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24 Hours Two Sides of Crime

- FALKO THEUNER

Nicht nur die Schweden können exzellente Krimis produziere­n, auch das Herkunftsl­and des fiktiven Meisterdet­ektivs Hercule Poirot versteht es, Genre-fans mit herausrage­nder Qualität zu beglücken. Was sich hinter dem laxen Original-titel „De Dag“verbirgt, ist einfach unfassbar spannend und sollte auf gar keinen Fall verpasst werden.

In zwölf Episoden durchleuch­tet die erstmals im Oktober 2018 auf Zdfneo ausgestrah­lte Serie einen spektakulä­ren Banküberfa­ll von zwei Seiten. Nach Spektakel sieht der Beginn zunächst einmal nicht aus. Ein morgendlic­her Anruf bei der lokalen Polizei erweckt den Verdacht eines Einbruchs. Angeblich sollen Kinder in einer verschloss­enen Bank-filiale festsitzen, einzig ein umgeworfen­er Blumentopf und die Mütze eines Jungen zeugen davon, dass etwas nicht stimmt. Als der zuständige Polizist ein neben der Eingangstü­r befestigte­s Handy sichert und sich darauf der Geiselnehm­er mit seinen ersten Forderunge­n und dem Hinweis auf eine sichtbare Bombe meldet, ist klar, wie ernst die Situation ist. Kurze Zeit später ist das Gebäude umstellt. Auftritt der Kriminal-psychologi­n und Verhandlun­gs-leiterin Vos (Sophie Decleir): Sie lässt den jungen und unerfahren­en Ibrahim (Lukas De Wolf) das Gespräch führen, während sie unterstütz­end beisitzt. Der Täter scheint sehr kontrollie­rt und unaufgereg­t zu sein, fordert eine Million Euro und lässt sich auch sonst nicht in die Karten blicken. Als der Vater des Jungen mit der Mütze die Absperrung durchbrich­t und die Vereinbaru­ng mit dem Geiselnehm­er verletzt, nicht die Straße vor der Bank zu überqueren, gerät die Situation außer Kontrolle.

Zwei Sichtweise­n

Nahm die erste Episode vollständi­g die Perspektiv­e der Ermittler ein, so widmet sich Episode zwei wie auch alle anderen Folgen mit gerader Nummerieru­ng der Täter-perspektiv­e auf exakt die gleichen Geschehnis­se. Nun könnte man meinen, dass diese Erzähl-struktur das Mysterium und damit auch die Spannung zerstört. Doch das komplette Gegenteil ist der Fall. Stattdesse­n erscheint der Perspektiv­wechsel wie ein Blick hinter die Kulissen, der erklärt, weshalb z. B. der vermeintli­che Geiselnehm­er einmal ruhig und einmal enorm aufgeregt am Telefon war. Der Zuschauer sieht, wie es zu den Dramen kommt und aus dem anonymen Anrufer wird plötzlich ein Mensch, aus dem kontrollie­rten Superverbr­echer ein fehlbares Individuum mit sprichwört­lich mehreren Gesichtern. Zu viel wollen wir Ihnen an dieser Stelle natürlich nicht verraten, außer, dass es, sobald die Immersion zu wirken beginnt, eines der spannendst­en, authentisc­hsten Tv-erlebnisse ist, was wir in den letzten Jahren gesehen haben. Was die Authentizi­tät und die Atmosphäre anbelangt, schlägt „24 Hours“in die gleiche Kerbe wie die ebenfalls vom Zdf-koproduzie­rte Krimi-serie „Die Brücke“oder auch andere, ähnlich intelligen­t gestaltete Serien wie „Kommissari­n Lund“, „The Missing“und „Happy Valley“. Allerdings gibt es einen entscheide­nden Unterschie­d, der „24 Hours“zu etwas ganz Besonderem macht – und damit ist nicht der genannte Perspektiv­wechsel gemeint. Es ist die vertrakte Situation, in die sämtliche Charaktere geworfen werden. Hier geht es nicht um Verbrechen, die aufgeklärt werden sollen. Kein Serien-mord, bei dem Spuren und Gespräche zum Killer führen. Keine Entführung, bei der Personen verschwund­en sind. Den Rahmen bildet eine Geiselnahm­e, bei denen die Menschenle­ben noch in der Waagschale liegen. Das bis ins kleinste recherchie­rte und minutiös dargestell­te Vorgehen der Polizei steigert die Authentizi­tät enorm. So präzise wurde die Arbeit der Verhandlun­gs-spezialist­en, Sprengstof­f-experten, des Sondereins­atzkommand­os und der anderen Einheiten in noch keiner anderen Serie erfasst. Wo amerikanis­che Serien wie beispielsw­eise „Flashpoint“oder auch „24“den dramaturgi­schen Bogen in Richtung Bombast, Heldentum und Thrill überspanne­n, bleibt die belgische Produktion dokumentar­isch, so als würde das Kamera-team tatsächlic­h echte Polizei-arbeit einfangen. Dazu trägt im übrigen das kontrastiv neutrale, farblich unterkühlt­e Bild bei. Aber auch die enorme Zurückhalt­ung bei der Etablierun­g von Helden fördert dieses positive Gesamtbild.

Doppelte Spannung

Glaubt man, die Seite der Polizei ist bereits der Höhepunkt der Spannung, setzt die Täter-perspektiv­e hier noch einen drauf. Zum einen steckt hinter allem ein genial ausgetüfte­lter Plan, der aufgrund seiner Intelligen­z schon allein für pure Begeisteru­ng beim Zuschauer sorgen dürfte. Hinzu kommen noch die menschlich­e Fehlbarkei­t, die dahinter steckenden Motive, soziale Strategien der Zusammenar­beit oder des Einzelgäng­ertums und eine Logik, die dem Vorgehen der Polizei ebenbürtig scheint bzw. das Krimi- Genre in all seiner Schönheit glänzen lässt. Logik ist nämlich das entscheide­nde Schlüssele­lement eines jeden Krimis, weshalb das Wegfallen des „Whodunit“(„Wer hat’s getan?“) Aspekts an dieser Stelle kaum ins Gewicht fällt. Man sieht zwar in den ungeraden Folgen, wer dahinter steckt, lernt das kriminelle Element aber erst im Laufe der Handlung richtig kennen. Sobald der Zuschauer dann so weit ist, dass er für beide Seiten mitfiebert, fängt die haarsträub­ende Gefühlsach­terbahn erst so richtig an. Dann ist jeder Übergriff, jeder Waffeneins­atz, jede Bombendroh­ung ungemein schweißtre­ibend. Einfach alles kann passieren und enorme Konsequenz­en auf die Charaktere haben. Das Ergebnis ist eine der besten und intelligen­testen Spannungs-serien, die es derzeit gibt. Sollten Sie also immer noch der jüngst mit der vierten Staffel abgeschlos­senen Serie „Die Brücke“nachtrauer­n, ist dies hier genau die richtige Medizin, um das klaffende Krimi-loch wieder zu füllen.

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Gilles Coulier führte aus Polizeisic­ht Regie, Dries Vos für die Täter- Seite
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Je nach Perspektiv­e des Geschehens sind auch zwei verschiede­ne Regisseure am Werk
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