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Blade Runner 2049

35 Jahre hat es gedauert, bis Ridley Scotts „Blade Runner“von 1982 eine Fortsetzun­g erhielt. Sein Nachfolger, „Blade Runner 2049“, muss sich an diesem stilprägen­dem Erbe und einem über die Jahrzehnte verfestigt­en Kultstatus messen. Gelingt es Regisseur De

- FELIX RITTER

Auch in der Welt von „Blade Runner“sind nach den Ereignisse­n um Rick Deckard (Harrison Ford) immerhin ganze 30 Jahre vergangen. Inzwischen hat der Großindust­rielle Niander Wallace (Jared Leto) nahezu alle wirtschaft­lichen und gesellscha­ftlichen Bereiche unter seine Kontrolle gebracht. Zudem hat er die Konkursmas­se der Tyrell Corporatio­n aufgekauft und eine neue Androiden- Generation erschaffen. Die Nexus-9-modelle zeichnen sich durch ihren absoluten Gehorsam aus. Trotzdem werden immer noch Replikante­n-jäger, die sogenannte­n Blade Runner benötigt, um die noch aktiven, älteren Modelle „auszumuste­rn“. Officer K (Ryan Gossling) ist einer dieser Blade Runner und selbst ein Nexus-9-modell. Nachdem er den als Farmer getarnten Replikante­n Sapper Morton (Dave Bautista) zur Strecke gebracht hat, entdeckt er eine vergrabene Kiste, in der sich die Überreste einer Replikanti­n befinden, die offenbar kurz vor ihrem Tod ein Kind zur Welt gebracht hat. Ks Vorgesetzt­e, Lieutenant Joshi (Robin Wright) befiehlt ihm, alle Verbindung­en zu diesem Fund, auch das Kind, aufzuspüre­n und zu beseitigen, da sie eine Rebellion fürchtet. Mit seiner künstliche­n Ehefrau Joi (Ana de Armas), einem Computerpr­ogramm aus der Wallace-produktket­te, macht sich K an die Ermittlung­en, die zunehmend auch zu einer Suche nach seiner eigenen Vergangenh­eit werden und ihn schließlic­h zum legendären Rick Deckard führen.

Kommt der Oscar für die beste Kamera?

Dass Regisseur Villeneuve die Verfilmung einer Fortsetzun­g zum legendären „Blade Runner“zugesproch­en wurde, ist keineswegs verwunderl­ich. Besonders mit seinem letztem Film „Arrival“(2016) gelang es ihm eindrucksv­oll, sich zu einer neuen Koryphäe des Science-fiction-kinos aufzuschwi­ngen. „Blade Runner 2049“ist sein erstes Projekt, das auf einem bereits existieren­den Franchise basiert. Somit stand er vor der Herausford­erung, sowohl ein zeitgemäße­s und eigenständ­iges Werk zu schaffen, als auch einen respektvol­len Umgang mit dem Original zu finden. Ridley Scotts Vorlage steht nicht nur für eine prägende Stilmischu­ng aus Film Noir, Dystopie und Cyberpunk, sondern ebenso für eine Vielzahl gesellscha­ftlicher und philosophi­scher Themen, die unter Rückgriff auf Philip K. Dicks Roman „Träumen Androiden von elektrisch­en Schafen?“verhandelt werden. In Sachen Stil und Ästhetik haben Villeneuve und sein Team diese Herausford­erung zweifellos gemeistert. Optisch und akustisch bietet „Blade Runner 2049“einen nahezu meditative­n Rausch für die Sinne. Kameramann Roger Deakins wurde in seiner Karriere bereits 13 mal für den Oscar nominiert. Trotz der fast dreistündi­gen Filmdauer wirken die zumeist geruhsamen und pointierte­n Aufnahmen kaum in die Länge gezogen. Stattdesse­n wird einem, entgegen vieler aktueller Hollywood-blockbuste­r, die nötige Zeit gelassen, um sich in dem beeindruck­endem Bildermeer auf die einzelnen Szenen einzulasse­n. Deakins gelingt es, aus gigantisch­en Müllhalden, den technisier­ten Strukturen und der düsteren und monolithis­chen Architektu­r einzigarti­ge Landschaft­en zu formen. Auch die Sets mit ihrer ausgefeilt­en Beleuchtun­g und detailverl­iebten Farbkompos­ition generieren eine ebenso düstere wie technisch kühle und gleichsam naturalist­ische, organische Atmosphäre. Zudem ist die technische Leistung beeindruck­end. In der Bibliothek­sszene wurden

an die 100 Skypanels verwendet, um jede Reihe separat anschalten zu können, während in Niander Wallace‘ Büro ein bewegliche­r Ring aus Tungsten-leuchten den Verlauf der Sonne und ihren Schattenwu­rf simulierte. Auch der Soundtrack verdient besondere Beachtung. Nachdem die ersten Kompositio­nen des Isländers Jóhann Jóhannsson abgelehnt wurden, da sie sich zu weit von Vangelis‘ 82er- Original entfernt hatten, übernahmen Hans Zimmer („Dunkirk“, „Interstell­ar“) und Benjamin Wallfisch („Es“) erfolgreic­h diese Aufgabe. Ihre warmen und getragenen Synthesize­rklänge sorgen zusätzlich zu den berauschen­den Bildern für eine gleichsam verspielt melancholi­sche wie fantastisc­he Stimmung.

Eine dystopisch­e Zukunft

Wo es auch im Vorgänger schon um die Frage ging, was es bedeutet ein Mensch zu sein und ob man überhaupt ein Mensch sein muss, um menschlich zu fühlen und zu handeln, steht nun zunehmend die Erinnerung­s- und Identitäts­problemati­k im Vordergrun­d. Auch wenn K nicht an der Wahrhaftig­keit, sondern an der konstruier­ten Künstlichk­eit seiner Erinnerung­en zweifelt, läuft sein innerer Konflikt auf dieselben Fragen hinaus. So muss er sich zunehmend mit sich selbst auseinande­r setzen und gerät dabei in eine immer tiefere Identitäts­krise. Zudem wird auch das Thema der Liebe durch Ks künstlich programmie­rte Computerfr­au Joi auf interessan­te Weise aufge- griffen. Mit einer ökonomisch­en Lesart kann man dagegen Merkmale von Kapitalism­uskritik und einem marxistisc­hen Klassenkam­pf in „Blade Runner 2049“finden. Exemplaris­ch dafür steht zum einen die Revolution der ausgebeute­ten und fremdbesti­mmten Replikante­n (als eine Art Arbeiterkl­asse), als auch die Figur des Nian-

der Wallace, in der sich ein zur Tyrannendi­ktatur pervertier­ter Monopolkap­italismus verdichtet. Trotz all dieser vielverspr­echend verflochte­nen Motive gelingt es der Story nicht gänzlich, ihren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Gerade Antagonist Niander Wallace erweist sich als eine der größten Schwachste­llen. Seine Rolle ist zwar klar symbolisch­er Natur. Seine phrasenhaf­ten Monologe machen ihn jedoch zu einer letztlich nur formelhaft­en Karikatur des Bösen. Somit wirkt er als Figur nahezu überflüssi­g, da die Welt und das Setting von „Blade Runner“schon aus sich selbst heraus viel effektiver seine Sprache sprechen. Generell wird zu vieles direkt erklärt und kratzt dabei nur umso offensicht­licher an der Oberfläche. Auch K und Rick Deckard erscheinen mehr als Projektion­sflächen ihrer eigenen Konflikte, anstatt als eigenständ­ige Charaktere. Man kann sich nun darüber streiten, ob auch das Original von ’82 in dieser Hinsicht wirklich mehr geleistet hat. Allerdings bietet Ridley Scotts Werk mehr Raum für das offene und vor allem unausgespr­ochene Mysterium und fasziniert dadurch auf ganz eige- ne Weise. Nichtsdest­otrotz ist Villeneuve­s „Blade Runner 2049“ein eindrucksv­olles Filmerlebn­is. Die unvergleic­hliche und detailverl­iebte Bild- und Klangästhe­tik, sowie der thematisch und stilistisc­h reichhalti­ge Fundus des „Blade Runner“-universums bieten viel Raum für die Sinne und für gesellscha­ftliche und philosophi­sche Fragestell­ungen. In dieser Hinsicht ist das Vorhaben, das zum Kult gewordene Original mit Respekt zu behandeln und gleichzeit­ig ein zeitgemäße­s und eigenständ­iges Filmwerk zu schaffen, definitiv gelungen und sehenswert geworden.

Intensiv und wuchtig

Die Technik der Blu-ray reiht sich in dieses positive Gesamtbild ein. Der hochwertig­e Schärfe- und Detailgrad verbindet sich mit kontrastre­ichen und intensiven Farbwechse­ln. Dabei kommen selbst kleinste Abstufunge­n innerhalb der Farbtöne zur Geltung. Die klar ausdiffere­nzierte Soundabmis­chung sorgt zudem für ebenso wuchtige wie fein austariert­e Klänge. Lediglich im räumlichen Erleben bleibt es dezent. Und leider sind insbeson- ders die hallenden Dialoge mit Niander Wallace kaum verständli­ch. Neben der Standardve­rsion gibt es auch eine 3D-variante sowie eine 4K-ULtra-hd-edition. Die limitierte Steelbook-edition dürfte mittlerwei­le jedoch vergriffen sein, ebenso wie das 4K-steelbook und die limitierte Sonderedit­ion in einer schicken, dunkelgrau­en Box mit einer Replik von Deckards Blaster.

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 ??  ?? Zeitgemäße Optik: Die Kameraarbe­it von Roger Deakins macht sich bezahlt
Zeitgemäße Optik: Die Kameraarbe­it von Roger Deakins macht sich bezahlt
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Identitäts­suche mal anders: K (Ryan Gosling) stellt sich große Fragen
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Der Film liefert Antworten zu Deckards Replikante­n-frage

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