Magischer Raumklang
Aus gegebenen Anlass wollen wir uns mit einer der wohl am wenigsten verbreiteten, aber auch spannendsten Lösung für eine wahrhaft räumliche Klangerfahrung beschäftigen: Die Wellenfeldsynthese!
Seitdem Schallaufzeichnung und -wiedergabe die Welt der Monophonie verlassen haben, war die Bestrebung einen möglichst räumlichen Höreindruck zu erzielen, ein steter Antrieb der technischen Weiterentwicklung im Audiobereich. Ein vergleichsweise junger wie interessanter Ansatz ist die sogenannte Wellenfeldsynthese oder abgekürzt WFS. Dieses Verfahren wurde ab 1988 von Professor Guus Berkhout an der Technischen Universität Delft in den Niederlanden entwickelt. Ziel der Wellenfeldsynthese ist es, das Schallfeld eines Raumes in einem anderen Raum realistisch zu rekonstruieren oder eben zu synthetisieren. Klingt vielleicht etwas nach Science-fiction, jedoch werden Systeme, die mit Wellenfeldsynthese arbeiten, längst eingesetzt. So etwa bei den Begrenzer Festspielen oder auch an diversen Kinos und Universitäten.
Die Hörposition
Um zu verdeutlichen, was an der Wellenfeldsynthese so faszinierend ist, und wo sie sich genau von anderen Mehrkanal- beziehungsweise Surround-systemen unterscheidet, ist es hilfreich sich erst einmal kurz vor Augen zu führen, wie letztere überhaupt Räumlichkeit erzeugen. Und zwar positionieren diese die aufgenommenen Schallquellen als sogenannte Phantomschallquellen auf einer Linie zwischen jeweils zwei Lautsprechern. Dies wird durch Pegel- sowie Laufzeitunterschiede zwischen dem an beiden Lautsprechern anliegenden Signal erreicht. Zwar funktioniert das wie wir alle wissen in der Praxis recht ordentlich, hat jedoch ein entscheidendes Problem: Diese Systeme funktionieren nur in einer stark begrenzten Hörzone optimal. Genau. Wir reden vom viel zitierten „Sweet Spot“. Befindet sich der Hörer außerhalb dieses engen Bereichs, ist die eigentlich gewünschte Lokalisation der Phantomschallquellen im Normalfall nicht mehr gegeben und somit wird auch die Qualität des räumlichen Eindrucks gemindert. Die Wellenfeldsynthese hingegen arbeitet mit virtuellen Schallquellen, die in ihrer idealen Form die gleichen Eigenschaften aufweisen wie echte Schallquellen im Raum. Das heißt, sie sind ortsstabil und unabhängig von der Hörposition in der gesamten Hörzone lokalisierbar. Das dabei der Wellenfeldsynthese zu Grunde liegende physikalische Modell ist das Huygenssche Prinzip und damit schon seit 1678 bekannt. Manchmal will gut Ding eben Weile haben. Das Prinzip besagt, dass jeder Punkt einer Wellenfront als Ausgangspunkt einer neuen Welle, einer sogenannten Elementarwelle gesehen werden kann. Die Überlagerung dieser Elementarwellen bildet wiederum eine neue Wellenfront, die mit der ursprünglichen Wellenfront identisch ist. Auf die Ausbreitung von Schall bezogen bedeutet dies, dass man jeden Punkt einer sich von einer Schallquelle ausbreitenden Welle also prinzipiell als unendlich viele Einzelquellen verstehen kann. Die nächste wichtige Grundlage, um zu verstehen, wie Wellenfeldsynthese funktioniert, ist, dass wenn Schalldruck und die Schallschnelle an jedem Punkt der Umrandung einer geschlossenen Fläche oder der Oberfläche eines geschlossenen Volumens bekannt sind, sich daraus der Schalldruck an jedem Punkt in dieser Fläche
oder diesem Volumen berechnen lässt. Somit lässt sich theoretisch jedes Schallfeld mit einer unendlichen Anzahl an Lautsprechern rekonstruieren. Dabei erscheint die originale Schallquelle dann als virtuelle Schallquelle wiedergegeben im Raum. In der Praxis wird Wellenfeldsynthese meistens zur Simulation eines Schallfeldes auf horizontaler Ebene verwendet, und zwar mittels einer natürlich finiten Zahl an Lautsprechern meist auf Kopfhöhe. Im Idealfall sind diese als Kreis angeordnet. Auf die vertikale Ebene wird in der Regel verzichtet, obwohl diese theoretisch ebenfalls realisierbar ist. Der Einfachheit halber beschränken wir uns im Folgenden ebenfalls auf die Wellenfeldsynthese auf horizontaler Ebene.
Impuls und Faltung
Interessant ist natürlich wie der Prozess der Aufnahme für ein solches System funktioniert. Anders als man vielleicht erwartet, wird hier die Schallquelle selbst, zum Beispiel eine Geige oder dergleichen, zunächst möglichst direkt und „trocken“, soll heißen mit so wenig Raumanteil wie möglich aufgenommen. Oder anders gesagt, man versucht bei der Aufnahme einen hohen Direktschallund einen geringen Diffusschallanteil einzufangen. Daher findet die Aufnahme sehr nah an der Schallquelle statt. Die akustischen Eigenschaften des Aufnahmeraumes werden separat mittels eines Messsignals, etwa eines Impuls, und der darauf erfolgenden Impulsantwort des Raumes bestimmt und gespeichert. Mittels dieser Impulsantwort lassen sich die Eigenschaften des Raumes, wie zum Beispiel dessen Nachhallzeit bestimmen. Bei der Wiedergabe wird dann im Wave Field Synthesizer das Direktsignal der Schallquelle mit der Impulsantwort mittels Faltung verrechnet. So erhält die Schallquelle die relevanten Rauminformationen wie Ort und Nachhall zurück. Es ist von daher auch möglich Schallquellen sozusagen in einen anderen Raum zu versetzten, in dem man die Impulsantwort eines anderen Raumes verwendet. Neben Impulsantworten echter Räume ist sogar die Verwendung von nach akustischen Modellen berechneten, man könnte auch sagen synthetischen, Raumantworten möglich.
Vorteile und Fähigkeiten
Den wohl größten Vorteil – die ortsfesten virtuellen Punktschallquellen, die mittels WFS zu erzeugen sind – haben wir bereits erwähnt. Dadurch, dass diese wie gesagt unabhängig von der Hörposition innerhalb der Hörzone lokalisierbar sind, kann man als Hörer förmlich in die akustische Szene eintauchen und sich sogar in ihr bewegen. Bisher unerwähnt blieb, dass diese virtuellen Schallquellen sogar vor den Lautsprechern liegen können. Die Phantomschallquellen herkömmlicher Mehrkanalsysteme liegen entweder auf einer Linie mit, oder hinter den Lautsprechern. Neben virtuellen Punktschallquellen, kann man mittels Wellenfeldsynthese jedoch auch ebene Wellen erzeugen. Die Richtung des Hörereignisses ist innerhalb der Hörzone für diese Wellen ebenfalls immer gleich. Diese bieten sich vor allem für die Abbildung von Atmosphären an.
Praxis und Probleme
Für wen das alles zu gut klingt, um wahr zu sein, hat zumindest in mancherlei Hinsicht recht. Die Wellenfeldsynthese bringt auch eine Reihe an Problemen, oder zumindest Einschränkungen mit sich. Da wäre zunächst anzuführen, dass sie einen extrem reflexionsarmen Raum, ideal sogar einen schalltoten Raum voraussetzt. Wandreflexionen des eigentlichen Hörraums können sonst die Wirkung der WFS stark beeinträchtigen und zu Überlagerungen und ungewollten Interferenzen führen. Auch arbeitet die WFS nur bis zu einer bestimmten oberen Grenzfrequenz wirklich korrekt. Die Grenzfrequenz bestimmt sich durch den Abstand der Lautsprecher zueinander und dieser muss verhältnismäßig klein sein im Verhältnis zur Wellenlänge der Frequenz, die noch sauber übertragen werden soll. Oberhalb dieser Frequenz kommt es zu spektralen und räumlichen Fehlern. An den Enden der Lautsprecher-anordnung kann es zu „Spatial-truncation“kommen. Gemeint sind damit Beugungseffekte, die sich bei virtuellen Schallquellen als Vor- oder Nachechos bemerkbar machen können. Durch einen geringeren Pegel der am Rand der Anordnung befindlichen Lautsprecher kann dieser Effekt minimiert werden. Jedoch auf Kosten einer verkleinerten Hörzone. Und ganz ohne Frage sind Wfs-systeme natürlich mit einem hohen Aufwand verbunden, schon allein ob der hohen Anzahl an Lautsprechern und der daran geknüpften enormen Kanalzahl. Nichtsdestotrotz bleibt es ohne Frage spannend, in welche Richtung sich die Wellenfeldsynthese weiterbewegt. Auch nicht zuletzt ob der konstant fortgesetzten Forschung. So hat etwa das Fraunhofer IDMT mittlerweile einen Algorithmus entwickelt, der größere Abstände zwischen den Lautsprechern ermöglicht. In Anbetracht immer leistungsfähigerer Dsp-systeme kann man sich kaum ausmalen, was hier in der Zukunft noch auf uns zukommt. Eine gewisse Vorfreude können wir nicht leugnen und einen Vorgeschmack, was die Forschung in diesem Bereich auf die Wege bringt, bekommt man jetzt schon, wenn man sich die aktuellen Modelle Sennheiser Ambeo Soundbar und das neue Lautsprecher-flaggschiff SL-1 von Lexicon anhört.