putin entgegengestellt hat.“
Der Sitzungssaal ist voll, die Besuchertribüne ebenfalls: Jeder Zuschauerplatz im Rathaus Altona war besetzt, als am Donnerstag der Hauptausschuss tagte. Grund für den Andrang: Die Geschäftsleute der Waitzstraße machen gegen den Ausbau der Veloroute 1 mobil, fürchten, dass die Baustelle sie viel Umsatz kosten wird, weil die Kunden Umwege fahren müssen. Mit der Autoliebe ihrer Besucher ist die charmante Einkaufsstraße in Groß Flottbek bundesweit bekannt geworden, weil immer wieder betagte Fahrer in Schaufenstern landen. Nun zofft sich die Bezirkspolitik: Soll die lang geplante Maßnahme wegen der Beschwerden einer kleinen, aber lautstarken Interessengruppe verschoben werden?
Sven Hielscher, wortgewaltiger CDU-Fraktionschef im
Bezirk Altona, hat keine Scheu vor Polemik. Der radfreundliche Umbau der Reventlowstraße in Othmarschen, die an der Waitzstraße vorbeiführt, sei „eine Frage von Leben und Tod“. Gemeint sind freilich nicht die Radf a h r e r , sondern die Patienten, die wegen der Baustelle die Praxen an der Waitzstraße nicht mehr ohne Umweg erreichen. Applaus vom Publikum.
Es geht um eine Strecke von 700 Metern, die von April bis November 2024 teilweise gesperrt wird. Während der Bauzeit ist die Waitzstraße aus allen Himmelsrichtungen zu erreichen, sagt das Bezirksamt. Auch mit dem Auto. Aber darum geht es nicht: „Die Leute haben die Nase voll, diese Baustelle ist die eine zu viel“, sagt Hielscher. Bezirksamtschefin Stefanie von Berg (Grüne) weist darauf hin, dass die Radstrecke entlang der Reventlowstraße ein Senatsauftrag sei. Das wischt Hielscher vom Tisch: „Sind Sie Angestellte des Senats, Frau von Berg? Oder sind Sie für die Bürger von Altona da?“Jubel und Applaus: Viele Mitglieder der „Interessengemeinschaft Waitzstraße“sind anwesend.
Und Hielscher legt nach: Die Verwaltung müsse „doch mal hinhören“, wenn die Geschäftsleute sich beklagen, „und nicht nur, wenn es um kleine Schrauber in irgendeinem Ottenser Hinterhof geht!“Teile des Publikums klatschen sich die Hände wund – und jubeln auch, als der AfD-Abgeordnete Uwe Batenhorst gegen die „bürgerfeindliche Ideologie der Fahrradlobby“wettert. Vor wenigen Tagen im Verkehrsausschuss haben die Geschäftsleute einen Erfolg erreicht: Mit Stimmen von CDU, SPD, FDP und Linken wurde das Aussetzen der Baumaßnahme gefordert. Bemerkenswert: Was die SPD im Hamburger Rathaus befürwortet, lehnt die SPD im Altonaer Rathaus ab. Nur die Altonaer Grünen halten an der Maßnahme fest, schließlich sind die Planungen nach vielen Jahren endlich abgeschlossen. „Ihr wart doch alle dabei!“, ruft
die Grünen-Fraktionschefin Gesche Boehlich ihren Ausschusskollegen zu: „Und plötzlich wollt ihr nicht gewusst haben, dass es in der Gegend noch weitere Baustellen gibt?“
Wenn man den Umbau jetzt verschiebt, gebe es erst in sieben Jahren wieder ein Zeitfenster, sagt die Verwaltung. Tatsächlich ist der Westen geplagt: In Othmarschen stehen jahrelange Baustellen an, die Elbchaussee ist noch nicht vollständig erneuert, Fernwärme wird verlegt, der A7-Deckel nähert sich der
Auffahrt Othmarschen – da soll die Reventlowstraße vorher fertig sein. Bezirkschefin von Berg zeigt sich irritiert, dass der Verkehrsausschuss vergangene Woche plötzlich eine Vollbremsung hinlegte, obwohl die Velorouten-Pläne des Senats seit 2015 bekannt waren und den Politikern in unzähligen Drucksachen vorgestellt wurden. Normalerweise würden demokratisch getroffene Kompromisse in Altona durchgehalten, selbst wenn
„der Gegenwind
Orkanstärke“erreicht: „Umso mehr erstaunt mich, dass jetzt im Wahlkampf bereits laue Lüftchen ausreichen, um Teile unserer geschätzten Bezirkspolitik urplötzlich 180-Grad-Wenden vollziehen zu lassen.“Gut eine Million Euro Steuergelder habe die Planung bisher gekostet, das Geld wäre weg. Auch von Berg erntet Jubel und langes Klatschen: Die andere Hälfte des Publikums sind Radfahrer. Nach der Debatte gehen die Diskussionen vor dem Saal weiter. „Wir hatten schon wegen der FernwärmeBaustelle Einbußen“, sagt ein Geschäftsmann aus der Waitzstraße: „Noch eine Baustelle bricht uns das Genick.“Eine Radfahrerin merkt an: „Rumschreien kann jeder, aber man kann doch nicht davon ausgehen, dass nur Autofahrer Umsatz bringen. Selbst in Othmarschen nicht.“