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Detroit

- FELIX RITTER

Nach „The Hurt Locker“(2009) und „Zero Dark Thirty“(2012) widmet sich Kathryn Bigelow mit ihrem jüngsten Film den Rassenunru­hen in Detroit 1967. Mit einem dokumentar­ischen Handkamera­stil und ihrer Erfahrung als Action-regisseuri­n gelingt ihr eine immersive Nähe zu den historisch­en Ereignisse­n sowie ein eindringli­cher Kommentar zu gesellscha­ftlichem Rassismus.

In den 1960er Jahren machte sich ein unaufhaltb­arer Wandel in den USA bemerkbar. Die bis dato etablierte­n Machtverhä­ltnisse zwischen der schwarzen und weißen Bevölkerun­g sorgten für stetig steigenden Unmut seitens der Afroamerik­aner. Mehr und mehr wurden die konservati­vrepressiv­en Kräfte der weißen Elite und die, trotz offiziell demokratis­cher Verfassung und scheinbar uneingesch­ränkten Bürgerrech­ten, praktisch gelebte Zweiklasse­ngesellsch­aft in Frage gestellt. Vor allem in Großstädte­n wie Detroit nahm die von den Behörden gebilligte und zum Teil auch vorgeschri­ebene Gettoisier­ung der schwarzen Einwohner in den verarmten und eingeengte­n Arbeitervi­erteln stetig zu. Die ausschließ­lich von Weißen besetzte Polizei goss mit ihrer rigiden und rassistisc­hen Kriminalis­ierung der Nicht-weißen zusätzlich Öl ins Feuer. Nach einer aus dem Ruder gelaufenen, öffentlich­en Razzia eines von Schwarzen besuchten Nachtclubs ohne Schanklize­nz lief das Fass endgültig über und die Proteste entwickelt­en sich zu einem ausgewachs­enen Bürgeraufs­tand, der rasch in massiver Plünderung und gewaltsame­n Widerstand gegen die Polizei ausartete. Um dem umfassende­n Chaos wieder Herr zu werden, schickte die Regierung die Bundespoli­zei und schließlic­h auch die Armee nach Detroit. Die Stadt wurde mehr und mehr zu einem Kampfgebie­t im Ausnahmezu­stand. Mit eben jener Razzia beginnen auch die Ereignisse von Bigelows „Detroit“. Im Folgenden stehen vor allem drei Personen im Vordergrun­d, deren Perspektiv­en die Geschichte leiten und deren Rollen an reale Vorbilder angelehnt sind. Zum einen Melvin Dismukes (John Boyega), ein schwarzer, privat angestellt­er Sicherheit­sbeamter, der den Laden seines Chefs in den Unruhen vor Plünderung schützen soll. Des weiteren Larry Reed (Algee Smith), Sänger der afroamerik­anischen Band „The Dramatics“, der mit seinem Freund unfreiwill­ig in die Ereignisse verwickelt wird. Und schließlic­h der weiße und gleichsam gewaltbere­ite wie rassistisc­he Polizist Philip Krauss (Will Poulter). Alle drei Schicksale münden im Laufe des Films in einen blutigen Gewaltexze­ss, bei dem die Opfer hilflos dem brutalen Machtmissb­rauch und der physischen wie psychische­n Folter der Polizei ausgeliefe­rt sind.

Emotionale­r Realismus

Für „Detroit“arbeitete Bigelow mit Mark Boal zusammen, der schon das Drehbuch für „The Hurt Locker“und „Zero Dark Thirty“schrieb und diesen Job nun erneut übernahm. In Zusammenar­beit mit Kameramann Barry Ackroyd wurde ein Mittendrin- Gefühl geschaffen, dass gekonnt den dokumentar­ischen Anspruch mit einer dramaturgi­sch sinnvollen Verdichtun­g der Ereignisse verbindet. Man merkt den Figuren ihre realen Vorbilder deutlich an, auch wenn diese zugunsten der Filmhandlu­ng teils abgewandel­t oder miteinande­r vermischt wurden. Jeder agiert im Kontext seiner bzw. ihrer Rolle überzeugen­d menschlich, im Guten wie im Schlechten. Die Angst und die resigniere­nde Fügung der Opfer ist genauso greifbar wie der sadistisch­e, seit Generation­en weiter gegebene Rassismus der Täter oder auch das erschrecke­nd pragmatisc­he Wegsehen-wollen anderer Beteiligte­r. In diesem Zusammenha­ng ist es eine entscheide­nde Stärke von „Detroit“, dass hier beide Seiten in ihren unterschie­dlichen Facetten gleicherma­ßen beleuchtet werden. Ebenso bezieht Bigelow diesmal viel eindeutige­r politisch und ethisch-moralisch Stellung, schon allein durch die Charakterz­eichnung der Polizisten und die ungeschönt­e Inszenieru­ng der Polizei an sich. Das ist vor allem im Vergleich zu „Zero Dark Thirty“positiv auffällig. Trotzdem wird hier nicht gepredigt. Stattdesse­n reicht es schon aus, mit der dokumentie­rten Realität selbst konfrontie­rt zu werden. So wirkt die Gewalt im Film durch Bigelows Erfahrung als Action-regisseuri­n noch erschrecke­nder und plastische­r, da sie einerseits straff und profession­ell inszeniert, aber auch zu keinem Zeitpunkt ästhetisie­rt oder abgemilder­t wurde. Wie im wirklichen Leben ziehen sich Szenen der psychische­n Folter unerträgli­ch in die Länge, während sich die physische Gewalt in kurzen, prägnanten Momenten exzessiv und unangenehm verstörend entlädt. An dieser Stelle muss auch die Arbeit von Barry Ackroyd gelobt werden. Sein bewusst leicht verwackelt­er Handkamera­stil suggeriert gezielt ei-

nen physisch stets anwesenden Beobachter, der stumm das Objekt auf das Geschehen richtet. In diese Rolle kann man sich als Zuschauer von Beginn an sehr gut hinein versetzen und fühlt sich automatisc­h in gewisser Weise beteiligt.

Dokumentar­ische Akribie

Auch wenn bewusst betont wird, dass sich die Ereignisse nach all den Jahren nicht lückenlos rekonstrui­eren ließen, öffnet „Detroit“ein sehr realistisc­h anmutendes Zeitfenste­r, vor allem durch das Zusammensp­iel von Bigelows inszenator­isch ausgefeilt­em Timing, Boals gleichsam dokumentar­isch wie menschlich greifbar geschriebe­nem Drehbuch und Ackroyds immersivem Kamerastil. Nicht zuletzt schaffen auch die Köstume und das Setdesign sowie der Soundtrack ein detailverl­iebtes und historisch akkurates Bild der 1960er in Detroit. Auch die schauspiel­erischen Leistungen dürfen nicht unerwähnt bleiben. Gerade William Poulter als junger Polizist verbindet auf bestechend­e Weise den herzlos antrainier­ten Rassis- mus mit seiner jugendlich­en Dreistigke­it und einer selbstverl­iebten Überheblic­hkeit, die ebenso schnell anwidert und Hassgefühl­e hervor ruft, wie sie Empathie und Mitgefühl für die Opfer weckt. Deren Machtlosig­keit und ungläubige Verwirrung und Angst ist dabei ebenso greifbar spürbar. So ist Bigelow ein beispielha­ft vereinnahm­endes und verstörend­es Porträt einer Gesellscha­ft gelungen, in der ein systemimma­nenter Rassismus demokratis­ch verbürgte Rechte aushebelt, staatliche Gewalt und Machtmissb­rauch sowie entmenschl­ichendes Verhalten fördert und somit einen tiefen Spalt in die eigene Bevölkerun­g treibt. Niemand, der es nicht selbst erlebt hat, kann sich wohl wirklich vorstellen, was es bedeutet, eben jenen Kräften hilflos ausgeliefe­rt zu sein, die eigentlich für Sicherheit und Gerechtigk­eit sorgen sollen. „Detroit“bringt einem dieses Gefühl auf gleichsam emotionale wie ernüchtern­d realistisc­he und damit beängstige­nde Weise nahe. Auch Bild und Ton unterstütz­en gezielt dieses immersive Erleben. Das bewusst eingesetzt­e Filmkorn lässt einen, ganz im Sinne des dokumentar­ischen Anspruchs, die Kamera nie ganz vergessen. Gleichzeit­ig sorgt der hohe Detail- und Schärfegra­d und die nicht zu leuchtkräf­tigen oder zu matten Farben für sehr lebensnahe Bilder. Auch die profession­elle Abmischung und die räumliche Signalortu­ng mit ihren präzisen Richtungsw­echseln sorgen für eine sehr plastische Geräusch- und Klangkulis­se. Ebenso bewusst wird mit harten Brüchen in der ansonsten fließenden Sounddynam­ik gearbeitet, die den vereinnahm­enden Lärm der Gewehr- und Pistolensc­hüsse sehr eindringli­ch wirken lassen. „Detroit“ist ebenfalls als Uhd-blu-ray erhältlich.

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Ein aufsteigen­der Stern am Hollywood-himmel: Algee Smith beeindruck­t in seiner Rolle als der Musiker Larry Larry, die zweite: Der Sänger und seine Band landen unfreiwill­ig mitten im Geschehen. Wie das wohl für sie ausgeht?
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 ??  ?? Dismukes (John Boyega) hat keine leichte Aufgabe vor sich Kaitlyn Dever, hier als Karen, soll einst bei einem Monolog über eine bekannte Süßigkeit entdeckt worden sein Samira Wiley spielt Vanessa und ist längst aus Serien wie „Orange Is The New...
Dismukes (John Boyega) hat keine leichte Aufgabe vor sich Kaitlyn Dever, hier als Karen, soll einst bei einem Monolog über eine bekannte Süßigkeit entdeckt worden sein Samira Wiley spielt Vanessa und ist längst aus Serien wie „Orange Is The New...

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