Vom Zauber eines Döners um 2 Uhr nachts
Cornelia Poletto (52) über schlechte Noten, ihren Vater als Geburtshelfer und wilde Abende in der Kochschule
Der rote Pullover? Selbstgestrickt. Cornelia Poletto, Star-Köchin und Eppendorfer Business-Frau, ist im Grunde ihres Herzens eben Handwerkerin. Und was wir besprechen auf diesem MOPO-Roadtrip mit wichtigen Stationen ihres Lebens, ist dann auch meist angenehm handfest. Mehr Polier-Mentalität als schnöselige Chichi-Plauderei quasi. Gerade stehen wir vor einem kleinklotzigen Rotklinker-Bau in Wandsbeker Ödnis und rauchen erst mal eine. Hier war mal ihre erste Wohnung. Und dann grüßt plötzlich das Klischee: Paolo Conte singt – ihr Handy-Klingelton.
Passt einerseits, weil die Poletto, geborene Diedrich, ist ja Expertin für italienisches Essen, aber aufgewachsen zwischen Paderborn und Bielefeld. Und wird’s irgendwo deutscher als da? Bei der Oma mit „den besten sauren Nierchen“und dem Sauerbraten.
Sauer macht lustig? Zumindest energisch, offenbar, merken wir bei unserem knapp dreistündigen Trip, der an der „Cucina“begann, natürlich in Eppendorf. Dem Dreh- und Angelpunkt im Geschäftsleben der 52-Jährigen.
Poletto ist seit 30 Jahren im Geschäft, seit 24 Jahren selbstständig. Über zehn Jahre war sie Sterneköchin. Kochbuch-Bestseller. TVKarriere.
Als wir sprechen, gehen jeden Tag 2000 Gerichte in ihrem Namen raus. In der Dinner-Show Palazzo in Horn allein 1200 jeden Abend. Hier an der Eppendorfer Landstraße ist ihr Restaurant. Und die Kochschule. Und hier in Eppendorf ist auch das UKE, an dem ihr Vater einst Teil des ersten deutschen Reproduktionsmediziner-Teams war. Überhaupt: die Familie. Lauter Ärzte. Und ein paar Apotheker. Und eine spezielle Nummer, „ein kleiner Partnertausch“. „Meine Eltern haben sich getrennt, als ich sieben war. Mein Vater hat eine junge Ärztin geheiratet, die verheiratet war mit dem jetzigen Mann meiner Mutter.“Und das ist ein komplizierter Satz, an dessen Ende aber der Eindruck steht, dass dann alle offenbar irgendwie zufrieden waren.
Wir düsen direkt mal hin zum UKE und im Auto braucht es keine Aufwärmphase: „Mein Vater hat hier als junger Mediziner quasi die Retortenbabys nach Deutschland gebracht und sehr viele Eltern glücklich gemacht“, sagt sie und das klingt stolz. Als sie in Lübeck mal Kochshows in einem Supermarkt gemacht habe, seien lauter Leute auf sie zugekommen mit Grüßen an den Vater und vielen Leidensgeschichten, denen der ein Happy End verpasst habe. Mit dem Papa hat sie auch mal ein Kochbuch gemacht, für Mütter mit Kinderwunsch. Und der Vater
hat auch ihre Tochter, also seine Enkelin, auf die Welt geholt.
„Wenn in der Schwangerschaft alles glattläuft, gehst du nach Barmbek, wenn’s Probleme gibt, kommste zu mir nach Lübeck, dann mach ich das“, habe er gesagt. „Er ist auch ein bisschen ChefTyp.“Und als der Papa dann im Februar 2002, kurz vor 9 Uhr, das Skalpell ansetzte, da habe der Ton im OP sie an den in ihrer Küche erinnert: „Wenn Sie hier mal liegen, dann klimpere ich auch so mit dem Besteck rum!“, habe er eine Schwester angepampt. „Daran merkte ich seine Anspannung ...“Anspannung, die kennt sie auch. Und die ganzen harten Hunde und ihre Pöbelei und die knüppelharte Buckelei in der Küche. Lehre bei Heinz Winkler. Alte Schule. Und das ist nicht nur positiv gemeint. Und sie so als Chefin? Ist das wie mit Kindern, die sagen: Ich mache es niemals wie meine Eltern und dann Eltern werden und ... es machen wie ihre Eltern? „Ich hab im Laufe der Jahre dazugelernt“, sagt sie. Was dafür spricht: Mit vielen in ihrem Team arbeitet sie seit Jahren und Jahrzehnten zusammen. Das macht sie stolz. Und das sagt ja auch: Das täten die sich nicht an, wenn die Conny nicht okay wäre. Und sie wisse, dass der Laden nur läuft, wenn alle mitziehen. „Viele meiner männlichen Kollegen sind gut darin, Veranstaltungen, Fernsehen und Restaurants zu machen und dann zu sagen: Boah, das bin alles ich! Ich weiß, dass ich ein Team brauche, das das Gefühl hat: Wir sind Poletto.“Aber am Anfang, da war sie auch so ein Brachialo? „Im Fernsehen haben sie neulich Bilder aus einer alten Reportage über mich gezeigt. Ich hab da so rumgeschrien, das darf eigentlich nie gesendet werden. Der Film war von vor 20 Jahren.“Witzig ist: Es sei ihr Perfektionismus, der sie streng gemacht habe, sagt sie. Das ist ja so das Grundthema: Die Handwerkerin und ihr Stolz aufs Geleistete, das vorgezeigt werden soll und vorzeigbar sein muss. Dabei war genau das als Kind bei ihr so nicht absehbar: „Ich war sehr faul in der Schule. Sehr schlechte Noten.“Sitzen geblieben. Klassenclown. Abi? No way. Der Traum vom Tierarzt-Beruf? Geplatzt. Ein Praktikum in einem Sterne-Restaurant veränderte alles. Seitdem: Vollgas und Vision. Apropos Vollgas: Wir fahren im MOPO-Bus gemütlich. Und Poletto fährt selbst gern Auto. Einen alten Mini hat sie. Und generell eine Leidenschaft für Oldtimer. MOPO-Verleger Arist am Steuer und sie verfangen sich direkt im Gespräch über die Form von Original-Rückleuchten und -Zierblenden. Aber in Eppendorf hatte sie mal einen Unfall im Twizy, dieser kuriosen Einsitzer-Elektromöhre von Renault. Eine Mutti, natürlich im SUV („fahren ja alle hier“), nahm ihr die Vorfahrt. Crash und Kieferbruch, OP.
Nein, ihr Verhältnis zu Suppe habe das nicht getrübt. Und schon drei Tage später hatte sie wieder ihre erste Abendveranstaltung. Mit Sonnenbrille. Im Mafia-Look. Wir sind inzwischen am Wandsbek-Markt, vorbei am „Block House“, hier war Ende der 90er ihre erste Wohnung, in einem glanzlosen KlinkerKlötzchen. „Ich war stolz wie
Bolle.“Mitbewohner war Jack Russell Rosi. Lehrjahre. Bodenständig. Das Anti-Eppendorf quasi. Nervt es eigentlich manchmal, ständig für reiche Schnösel zu kochen? „Hab ich ja nicht nur“, sagt sie. Klar, die gebe es. Und ja, die seien manchmal auch anstrengend. „Ich habe aber auch Gäste in Restaurant und Kochschule, für die das echt was Besonderes ist, zu Poletto zu gehen und sich das mal zu leisten.“So ein Kochkurs bei ihr kostet pro Person immerhin 440 Euro: „Echt teuer.“Dafür gibt’s aber neben den Lektionen auch die Nähe zur Chefin und einen gemeinsamen Abend. Neulich sei eine Mutter mit ihrer Tochter da gewesen. Die Mutti hatte den Kurs mit Poletto zum 60. geschenkt bekommen. Die Köchin aus dem Fernsehen zu treffen, war ein Traum von ihr, sie reiste Hunderte Kilometer an. „Für solche Leute zu kochen macht manchmal mehr Spaß als für die Richies“, sagt Poletto. Der Abend war toll. Auch wenn die Mami um 23 Uhr angezählt von dannen zog und vor die Tür gegöbelt habe. Die Aufregung, das viele Essen, der Wein ... Und das ist ja schon fast Rock ’n’ Roll. Mit der Sterne-Küche war sie irgendwann fertig. Hat Schluss gemacht mit der Idee, den Ansprüchen der Michelin-Tester und SterneGäste ggenügeng zu müssen.
Und auch wenn’swenns schon lange lanher ist, dass das hart für sie war, merkt man bis heute. „Ich hab viel gegrübelt und Zeit gebraucht, mich das zu trauen. Kommen die Gäste dann trotzdem noch?“Tun sie. Und heute könne sie kochen und kochen lassen, was sie selbst gern essen will, „großes Menü oder mal einfache Pasta“.
Wir fahren nach Horn, dem aktuellen Standort von „Palazzo“, der Dinner-Show im historischen Spiegelzelt, die jedes Jahr um den Jahreswechsel für ein paar Monate ein VierGänge-Menü mit Artistik und Clownerie serviert. Mit dem Standort fremdelt sie, die Moorweide, wo sie vorher war, wollte ihr der Bezirk zuletzt nicht mehr geben. In Horn ist feine Küche und Eppendorf abseits des schicken Zeltes eher weit weg. Wir passieren allerhand Imbisse. Was sind denn die Guilty Pleasures von Poletto? Gibt’s daheim mit Ehemann Rüdiger Grube („Kocht nicht, aber kann gut aufräumen“) ab und zu mal Bestell-Pizza? „Pizza hab ich noch nie bestellt“, sagt sie. „Dafür liebe ich Pizza zu sehr.“Labbriges mit Kartongeschmack werde dem nicht gerecht. „Ich liebe Lakritz, da werde ich schwach. Und Käse hab ich immer im Kühlschrank.“Ach, komm, das sollen Sünden sein? Wir kriegen dann doch noch eine adäquate hervorgepult: „Ich mag immer noch gerne den Geschmack von Döner. Vor allem, wenn man besoffen nachts um 2 Uhr aus ’ner Bar rausfällt und sich so’n Ding reinfährt. Ich war aber mal im Schlachthof und habe gesehen, wie die roh aussehen und wie die gemacht werden. Seitdem esse ich die nicht mehr.“Auf der Rennbahn ist am Nachmittag noch alles ruhig. Nadine, die Frau, die hier das Regiment führt, lässt uns hinein. In der Küche schmurgelt ein Vorhut-Koch Zwiebeln. 300 Gäste kommen später. Wie macht man einen Koch eigentlich als Gast so richtig fuchsig, wollen wir noch wissen. „Wenn du eine ambitionierte Küche besuchst und dem Koch dann das mühsam komponierte Gericht auseinandernimmt: ,Kann ich statt dem lieber das? Und geht das auch ohne Petersilie?‘ Da denke ich dann irgendwann schon: Dann koch es dir doch selbst, wie du es haben willst.“
In die Kochschule kommen auch Leute, für die das echt etwas Besonderes ist, sich das zu leisten.