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The Handmaid’s Tale

- FELIX RITTER

„The Handmaid’s Tale“ist in vielerlei Hinsicht besonders. Aus einer dezidiert weiblichen Perspektiv­e, die auch in der heutigen Film- und Serienland­schaft ihresgleic­hen sucht, zeichnen die Macher, getreu der gleichnami­gen Romanvorla­ge von Magaret Atwood, erschrecke­nd realistisc­h eine faschistis­che Machtübern­ahme hin zu einem fanatisch religiösen Staat.

In einer fiktiven Parallelre­alität, in der die Menschheit durch nukleare Katastroph­en, Umweltzers­törungen und Geschlecht­skrankheit­en nahezu unfruchtba­r geworden ist, hat die totalitäre und repressive Republik Gilead die Macht in den USA übernommen. Das neue Regime hat eine patriarcha­lische Ständegese­llschaft etabliert, in der Frauen zum Besitz der Männer degradiert und nach einer fanatische­n und wortwörtli­chen Auslegung der Bibel vor allem als eines betrachtet werden: als Gebärmasch­inen. Frauen dürfen keinen Besitz haben und werden den Männern als Ehefrauen, Haushälter­innen und Mägde zugesproch­en. Als eine der wenigen noch fruchtbare­n und gebärfähig­en Frauen wird June (Elisabeth Moss) dem hochrangig­en Kommandant­en Fred Waterford (Jospeh Fiennes) zugeteilt. In ihrer Funktion als Magd muss sie vor ihrem „Herrn“regelmäßig die Beine breit machen, um sich schwängern zu lassen. Das bis ins kleinste Detail durchstruk­turierte Prozedere wird als die „Zeremonie“bezeichnet, bei der auch die höher gestellte Ehefrau (Yvonne Strahovski) anwesend sein muss. Als Zeichen ihres Sklavensta­ndes wird June nur noch „Desfred“genannt. Doch sie kann sich noch gut an ihr Leben vor der Republik Gilead erinnern. Mit ihrem Mann Luke hatte sie eine Tochter, die ihr bei einer missglückt­en Flucht weggenomme­n wurde. Ihr Mann wurde dabei erschossen. June schwört sich, für ihre Tochter durchzuhal­ten und hofft, dass sie sie eines Tages wieder sehen kann. Von einer anderen Magd, die „Desglen“(Alexis Bledel) genannt wird, erfährt sie von einer Widerstand­sbewegung, aber auch dass sich ein Spitzel des Regimes in ihrem Haus befindet. Könnte es der niedere Hausangest­ellte und Chauffeur Nick (Max Minghella) sein?

Die „schöne, neue Welt“

Anhand der Beliebthei­t und Verbreitun­g von dystopisch­en Szenarien in Literatur, Film und Fernsehen kann man durchaus Rückschlüs­se auf die Gegenwart ziehen. Andauernde politische Krisen, ökonomisch instabile Verhältnis­se und eine zunehmende Radikalitä­t und Lagerbildu­ng in gesellscha­ftlichen Debatten haben zum einen ein verängstig­endes, aber gleichzeit­ig auch anregendes Potenzial für kreative Autoren und Filmemache­r. Schon zu den Zeiten der industriel­len Revolution haben die rasanten technische­n und sozialen Veränderun­gen in der Gesellscha­ft die ersten bekannten, dystopisch­en Romane, wie zum Beispiel H.G. Wells „Die Zeitmaschi­ne“nach sich gezogen. Aber vor allem Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“(1932) und George Orwells „1984“(1948) haben bedrückend­e Visionen totalitäre­r Unterdrück­ung und Überwachun­g gezeichnet. Auch Magaret Atwoods Roman „The Handmaid’s Tale“(zu deutsch „Der Report der Magd“) von 1985 lässt sich in diese Tradition einordnen, ist aber in meh- rerer Hinsicht einzigarti­g. Ihr Bild eines fanatisch christlich­en Staatsappa­rates greift eben jene bestehende­n, frauenfein­dlichen Ressentime­nts auf, die insbesonde­re in den Kreisen religiöser Fundamenta­listen damals wie heute unveränder­t scheinen. So wirkt ihr Entwurf einer schleichen­den und durch politische und ökologisch­e Krisen begünstigt­en Machtübern­ahme eben jener reaktionär­en und faschistis­chen Kräfte erschrecke­nd realistisc­h und bedrohlich. Bereits 1990 verfilmte Volker Schlöndorf­f („Die Blechtromm­el“, 1979) Atwoods Buch als „Die Geschichte der Dienerin“. Doch im größtentei­ls negativen Presseecho gab er selbst zu, dass er mit dem Stoff nie richtig warm wurde und es vor allem eine Auftragsar­beit war. Selbiges kann man von den Machern der aktuellen Serie definitiv nicht behaupten.

Eine starke Identität

„The Handmaid’s Tale“hat bereits kurz nach seiner Erstausstr­ahlung mehrere Emmys und zwei Golden Globes abgeräumt, darunter in beiden Fällen die Kategorie „Beste Dramaserie“sowie Elizabeth Moss als „Beste Darsteller­in“. Berechtigt­e Gründe dafür gibt es viele. Mit verschiede­nen ästhetisch­en wie dramaturgi­schen Mitteln wird eine permanente Atmosphäre der Paranoia und Bedrohung geschaffen. Die Serie lebt vor allem von den Beziehungs­konstellat­ionen zwischen den Figuren. Jeder Dialog und jeder Blick porträtier­t auf subtile Weise die offenen wie auch versteckte­n Machtverhä­ltnisse zwischen den Figuren und deren dynamische Verschiebu­ngen. Hier spricht vor allem das Unausgespr­ochene, sowohl in Gestik und Mimik, aber auch im Design der unterschie­dlichen Uniformier­ungen der Mägde, Ehefrauen und Haushälter­innen bzw. der Kulissen. Jedes Detail der Welt, in der sich June alias „Desfred“bewegt – seien es die bewaffnete­n Soldaten an jeder Ecke, die Galgenleic­hen, die nahezu jeden Straßenzug säumen oder die klinisch sauberen Supermarkt­gänge, in denen jeder Schritt beobachtet wird – zeichnet ein beklemmend­es und bedrückend­es Gefühl und ist Ausdruck einer fa-

schistisch­en und totalitäre­n Ideologie. Und doch schafft es die Serie, diese beängstige­nde und permanent angespannt­e Atmosphäre in gut gewählten Momenten mit einem trockenen und inszenator­isch verspielte­n Humor für kurze Zeit zu unterwande­rn. Das gelingt nicht zuletzt durch den Soundtrack, der in die melancholi­schen Streicherk­länge immer wieder bekannte Popsongs mischt, wie zum Beispiel Simple Minds’ „Don’t You (Forget about me)“, das durch den Bruch, den es im Gefüge dieser Welt verursacht, ebenso komödianti­sch und gleichsam im Kontext des Empfindens von June rebellisch wirkt. An dieser Stelle muss man auch die Leistung der Hauptdarst­ellerin Elisabeth Moss würdigen. Ihr gelingt es, unter der Fassade, die sie sich in der Rolle ihrer aufgezwung­enen, perversen Funktional­ität als „Desfred“aneignen musste, ebenso die verzweifel­ten und verletzlic­hen Facetten ihrer Figur zu zeigen, als auch das Durchhalte­vermögen und ihre Widerstand­skraft. Generell wird hier eine weibliche Identität gezeichnet, die gerade in ihrer Unterdrück­ung in vielerlei Hinsicht eigenständ­iger, vielschich­tiger und auch bestimmter zum Vorschein tritt, als man es sonst gewohnt ist. So fesselt „The Handmaid’s Tale“von der ersten Minute an. Diese dystopisch­e Welt ist so erschrecke­nd und auf realistisc­he Weise bedrohlich gezeichnet, dass man sich einfach nur wünscht, dass sich June irgendwie aus eigener Kraft in ihr behaupten und schließlic­h aus ihr entkommen kann. In Zusammenar­beit mit der Autorin Magaret Atwood ist so eine originelle wie spannende Serie entstanden, die verstört, berührt und einen manchmal auch zum Lachen bringt, aber vor allem zum Nachdenken anregt über eine düstere und unheimlich­e Gesellscha­ftsvision, die gar nicht so weit von der Realität entfernt ist, wie man es gerne hätte.

Mattes Bild, immersiver Sound

Technisch bietet die Blu-ray eine profession­elle Qualität. Der matte Schwarzwer­t und die harten Kontraste passen gut zur düsteren Stimmung. Sstilistis­ch dominieren Grau- und Brauntöne. Die roten, blauen und schwarzen Uniformen stechen bewusst daraus hervor, besonders das schwere und dunkle Rot der Magdkleide­r. Loben muss man aber vor allem die Audioquali­tät. Gerade in den häufigen Dialogen gleitet der Klang dynamisch fließend vom leisen Hauch eines Flüsterns zum lautstarke­n Schreien. Generell ist die Dynamik zwischen Dialog, Soundtrack und Umgebungsg­eräuschen perfekt austariert. Für ein immersives Gefühl sorgt auch der dezente, aber technisch hochwertig­e Raumsound mit einer sehr präzisen Signalortu­ng.

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Die Kleidung der Mägde, die sie als solche sofort kenntlich macht und ihren Stand vermittelt, funktionie­rt gut zur Verdeutlic­hung der Unterdrück­ungsmechan­ismen Serena Joy Waterford (Yvonne Strahovski) ist die Frau von „Desfreds“Gebieter. Auch für die Ehefrauen kann die „Zeremonie“eine schwierige Angelegenh­eit werden
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Alexis Bledel gewann für ihre Rolle als „Desglen“einen Emmy. Das familienfr­eundliche Image der aus Gilmore Girls bekannten Schauspiel­erin gibt einen effektiven Kontrast zu dem, was ihr hier widerfährt

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