Die Macherinnen aus Hamburgs unterschätztem City-Stadtteil
Das Viertel ist zentral – und extrem vielseitig. Frauen spielen hier eine ganz besondere Rolle
Rothenburgsort – wo ist das noch mal? Nur fünf Minuten von der Innenstadt entfernt, mit viel Kultur und supergünstigen Wohnungen. Und doch wird der Stadtteil oft vergessen, steht im Schatten seines Nachbarn HafenCity. Wer auf der Suche nach Geheimnissen und Geheimtipps ist, ist in Rothenburgsort aber deutlich besser aufgehoben. Warum vor allem Frauen so wichtig für den Stadtteil sind und er in Zukunft noch viel interessanter werden könnte, haben zwei engagierte „RBOlerinnen“der MOPO erklärt und gezeigt.
Nur ein schmaler Streifen Elbe trennt die halbfertige HafenCity mit ihrem halbfertigen Elbtower vom viel älteren Stadtteil Rothenburgsort, liebevoll RBO genannt. „Haben wir ein Glück, dass der Turm nicht zu uns gehört“, sagt Özlem Winkler-Özkan lachend. „Wer weiß, ob das Teil noch mal fertiggestellt wird.“
Die 50-Jährige wohnt seit 2011 in Rothenburgsort. „Hier willst du nicht tot überm Zaun hängen“, sagte man ihr, als sie aus Nordrhein-Westfalen herkam. „Das konnte ich gar nicht verstehen. Es ist grün, supernah an der Innenstadt und hat trotzdem Dorfcharakter. Mittlerweile kenne ich hier jeden mit Vornamen.“Vor dem Zweiten Weltkrieg gehörte Rothenburgsort zu Billwerder und hatte 44.000 Einwohner. Heute lebt hier nicht einmal ein Viertel davon (9600). Viele Menschen in dem damals dicht besiedelten Arbeiterviertel fielen den Luftangriffen der Alliierten zum Opfer. Winkler-Özkan zeigt den MOPO-Reportern ihren Lieblingsplatz in Rothenburgsort: das PEM Theater an der Reginenstraße, das sie leitet. Für ihre Arbeit wurde sie schon mit Preisen ausgezeichnet. So wie sie engagieren sich im Stadtteil viele Frauen im sozialen und kulturellen Bereich. Überhaupt scheint es in Rothenburgsort eine Menge starke Frauen zu geben. „Zum Beispiel all die alleinerziehenden Mütter“, sagt die 50-Jährige. Tatsächlich: Nur vier der 105 Hamburger Stadtteile haben mehr Alleinerziehende als RBO. Ganze 34,1 Prozent waren hier 2022 alleinerziehend. Rund um das Theater gibt es eine Menge Industrie. Wohnungen und Büros sind nicht erlaubt. „Die Emissionen sind zu hoch. Aber nur in West-Rothenburgsort. Im Osten, auf der anderen Seite der Billhorner Brückenstraße, geht es“, sagt Özlem Winkler-Özkan und lacht wieder. Auf die Wohn-Seite RBO kommt man nur über eine dichtbefahrene Kreuzung oder durch eine unheimliche Unterführung, die nachts nicht beleuchtet wird. „Da traut man sich alleine als Frau nicht durch“, so Winkler-Özkan.
Wer es auf die andere Seite geschafft hat, kann unter anderem Christelle Yobo in der örtlichen Arbeiterwohlfahrt (AWO) besuchen. Die 44-Jährige ist Vereinsgründerin, Festivalorganisatorin und Kommunalpolitikerin. Sie setzt sich zu sechs älteren Damen an den Tisch in der AWO-Begegnungsstätte am Rothenburgsorter Marktplatz, die ihr Kekse und Kaffee anbieten. „Das ist meine ‚Girl Gang‘“, sagt sie und die Damen kichern. Eine reicht ihr eine Perlenkette für das MOPO-Foto.
Auch für Yobo ist Rothenburgsort ein Zuhause geworden. Sie berichtet über die Festivals, die regelmäßig im Entenwerder Elbpark stattfinden. Jedes Jahr gibt es zudem Anbaden in der Elbe. „Wir haben viele soziale Einrichtungen wie das Haus der Jugend, das sehr gut angenommen wird – geleitet von einer Frau.“Dennoch sieht die 44-Jährige Entwicklungspotenzial in ihrem Stadtteil. „RBO läuft irgendwie unterm Radar. Wir haben Supermärkte und einen Budni, aber viele Geschäfte wurden zugemacht. Seit Jahren warten alle nur darauf, dass die HafenCity fertiggestellt wird. Dann soll es auch bei uns vorangehen.“Rothenburgsort als kleine
Die Hoffnung ist, dass der neue reiche Stadtteil, die HafenCity, den alten armen mitnimmt. Özlem Winkler-Özkan
Schwester der HafenCity – so kann es einem manchmal vorkommen, obwohl RBO viel älter ist. „Die Hoffnung ist, dass der neue reiche Stadtteil den alten armen mitnimmt. Aber damit das gelingt, braucht es Menschen, die sich engagieren“, sagt Özlem Winkler-Özkan. „Bald soll eine neue Brücke gebaut werden.“Die Angst vor einer Gentrifizierung des Arbeiterviertels sei groß. Elf Prozent der RBOler sind arbeitslos, in ganz Hamburg sind es 5,7 Prozent. 62 Prozent haben Migrationshintergrund (Hamburg: 39,3 Prozent).
Zurzeit säumen vor allem viele Baustellen den Stadtteil. „Wir fühlen uns da oft nicht mitgenommen von der Politik“, sagt Christelle Yobo. „Auch bei den Versuchen, den Stadtteil autoärmer zu machen. Das geht einfach an der Lebensrealität der RBOler vorbei. Die ÖPNV-Anbindung ist zwar gut, aber viele sind als Handwerker auf ihre Pkw angewiesen.“
Der Rundgang endet in der einzigen Bäckerei in RBO – bei Caglar am Vierländer Damm. Hinter dem Tresen steht Dilara Bozkurt (17), Tochter des Inhabers. „Mein Opa hat das Geschäft in den 80ern gegründet. Von ihm gibt es auch eine Zeichnung an der Wand.“Neben dem Graffiti steht in großen Buchstaben „RBO“. „Ich bin froh, in Rothenburgsort zu wohnen“, sagt Özlem Winkler-Özkan. „Ein Stadtteil mit so viel Zusammenhalt und Entwicklungspotenzial – das gibt es nicht überall!“