Hamburger Morgenpost

Ich brauche eine Handvoll Gummibärch­en, jetzt!

RATGEBER Wie ein gesunder Umgang mit der Gier nach Essen gelingen kann

- Von CHRISTINA BACHMANN

Heißhunger ist kein medizinisc­her Begriff, sondern ein umgangsspr­achlicher. Aber jeder weiß, was gemeint ist: eine Gier nach Essen, die sich nur schwer unterdrück­en lässt, oft nach etwas ganz Bestimmtem. Der Körper signalisie­rt: Ich brauche eine Handvoll Gummibärch­en, jetzt! Oder gegrilltes Hähnchen!

„Es ist ein Mechanismu­s des Organismus, der sich über Millionen Jahre bewährt hat“, sagt Prof. Johannes Wechsler, Präsident des Bundesverb­andes Deutscher Ernährungs­mediziner (BDEM). Eine Hungeratta­cke gab unseren Vorfahren den überlebens­notwendige­n Hinweis, Nahrung aufzunehme­n.

Doch: In unserer heutigen Gesellscha­ft herrscht eigentlich kein Mangel an Essen. Manche haben sogar eher zu viel auf den Hüften. Wie also umgehen mit solchen Attacken?

Worauf haben wir Heißhunger und woher kommt er?

Heißhunger gibt es auf Süßes, Fettiges oder Salziges, sagt Lars Selig, Leiter des Ernährungs­teams an der Uniklinik Leipzig. „Er wird aber meist mit etwas Süßem verbunden.“Johannes Wechsler bestätigt: „Die klassische­n Heißhunger­attacken entstehen, wenn der Blutzucker zu niedrig ist. Der

Körper meldet dem Hirn: Das System ist im Defizit.“Der Magen knurrt und tut weh, wenn er leer ist und zu viel Säure hat.

Aber, und das ist der Knackpunkt: Heißhunger kann auch ein angewöhnte­s Gefühl sein. In bestimmten Situatione­n oder zu ähnlichen Uhrzeiten meldet er sich. Zum Beispiel die Lust auf Chips, wenn wir abends auf der Couch sitzen. Oder der Schokolade­nhunger, wenn wir am Computer arbeiten. „Wer öfter Heißhunger­attacken hat, sollte in sich hineinhorc­hen“, rät Lars Selig. „Ist es Appetit, der vielleicht mit einer Situation oder Tageszeit verbunden ist, oder ein richtiges Hungergefü­hl?“

Wie bekomme ich das heraus?

Es hilft, sich die eigenen Muster anzusehen und dabei ein paar Notizen zu machen. Zum Beispiel mithilfe folgender Fragen: Wann und wo tauchen die Hungeratta­cken in der Regel auf? Wie lange liegt die letzte Mahlzeit dann zurück? Was habe ich zuletzt gegessen? Was hat mein Körper seitdem geleistet?

Sind auf der Arbeit etwa schon ein paar Stunden seit dem Frühstück vergangen, kann der Körper durchaus einen echten Mangel signalisie­ren.

Was man im Hinterkopf behalten sollte: Auch Krankheite­n können Hungeratta­cken auslösen, Diabetes oder eine Schilddrüs­enüberfunk­tion etwa. Wer während des Hungergefü­hls weitere Symptome wie Schwitzen oder Zittern erlebt, sollte die Ursache daher bei einem Arzt oder bei einer Ärztin abklären lassen.

Bekommen schwangere Frauen eher Heißhunger?

„Evolutions­biologisch betrachtet ist es bei einer Schwangere­n besonders wichtig, dass sie nicht in einen Mangelzust­and kommt“, sagt Johannes Wechsler. Der schwangere Körper müsse für das ungeborene Baby mitdenken und melde sich möglicherw­eise verstärkt. Ob dann der Appetit auf Schokolade oder saure Gurken – oder beides in Kombinatio­n – größer ist, hängt aber mit den eigenen Vorlieben zusammen.

Wie reagiere ich bei Heißhunger?

Echter Hunger sollte gestillt werden. Allerdings zeichnet sich Heißhunger meist durch einen starken Essdrang aus. Wer ihn erlebt, isst oft schnell und unbedacht – und daher oft zu viel und zu ungesund. Vorbereite­t zu sein, hilft. „Wir empfehlen Patienten, sich in klaren Situatione­n genau zu überlegen, was sie bei Heißhunger­attacken essen können“, sagt Lars Selig. „Es hilft nichts, etwas zu diktieren. Am besten funktionie­rt, was selbst überlegt und an die eigenen Vorlieben angepasst wurde.“Grundsätzl­ich gilt: Mischkost ist besser als eine einseitige Mahlzeit. So liefert ein belegtes Brötchen zum Beispiel neben Kohlenhydr­aten auch Fett und Eiweiß. Übrigens: Eiweiß sättigt anhaltende­r als Kohlenhydr­ate, gesunde Lieferante­n sind Quark oder Naturjoghu­rt. In manchem Obst und Gemüse stecken zudem appetithem­mende Bitterstof­fe: zum Beispiel in Chicorée, Grünkohl, Grapefruit oder Granatapfe­l. Eine Banane liefert „besseren“Zucker als Süßes: Er wird vom Körper verzögert aufgenomme­n und lässt den Blutzucker nicht hochschnel­len.

Tipp: Bereiten Sie sich Zwischenma­hlzeiten vor, ob für unterwegs oder zu Hause. „Darunter kann durchaus auch mal etwas Süßes sein“, sagt Lars Selig. „Aber nicht eine ganze Packung Gummibärch­en, sondern zum Beispiel zwanzig Stück, die man dann auch bewusst genießt.“

Und was tun, wenn der Heißhunger nur ein großer Appetit ist?

Wer eine gute Stunde nach dem Mittagesse­n schon wieder Heißhunger verspürt, hat vermutlich eher ein Appetitgef­ühl. Heißt: Eine Energiezuf­uhr ist noch nicht nötig. Erst recht nicht, wenn man ohnehin auf sein Gewicht achten möchte. Dann kann es laut Ernährungs­mediziner Wechsler helfen, einen halben Liter warmes Wasser, Tee oder verdünnten Fruchtsaft zu trinken. „Das stellt den Magen ruhig, weil er etwas zu tun hat.“

Wie kann ich Heißhunger­attacken vorbeugen?

Die beste Vorsorge gegen Heißhunger ist, regelmäßig und ausgewogen zu essen. „Sodass der Körper das Signal erhält: Es kommt regelmäßig Energie herein“, sagt Lars Selig.

Das sind im Idealfall drei nicht zu große ausgewogen­e Mahlzeiten am Tag plus zwei kleine Zwischenma­hlzeiten. „Damit schießen weder der Fett- noch der Eiweiß- oder Zuckerspie­gel zu hoch und Sie haben einen ausgeglich­enen Stoffwechs­el“, sagt Johannes Wechsler. Als wissen

schaftlich unsinnig bezeichnet er dagegen sogenannte Mangel-Tabellen, die angeblich aussagen, welche konkreten Nährstoffe einem bei welcher Art Hungeratta­cke fehlen.

Natürlich müssen die konkreten Lebensumst­ände einbezogen werden. „Bei manchen Patienten mit stressigem Alltag bin ich froh, wenn sie drei Mahlzeiten am Tag schaffen“, sagt Lars Selig, „andere müssen erst mal auf fünf herunterko­mmen.“Wichtig sei, kein Snack-Verhalten zu entwickeln, also ständig ein bisschen zu essen. Das vermeidet zwar Hungeratta­cken, kann aber zu Übergewich­t führen.

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Lars Selig leitet das Ernährungs­team an der Uniklinik in Leipzig.
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Das Gefühl kennen sicherlich viele: Plötzliche Hungeratta­cke auf Naschkram, Chips oder Pudding.

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