Smarte Nasszelle
Wir befinden uns im Jahre 2017 n. Chr., ganz Wohnungien ist von den Digitaliern besetzt... ganz Wohnungien? Nein! Ein von unbeugsamen Anologistanern bevölkertes Gebiet hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten. Die Analogistaner haben eine Geheimwaffe, es ist ein Zaubertrank, den sie alle in ihrer Kindheit (noch im alten Millennium) schon genossen haben und den sie fortan regelmäßig zu sich nahmen. Die Rezeptur des Zaubertranks ist natürlich eine geheime, doch gibt es Gerüchte, sie würde aus Wasser und Logik bestehen. Das „Internet der Dinge“ist in aller Munde, vor allem natürlich in denen der Marketingfachleute und Produktmanager, die jeden Strohhalm ergreifen, um mehr oder weniger tote Märkte smart-defibrillatorisch wiederzubeleben. Das hat aber seine Grenze und diese liegt genau zwischen Analogistan und Digitalien, es ist ein breiter Fluss, der sich durch eines auszeichnet: Wasser. Dieses Element zusammen mit „Strom“sind zwei Dinge, die nur selten direkt miteinander zu tun haben, die für gewisse Gefahren sorgen und eine abschreckende Wirkung haben – oder eine beeindruckende. Unser Globetrotter und Turbinen-experte Volker Sprotkoviak gab in der letzten Redaktionssitzung für 42 Minuten durchweg und ausschließlich „Aaahs“und „Oooohs“von sich, er stand zu dieser Zeit auf dem Jinping-staudamm in Südwest-china. Selbige Geräusche wird man unter der Dusche aber wohl nicht hören, selbst wenn man ein wasserdichtes Tablet in Händen halten würde, selbst wenn es einen App-gesteuerten Epilierer gäbe, selbst wenn der Wc-spülkasten den Wasserverbrauch gen Smartphone funken würde. Und warum? Weil es Phänomene (Tätigkeiten, Produkte, Orte) gibt, die nichts Smartes benötigen, weil sie natürlich und simpel sind, somit an sich schon einmal schlau, also smart, und wo eine Änderung nur eines bewirken würde: die Verkomplizierung.
Keine Technokratie
Die Stimmen in Digitalien mehren sich, dass man doch nicht wirklich das ganze Leben mit Strom aufrüsten muss, vor allem älteren Digitaliern ist die Lebensphilosophie der störrischen Analogistanern nicht fremd, schließlich war Digitalien vor wenigen Jahren auch noch unbesetztes Gebiet und daran erinnert man sich spätestens dann, wenn der Akku mal wieder leer ist oder das Haushaltsgerät leider keine analogen Schalter mehr besitzt, mit denen es sich bedienen lassen würde. Mag etwas auch „technically so sweet“(Helmut Schelsky, „Technischer Staat“) sein, so ist es kein Muss – auch und vor allem in der Therme. Unter der Dusche hört man nur schlecht Musik, weshalb bei Präsentationen von Multi-room-sytemen der großen, namhaften Hersteller auch nie ein Bad zu sehen ist. Beim Rasieren interessiert es den stolzen Analogistaner nicht, wie viele Sekunden er nun schon rasiert und ob eine App eine Statistik bereitstellen kann, die Durchschnittsrasurzeiten aufzeigt oder die Zahl der Scherkopfschwingungen oder gar die Menge der Hautirritationen misst. Auch die stolze Analogistanerin sieht es nicht kritisch, dass der Haartrockner nicht smart ist – welche nützliche Information soll er auch schon gen Smartphone schicken? Die Umdrehungszahl des Gebläses oder die Luftaustrittstemperatur? Nein, die Analogistanerin fühlt so etwas, und sollte das erstmalige Trocknen mit dem neuen Gerät etwas länger als mit dem Vorgänger dauern, so wird die Analogistanerin einfach beim nächsten Mal die höhere Temperaturstufe wählen oder den Abstand zwischen Haar und Gerät verringern – ganz sim- pel, ganz logisch, da wird auch der Digistalier beipflichten und sich über die Kurzzeitbesatzung der Therme nicht ärgern. Ein soziales Problem kann hier also gar nicht durch eine Technologie gelöst werden, weil es schlicht nicht existiert – von Technokratie kann also nicht gesprochen werden. Wohl aber kann es zu sozialen Problemen kommen, wenn die elektrische Zahnbürste nicht aufgeladen ist – ein ganz schlechtes Omen für das erstes Date! Manche Dinge sind so wie sie sind bereits „smart genug“und eine Veränderung wäre nicht schlau, weil schlicht unnötig. Genau dies darf ruhig einmal betont werden, auch um von der eigentlich faszinierenden Idee einer technokratischen Struktur Schaden abzuwenden... und ganz nebenbei auch noch die lieben Analogistaner zu schützen. Und deren Kinder! Es ist schon skurril (oder schlimm?) genug, wenn die jungen Digitalier von heute verdutzt auf eine Wählscheibe eines alten Telefons schauen, zugleich aber dann sich eine App herunterladen, die eine Wählscheibe simuliert. Sieht gut aus, funktioniert und darf ruhig mit einem Schmunzeln begleitet werden, doch ist es letztlich nur Ressourcenverschwendung – und just dies ist der Knackpunkt überhaupt. Smart sind vor allem nämlich die, die schlau mit Ressourcen umgehen... das vergessen die Analogistaner nicht.