Kiffen und Auto fahren: Der Streit um den Grenzwert
CANNABIS-LEGALISIERUNG Warum Politiker und Wissenschaftler sich so schwer damit tun
Wer am Abend mit Freunden kifft und am nächsten Tag ein Auto steuert, muss mit Konsequenzen rechnen – selbst wenn seine Fahrtüchtigkeit nicht mehr eingeschränkt ist, drohen in einer Polizeikontrolle Bußgeld und Führerschein-Verlust. Im Bundestag hat die Ampel-Koalition gestern die Teillegalisierung von Cannabis beschlossen. Eine bislang offene Frage: Welcher THC-Grenzwert wird in Zukunft bei einer Verkehrskontrolle gelten?
Wer mit zu viel Alkohol im Blut am Steuer erwischt wird, wird bestraft – genau wie der, bei dem Cannabis nachgewiesen wird. Die Regelung für Cannabis ist in Deutschland derzeit vergleichsweise streng. Während der Grenzwert in Portugal bei sechs Nanogramm pro Milliliter Blut liegt, in der Schweiz bei drei und in den Niederlanden – je nach Art der Messung – bei drei oder fünf, gilt in Deutschland der THC-Grenzwert von einem Nanogramm pro Milliliter Blut.
Bislang hat die Bundesregierung noch keinen THCGrenzwert
im neuen Gesetzesentwurf zur Cannabis-Legalisierung festgesetzt. Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) kündigte daher am vergangenen Dienstag bei der Vorstellung der Unfallbilanz an, dass sich die Hamburger Polizei bei den künftigen Verkehrskontrollen an der bisherigen Rechtssprechung orientieren werde. Dazu wird es jedoch wohl nicht kommen. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) lässt derzeit von einem Arbeitskreis von Experten prüfen, wie ein THC-Grenzwert für Cannabis am Steuer festgelegt werden könnte – ähnlich der 0,5-Promille-Grenze für Alkohol. Das Ergebnis soll bis Ende März vorliegen. Der derzeitige Wert von einem Nanogramm pro Milliliter Blut wurde 2002 von der sogenannten Grenzwertkommission (GWK) festgelegt, die aus Rechts- und Verkehrsmedizinern, Toxikologen, Forensikern und Vertretern vom Bundesstraßenamt und Bundesverkehrsministerium besteht. Doch der Grenzwert ist umstritten. 2022 relativierte die Kommission ihre Einschätzung: Es sei unmöglich, einen allgemeinen THCGrenzwert
mit wissenschaftlicher Begründung festzulegen.
Einige Experten der Kommission wie der Toxikologe Stefan Tönnes plädieren für eine Erhöhung des Grenzwertes auf 3,5 Nanogramm pro Milliliter Blut, auch drei Nanogramm wurden diskutiert, andere Kommissionsmitglieder sprachen sich gegen jede Erhöhung aus.
Beim Streit um einen vernünftigen Grenzwert stehen vor allem zwei Punkte im Fokus: Sicherheit und Wirkung von Cannabis. Die entscheidende Frage ist dabei auch, an wem man sich orientiert: dem Dauer- oder dem Gelegenheitskiffer? Denn es gibt bei der Wirkung von Tetrahydrocannabinol (THC) auf diese Gruppen große Unterschiede.
So sei ein gelegentlicher Konsument nach dem Kiffen für etwa sechs Stunden eingeschränkt leistungsfähig, sagt GWK-Mitglied Frank Mußhoff vom Forensischen Toxikologischen Zentrum München zum MDR. In diesem Zeitraum seien sie in etwa beim derzeitig aktuellen Grenzwert. Bei diesen Konsumenten seien selbst bei einer geringen
THC - Konzentration verkehrsrelevante
Auff älligkeiten nicht auszuschließen. Anders sei das bei gewohnheitsmäßigen Kiffern, da baue sich das THC im Blut langsamer ab. Sie könnten auch am nächsten Tag noch über dem Grenzwert liegen, obwohl sie längst wieder verkehrstauglich sind. Das zeigen auch aktuelle Studien. Chronische Cannabis-Konsumenten haben demnach einen Dauer-THC-Pegel im Blut, der sich auch nach einigen Tagen nur langsam abbaut, selbst wenn in dieser Zeit nicht gekifft wurde. Zudem vertragen sie deutlich mehr THC, die Beeinträchtigungen sind wesentlich geringer.
Mitglieder im Bundesverkehrsausschuss dringen auf eine THC-Grenzwerterhöhung. Es sei unverhältnismäßig, wenn jemand bei einer Verkehrskontrolle mit einem Nanogramm erwischt werde und ihm dann mindestens 500 Euro Bußgeld, ein Monat Fahrverbot, zwei Punkte in
Flensburg und oft auch eine medizinischpsychologische Untersuchung blühten. Das kritisieren auch der Verkehrsgerichtstag und der Deutsche Anwaltverein. Die Bundesanstalt für Straßenwesen verweist auf neuere Studien, die unter zwei Nanogramm kaum Fahrbeeinträchtigungen sehen und erst bei 3,8 Nanogramm ähnliche Einschränkungen wie bei 0,5 Promille Alkohol. Die Leiterin der Unfallforschung der Versicherer, Kirstin Zeidler, forderte ebenfalls einen klaren THC-Grenzwert für Fahrtüchtigkeit. Solange keine aussagekräftigen Forschungsergebnisse dazu vorlägen, sollte sich Deutschland an den Niederlanden orientieren. „Dort ist Cannabis schon länger legal, es gilt ein Grenzwert von drei Nanogramm THC je Milliliter Blutserum.“Soweit bekannt, sei die Fahrtüchtigkeit bei drei Nanogramm noch nicht eingeschränkt. „Für Fahranfänger in der Probezeit und bis 21 Jahre sollte wie bei Alkohol die Null-Toleranz-Grenze gelten.“