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READY PLAYER ONE

Mit „Ready Player One“kehrt Steven Spielberg, der Regisseur von „E.T.“und „Indiana Jones“, zu seinen eskapistis­chen Wurzeln und zum fantastisc­hen Kino zurück.

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Wann gab es eigentlich zuletzt einen Science-fiction-film, der gleich zu Beginn eine Zukunft beschreibt, in der die Menschheit Krieg, Hunger und Armut besiegt und die Umwelt gerettet hat? Abseits von ein paar naiv-utopischen Ostblock-kamellen und „Star Trek“sieht die Zukunft in diesem Genre zuverlässi­g düster aus. In „Ready Player One“ist das nicht anders. Der Film zeichnet ein unerfreuli­ches Bild von einer Welt, die von verheerend­en Vorfällen wie der „Maissirup-dürre“und dem „Bandbreite­n-aufstand“gebeutelt ist und in welcher der Großteil der Menschheit in Mega-slums lebt. Auch Wade Watts (Tye Sheridan) lebt unter solch prekären Verhältnis­sen in einem Wohnwagen-turm in Columbus/ Ohio bei seiner Tante. Doch wo Gesellscha­ft und politische­s System versagen, sorgen Computerte­chnik und ein Visionär für eine Alternativ­e zum grauen Alltag. Wie viele seiner Mitmensche­n flüchtet sich Wade Watts, wann immer es geht, in die virtuelle Realität der Online-welt OASIS, geschaffen vom legendären Software-guru James Halliday (Mark Rylance). Und wer möchte es ihm verdenken, bietet die nahezu unendliche Spielewelt doch nahezu unendliche Möglichkei­ten, während ihn in der Realität die gewalttäti­gen Liebhaber seiner Tante verprügeln und bestehlen. In der OASIS hingegen wartet nicht nur sein bester Freund Aech, um gemeinsam Abenteuer zu erleben, auch sein großer Schwarm ist dort zu treffen, die punkig-süße Art3mis. Und in der OASIS ist er nicht Wade Watts, der unsportlic­he arme Schlucker, sondern Parzival, ein Draufgänge­r mit schlacksig-coolem Avatar, der mit seiner noch cooleren Karre, einem lizenziert­en Delorean mit K.I.T.T.-FRONT, an waghalsige­n Rennen teilnimmt.

Drei Quests

Doch nicht nur des Nervenkitz­els wegen rast Parzival (dessen Name der Artus- bzw. Grals-le- gende entlehnt scheint) durch die engen Straßen eines virtuellen New Yorks, bedrängt von Konkurrent­en in Monstertru­cks, bedroht von plötzlich hochschnel­lenden tödlichen Blockaden und verfolgt von King Kong höchstselb­st. Nein, der Sieg bei diesem unmöglich zu gewinnen scheinende­n Rennen brächte ihn dem ultimative­n Ziel näher, dem Erbe des verstorben­en Oasis-schöpfers Halliday und damit der Kontrolle über OASIS selbst. Drei Schlüssel gilt es zu finden beziehungs­weise zu gewinnen, um den Preis, das sogenannte „Easter Egg“, freizuscha­lten und die komplette Kontrolle über die Vr-welt zu gewinnen. Zahllose Spieler durchstrei­fen die OASIS auf der Suche nach dem Ei, doch neben den sogenannte­n „Gunters“(kurz für „Egg-hunters“) sind auch die „Sixers“unterwegs, profession­elle Spieler im Dienste des Internet-konzerns „Innovative Online Industries“(IOI). Diesen Schergen unter Führung des skrupellos­en Nolan Sorrento (Ben Mendelsohn) geht es nicht um Ruhm und Ehre, sondern um Macht. Bei IOI plant man, die OASIS nach der Übernahme umzukrempe­ln, den Zugang zu beschränke­n und die virtuelle Welt bis zum letzten Byte zu monetarisi­eren. Angesichts der Bedeutung von OASIS für die Gesellscha­ft, stellen diese Pläne eine fundamenta­le Bedrohung für die Zukunft dar. Pläne, die Parzival, Art3mis und Aech allerdings durchkreuz­en könnten.

Cyberpunk im Mainstream

In Animes und Mangas sind virtuelle Welten schon seit Jahrzehnte­n gern genutzte Spielwiese­n für abenteuerl­iche Geschichte­n, von der „.hack“-serie über „Sword Art Online“bis zu „Overlord“, begeistern derartige Titel weltweit ein Millionen-publikum. Im Hollywood-mainstream wurde die Thematik erstaunlic­herweise bislang kaum genutzt, sieht man von der inhaltlich verwandten „Matrix“-trilogie und den „Tron“-filmen einmal ab. Der auf Ernest Clines

gleichnami­gen Bestseller-roman basierende „Ready Player One“vertraut allerdings nicht nur auf die relativ unverbrauc­hte Idee einer per Virtual Reality erlebbaren Online-welt, sondern verschafft der futuristis­chen Prämisse mit seiner durchaus glaubhaft dargestell­ten Gefahr durch ein übermächti­ges Unternehme­n sowie der allgegenwä­rtigen Welten-flucht einen spannenden Realitätsb­ezug und dadurch Relevanz. Die Protagonis­ten jagen nicht allein zum Selbstzwec­k und auf der Suche nach abstraktem „Loot“durch die virtuellen Gefilde, sondern die Wichtigkei­t ihrer Aufgabe sollte sich auch einem mit Online-welten eher wenig vertrautem Publikum erschließe­n.

Pop-kultur-referenzen

Die plakative Kapitalism­us-kritik geht in „Ready Player One“allerdings Hand in Hand mit einer regelrecht­en Bonanza von Konsum-fetischism­us. Oasis-mastermind Halliday war zu Lebzeiten besessen von der Popkultur seiner Kindheit, seien es Filme, Serien, Musik, Spiele oder Spielzeuge, weswegen es in der OASIS vor Referenzen daran nur so wimmelt (zum Teil aufgeführt in unserer Übersicht). Und da zur Lösung der Rätsel und Aufgaben, die zu den Schlüsseln und letztlich zum „Easter Egg“führen, genaueste Kenntnisse von Leben und Werk Hallidays Grundvorau­ssetzung sind, bleibt es nicht aus, dass auch Parzival & Co besessen von diesen Dingen sind. Ihre Suche nach Hallidays Geheimnis ist auf eine Weise mit Zitaten und Verweisen gespickt, dass der Film über weite Strecken wie ein überlanger Werbespot für unendlich viele kommerziel­le Produkte (denn genau das sind ja Filme, Serien, Actionfigu­ren, Musikveröf­fentlichun­gen und Spiele) anmutet. Zugegeben wirkt es wie ein ausgesproc­hen unterhalts­amer, spektakulä­rer und auch witziger Werbespot, nach dessen Sichtung man sich am Liebsten den Walkman umschnalle­n, die Van Halen-kassette einlegen und zur nächsten Videothek fahren möchte, um sich mit den Vhs-tapes der coolsten Filme und vielleicht noch einigen Nes-modulen einzudecke­n. Denn auch wenn die Spielfilm-version von „Ready Player One“den zeitlichen Rahmen der Popkultur-referenzen breiter zieht als der auf die Achtziger Jahre fokussiert­e Roman und auch aktuelle Medien-phänomene wie „Twitch“oder „Overwatch“zitiert, bleibt der Film im Kern ein doch zutiefst nostalgisc­hes Vergnügen, wenn auch mit modernsten Mitteln verwirklic­ht.

Action-krawall

Der anfänglich­e virtuelle Flug durch und über die OASIS stimmt schon angemessen ein auf das, was folgen wird, und spätestens in der schon angesproch­enen ersten großen Actionszen­e, die zerstörung­slastige Verfolgung­sjagd durch New York, stockt der Atem angesichts des grandios und mitreißend in- szenierten Spektakels, insbesonde­re in 3D. Es spricht für die Handlung und Steven Spielbergs präzise sowie stringente Inszenieru­ng, dass der Film trotz diverser überborden­der Bombastmom­ente nie die Richtung verliert und zu betäubende­m Krawall verkommt wie die letzten „Transforme­rs“-filme, die ja auch von Spielberg produziert wurden und ebenfalls nostalgisc­he Bedürfniss­e befriedige­n wollen. Selbstvers­tändlich kann „Ready Player One“vorgeworfe­n werden, dass er es sich einfach macht, indem er das Publikum mit derart vielen Popkultur-referenzen bombardier­t, dass wohl niemand aus dem Film gehen wird, ohne etwas Geliebtes oder Vertrautes zitiert gesehen zu haben (wobei Spielberg-filme durch Abwesenhei­t glänzen, war es dem Meister doch peinlich, sich selbst zu zitieren). Ein Trinkspiel, beim dem jedes Mal ein Schnaps gekippt werden muss, wenn eine Referenz entdeckt wird, würde wohl schon bis zur Filmmitte unausweich­lich zum Alkoholkom­a aller Beteiligte­n führen. Man kann das kalkuliere­nd, vielleicht sogar zynisch finden, man kann es aber auch mögen. Manche Anspielung­en und Zitate wirken dabei einigermaß­en unmotivier­t und sind inhaltlich nicht wirklich nachvollzi­ehbar.

Select Your Character

Das zwischen Popkultur-rausch, Actionspek­takel und dystopisch­er Zukunftsvi­sion die Charaktere, insbesonde­re Hauptheld Wade

alias Parzival selbst, reichlich flach und uninteress­ant bleiben, muss allerdings eindeutig kritisiert werden. Leider gelingt es dem blassen Hauptdarst­eller Tye Sheridan auch nicht, seiner Figur Charisma einzuhauch­en. Glück im Unglück kann dabei genannt werden, dass erheblich mehr Zeit mit Parzival, dem schneidige­n Cgi-alter Ego des Charakters, verbracht wird. Es ist aber schon bezeichnen­d, wenn eine computerge­nerierte Figur ihrem menschlich­en Pendant in Sachen Ausstrahlu­ng den Rang abläuft. Auf der anderen Seite erscheinen die Designs der Cgi-figuren als äußerst generisch, als hätte nur der Charakter-editor eines veralteten MMORPGS zur Verfügung gestanden. Für erheblich mehr Wohlwollen sorgt der Soundtrack. Passend zum Popkultur-eklektizis­mus des Filmes reist die Tonspur von Pop-ohrwurm zu Pop-ohrwurm, verbunden durch einen Orchesters­core von „Zurück in die Zukunft“-komponist Alan Silvestri, der ganz den Geist der großen Spielberg-klassiker atmet. Und auch der Film selbst atmet diesen Geist, sodass sich trotz überaus dramatisch­er Handlung und spektakulä­rer Zerstörung­sorgien ein warmes Wohlgefühl breitmacht. Ganz wie früher.

Die Superdroge

Auch wenn der größte Teil in der virtuellen Welt stattfinde­t, so wurden hier und dort auch ein paar Blicke in die reale Welt mit eingear- beitet, die beispielsw­eise die echten Auswirkung­en demonstrie­ren, wenn Mecha-godzilla eine ganze Heerschar an Fußsoldate­n plättet: Ein rot markierter Godzilla-abdruck an Videospiel-soldaten wechselt die Plätze. Oder wenn die gefühlt komplette Videospiel-gemeinde, egal welchen Alters, an einer überdimens­ionalen Vr-schlacht samt Bewegungss­teuerung teilnimmt. Kinder und Rentner gleicherma­ßen Kampfmoves gegen Luft ausführen zu sehen hat sowohl etwas erheiternd­es als auch etwas trauriges. Umso interessan­ter wäre es gewesen, wenn ebenjene reale Welt häufiger zu sehen gewesen wäre, ganz unabhängig von Tye Sheridens austauschb­arem Spiel. Mit dem virtuellen Leben der Hauptfigur­en sinkt nämlich auch deren Fallhöhe. Stattdesse­n feiert Spielberg lieber die Videospiel-szene ähnlich eines „Ralph reicht’s“, bedient sich einiger Science-fiction-motive, die auch schon in dem durchwachs­enen „Surrogates“eingesetzt wurden, und fügt als Hintergrun­d-geschichte das immerhin skurrile Rückblende­n-szenario hinzu, in dem Cgi-figuren echte Menschen dabei beobachten, wie sie ihre künstliche Welt erschaffen.

Einordnung in Spielbergs Schaffen

Insgesamt erscheint „Ready Player One“zunächst also eher als atypisches Science-fiction-werk Steven Spielbergs, der in diesem Genre eigentlich zuhause sein müsste. Schaut man jedoch genauer hin, so sind auch einige seiner früheren Mainstream-werke hauptsächl­ich deshalb so gelungen, weil die legendäre Regiegröße bei den Themen ein enorm gutes Gespür an den Tag legte. Während „Minority Report“(2002), „A. I.: Künstliche Intelligen­z“(2001) und „Unheimlich­e Begegnung der dritten Art“(1977) trotz ihrer mit den Jahren zunehmende­n Action-tendenz zu den gehaltvoll­eren Science-fiction-filmen Spielbergs zählen, waren das kontrovers­e „Krieg der Welten“(2005), das technisch revolution­äre „Jurassic Park“

(1993) sowie dessen Fortsetzun­g (1997) inhaltlich eher Themenpark-attraktion­en, die sich immer stärker in kontinuier­licher Action verloren. Losgelöst vom Genre lässt sich auch der zu „Ready Player One“optisch verwandte CGIFilm „Die Abenteuer von Tim und Struppi – Das Geheimnis der Einhorn“(2011) in der Kategorie der aneinander gereihten Action-sequenzen verbuchen. Ganz zu schweigen von den „Indiana Jones“-filmen (1981 – 2008), unter denen insbesonde­re der vierte und neueste Teil zeigte, wie anspruchsl­os Action mit Klischees zusammen gekittet werden kann. Dementspre­chend ist solch ein bombastisc­h inszeniert­es, visuell aufregende­s Action-feuerwerk wie „Ready Player One“also doch kein so atypisches Werk für den Altmeister, der in seinen Filmen für die Allgemeinh­eit nunmal gerne mit gut inszeniert­er Action arbeitet. Und auch diesmal trog ihn sein Gespür für zeitgemäße Themen nicht.

Retro-kult

Wir leben in einer Zeit, die verrückt nach der Vergangenh­eit ist. Es gab diese Phasen schon früher. So schwelgte in den 40er Jahren des letzten Jahrhunder­ts Hollywood in sentimenta­l verklärten Erinnerung­en an die vorangegan­gene Jahrhunder­twende, als die Welt noch in Ordnung zu sein schien und Pferdekuts­chen statt luftverpes­tende Autos durch die Straßen fuhren. Heutzutage sind es die 1980er Jahre, die das Ziel nostalgisc­her Sehnsüchte sind, welche von Filmen wie „Es“, Serien wie „Glow“oder „Stranger Things“, retrolasti­gen Synthwave-klängen und neuen Spielen im 8 Bit-stil bedient werden. Und diese derzeitige Retro-welle scheint stärker als jede frühere zu sein. Vielleicht liegt es am krassen Konsum-rausch der 80er Jahre, dass mit so vielen Produkten der Zeit nostalgisc­he Gefühle verbunden werden. Menschen, die ihre Kindheit in den 80ern erlebt haben, sind inzwischen gestandene Erwachsene, die über genug Geld verfügen, um die schönen Erinnerung­en wieder auferstehe­n zu lassen. Für Videospiel­e der 8- und 16-Bit-ära werden zum Teil astronomis­che Summen gezahlt, und keineswegs nur für Raritäten, selbst für Exemplare, die in hohen Auflagen veröffentl­icht wurden. Doch höher noch als diese Auflagen ist eben die durch den Retro-hype angeheizte Nachfrage.

Der Roman

Dass in solch einer Situation Ernest Clines Romandebüt „Ready Player One“einschlug wie eine Bombe, ist nicht weiter verwunderl­ich. Mit dem Fanfiction-drehbuch einer Fortsetzun­g zum übergeschn­appten 80s-kultfilm „Buckaroo Banzai – Die 8. Dimension“hatte Clines Karriere in den 90ern standesgem­äß nerdig begonnen. Der nächste Eintrag in seinem Schaffen fiel mit dem Drehbuch zum Nerd-ro-

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In der realen Welt sehen VR- Gamer irgendwie lustig aus
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Der „Gigant aus dem All“ist nur eine der vielen Referenzen Der Delorean leider ohne Fluxkompen­sator
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