Hamburger Morgenpost

Zehnkampf um Olympia

In Paris beginnt die heiße Phase der Vorbereitu­ng – mit ganz vielen Hamburgeri­nnen

- VOM HOCKEY BERICHTET NILS WEBER nils.weber@mopo.de

Es ist die perfekte Generalpro­be, die Erprobung des Ernstfalle­s und ein Vorgeschma­ck, der Vorfreude und Erfolgshun­ger noch verstärken soll. Rund 90 Tage vor dem Beginn der Olympische­n Sommerspie­le in Paris reisen die deutschen Hockey-Nationalma­nnschaften in die französisc­he Metropole, um sich dort auf das Großereign­is vorzuberei­ten – nicht nur sportlich. Dabei ist eine riesengroß­e Portion Hamburg im Spiel, vor allem hanseatisc­he Frauenpowe­r.

Paris ist eine Reise wert. Das ist bekannt. In diesem Fall handelt es sich um eine Mission. Vom 29. April bis 6. Mai dauert der Vorbereitu­ngslehrgan­g des Deutschen Hockey Bundes an der Seine.

„Das ist eine wichtige Woche für uns“, betont

Frauen-Bundestrai­ner Valentin Altenburg im Gespräch mit der MOPO. „Es geht darum, Olympia-Luft zu schnuppern, den Platz und das Stadion kennenzule­rnen, aber auch ein Gefühl für die Distanzen und Strecken zu bekommen, die wir dann während der Spiele zu zurücklege­n werden.“Zwei offizielle Testspiele gegen Gastgeber Frankreich (4. und 5. Mai) stehen an im YvesDu- ManoirStad­ion, einem für 100 Millionen Euro in eine moderne Hockey-Arena mit Kunstrasen und 15.000 Plätzen umgebauten Fußballund

Rugby-Stadion. Dort wollen die deutschen Hockey-Damen, die „Danas“, und die DHB-Herren, die „Honamas“, im Juli und August um olympische­s Edelmetall spielen. Auch das Olympische Dorf, in dem während der Spiele (26. Juli bis 11. August) die Teilnehmen­den aus aller Welt leben werden, wird besichtigt. „Ichb ins chonsehrge spannt “, sagt Anne Schröder ,229- malige Nationalsp­ielerin in Dienst endes Clubs an der Alster, zur MOPO. „Die Reise wird die Vorfreude noch mal steigern.“Aber auch die Anspannung steigt, denn die Vorbereitu­ng geht in die heiße Phase und damit auch der Kampf um die Kaderplätz­e für Olympia. Schröder spricht von „Crunchtime“. Alle 28 Spielerinn­en des erweiterte­n Olympia-Kaders werden den Paris-Trip bestreiten (ebenso 28 bei den DHB-Männer). Stolze zehn Spielerinn­en aus Hamburg sind dabei: Neben Schröder ihre Vereins kameradinn­en Kira Horn, ViktoriaHu­se, Emma Davids meyer,Hann aG ranitzki und BenedettaW­enzel( alle Club an der Alster), Amelie Wortmann und Lena Micheel vom Uhlenhorst­er HC, Laura Saenger vom Harvestehu­der THC sowie Jette Fleschütz vom Großflottb­eker THGC.

Diese zehn Spielerinn­en treffen sich seit Wochen jeden Mittwoch zum gemeinsame­n Training in Hamburg, wo auch Bundestrai­ner Altenburg geboren ist und lebt. Alle zehn wollen bei den Olympische­n Spielen 2024 dabei sein.

Der Haken: Es gibt nur 16 Plätze. Am 13. Juni muss Altenburg, der mit der langjährig­en Nationalsp­ielerin Lisa Alten burg verheirate­t ist, seinen Olympia-Kader nominieren. Weitere drei Spielerinn­en (davon eine Torhüterin) erhalten eine sogenannte P-Akkreditie­rung und können vor Ort nachnomini­ert werden. Die Zahl der Spielerinn­en aus Hamburger Vereinen unter den 16 wird hoch sein – so viel steht fest. Und natürlich sind langjährig­e Leistung s trägerinne­n wie etwa Anne Schröder gesetzt.

Gülsüm leben. Sie bekamen ein Visum für Erdbebenop­fer. Es gilt nur drei Monate und wurde bisher zweimal verlängert. Ob es noch einmal klappt, steht in den Sternen. Die Eltern wissen nicht mehr ein noch aus. „Wir haben alles verloren“, sagt Vater Aykut. Ihr Zuhause, ihr ganzes Hab und Gut. Aykuts Firma, ein Vertriebsu­nternehmen, gibt es nicht mehr. Es gibt keine Schulen, keine Krankenhäu­ser, keine Häuser, in die man einziehen könnte. Noch immer leben mehr als 700.000 Menschen in Containern.

„Ich vermisse meine Heimat, meine Mutter und würde am liebsten sofort zurückgehe­n“, sagt Gülsüm. Doch die Kinder, die inzwischen in Pinneberg zur Schule gehen, wollen nicht. Und: „Wir können ihnen daheim nichts bieten. Es gibt kein normales Leben in Hatay.“

Doch auch in Deutschlan­d ist es nicht einfach. Anders als Ukrainer oder Syrer bekommen die Erdbebenop­fer aus der Türkei keine Unterstütz­ung, weil die Republik ein sicheres Herkunftsl­and ist. Die Familie Arol ist komplett auf Gülsüms Brüder angewiesen. Um sich wenigstens zu beschäftig­en, hat Gülsüm kürzlich ein Praktikum in einem Pflegeheim gemacht. Der Leiter wollte sie sofort einstellen und hat ihr einen Arbeitsver­trag vorgelegt. „Ich würde das so gerne machen, um meine Brüder zu entlasten“, sagt Gülsüm. Auch Aykut würde jeden Job annehmen. Aber es gibt keine Chance. Für die Erdbebenop­fer aus der Türkei gibt es keine Arbeitserl­aubnis.

Die Fraktionsc­hefin der Hamburger Linken, Cansu Özdemir, die zahlreiche Verwandte bei dem Erdbeben verloren hat, machen solche Schicksale wie das der Familie Arol betroffen. „Die Familie könnte einen Asylantrag stellen“, meint Özdemir. Allerdings hätte der wohl kaum Aussicht auf Erfolg, weil die Anerkennun­gsquote für Anträge türkischer Staatsbürg­er nicht sehr hoch sei. Trotzdem versuchen viele diesen Weg zu gehen: Die Türkei ist mit Syrien und Afghanista­n mittlerwei­le eines der Hauptherku­nftsländer von Asylbewerb­ern. Doch nur etwa jeder sechste Antrag wird anerkannt. Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) hat bereits im direkten Gespräch mit dem türkischen Präsidente­n Erdogan die Rücknahme der abgelehnte­n Fälle angemahnt. Die einzige Chance für Familie Arol wäre aus Sicht von Özdemir ein Arbeitsvis­um, doch dabei käme es immer sehr auf die Qualifizie­rung an. Gülsüm Arol ist keine ausgebilde­te Pflegerin. Die frühere Verwaltung­sfachkraft könnte die Ausbildung aber noch nachholen. „Angesichts des Fachkräfte­mangels in Deutschlan­d wäre es sinnvoll, die Verfahren zu vereinfach­en“, so Özdemir. „Man muss doch eine Perspektiv­e für diese Menschen entwickeln.“

Wie eine solche Perspektiv­e aussehen könnte – das wissen die Arols derzeit überhaupt nicht. Denn auch der türkische Staat wird seiner Verantwort­ung nicht gerecht: Er zahlt den Erdbebenop­fern, die im Land geblieben sind, pro Monat 5000 Lira (150 Euro). „Davon könnten wir nicht mal die Miete bezahlen, wenn wir in eine vom Erdbeben verschonte Stadt in der Türkei ziehen würden“, sagt Aykut.

„Wir wussten nicht, was ein Erdbeben wirklich bedeutet. Fernsehbil­der bilden nicht ab, was für ein Horror das ist. Man begreift es erst, wenn es einem selbst passiert. Wir hatten ein schönes Leben früher. Es ist von einer Minute auf die nächste zerstört worden. Das kann man nie wieder vergessen.“

 ?? Foto: picture alliance / firo Sportphoto ?? Anne Schröder hofft in Paris auf ihre zweite Olympia-Medaille nach Bronze in Rio 2016. Mit 229 Länderspie­len ist Schröder die erfahrenst­e Akteurin im vorläufige­n deutschen Kader.
Foto: picture alliance / firo Sportphoto Anne Schröder hofft in Paris auf ihre zweite Olympia-Medaille nach Bronze in Rio 2016. Mit 229 Länderspie­len ist Schröder die erfahrenst­e Akteurin im vorläufige­n deutschen Kader.
 ?? Dpa alliance/ picture Foto: ?? Bundestrai­ner Valentin Altenburg weist Kira Horn (81 Länderspie­le) den Weg.
Dpa alliance/ picture Foto: Bundestrai­ner Valentin Altenburg weist Kira Horn (81 Länderspie­le) den Weg.
 ?? ??
 ?? ?? Hier stand das Haus, in dem Familie Arol lebte. Es stürzte beim Erdbeben am 6. Februar 2023 in sich zusammen.
Hier stand das Haus, in dem Familie Arol lebte. Es stürzte beim Erdbeben am 6. Februar 2023 in sich zusammen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany