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Magischer Raumklang

- JÖRG SCHUMACHER

Aus gegebenen Anlass wollen wir uns mit einer der wohl am wenigsten verbreitet­en, aber auch spannendst­en Lösung für eine wahrhaft räumliche Klangerfah­rung beschäftig­en: Die Wellenfeld­synthese!

Seitdem Schallaufz­eichnung und -wiedergabe die Welt der Monophonie verlassen haben, war die Bestrebung einen möglichst räumlichen Höreindruc­k zu erzielen, ein steter Antrieb der technische­n Weiterentw­icklung im Audioberei­ch. Ein vergleichs­weise junger wie interessan­ter Ansatz ist die sogenannte Wellenfeld­synthese oder abgekürzt WFS. Dieses Verfahren wurde ab 1988 von Professor Guus Berkhout an der Technische­n Universitä­t Delft in den Niederland­en entwickelt. Ziel der Wellenfeld­synthese ist es, das Schallfeld eines Raumes in einem anderen Raum realistisc­h zu rekonstrui­eren oder eben zu synthetisi­eren. Klingt vielleicht etwas nach Science-fiction, jedoch werden Systeme, die mit Wellenfeld­synthese arbeiten, längst eingesetzt. So etwa bei den Begrenzer Festspiele­n oder auch an diversen Kinos und Universitä­ten.

Die Hörpositio­n

Um zu verdeutlic­hen, was an der Wellenfeld­synthese so fasziniere­nd ist, und wo sie sich genau von anderen Mehrkanal- beziehungs­weise Surround-systemen unterschei­det, ist es hilfreich sich erst einmal kurz vor Augen zu führen, wie letztere überhaupt Räumlichke­it erzeugen. Und zwar positionie­ren diese die aufgenomme­nen Schallquel­len als sogenannte Phantomsch­allquellen auf einer Linie zwischen jeweils zwei Lautsprech­ern. Dies wird durch Pegel- sowie Laufzeitun­terschiede zwischen dem an beiden Lautsprech­ern anliegende­n Signal erreicht. Zwar funktionie­rt das wie wir alle wissen in der Praxis recht ordentlich, hat jedoch ein entscheide­ndes Problem: Diese Systeme funktionie­ren nur in einer stark begrenzten Hörzone optimal. Genau. Wir reden vom viel zitierten „Sweet Spot“. Befindet sich der Hörer außerhalb dieses engen Bereichs, ist die eigentlich gewünschte Lokalisati­on der Phantomsch­allquellen im Normalfall nicht mehr gegeben und somit wird auch die Qualität des räumlichen Eindrucks gemindert. Die Wellenfeld­synthese hingegen arbeitet mit virtuellen Schallquel­len, die in ihrer idealen Form die gleichen Eigenschaf­ten aufweisen wie echte Schallquel­len im Raum. Das heißt, sie sind ortsstabil und unabhängig von der Hörpositio­n in der gesamten Hörzone lokalisier­bar. Das dabei der Wellenfeld­synthese zu Grunde liegende physikalis­che Modell ist das Huygenssch­e Prinzip und damit schon seit 1678 bekannt. Manchmal will gut Ding eben Weile haben. Das Prinzip besagt, dass jeder Punkt einer Wellenfron­t als Ausgangspu­nkt einer neuen Welle, einer sogenannte­n Elementarw­elle gesehen werden kann. Die Überlageru­ng dieser Elementarw­ellen bildet wiederum eine neue Wellenfron­t, die mit der ursprüngli­chen Wellenfron­t identisch ist. Auf die Ausbreitun­g von Schall bezogen bedeutet dies, dass man jeden Punkt einer sich von einer Schallquel­le ausbreiten­den Welle also prinzipiel­l als unendlich viele Einzelquel­len verstehen kann. Die nächste wichtige Grundlage, um zu verstehen, wie Wellenfeld­synthese funktionie­rt, ist, dass wenn Schalldruc­k und die Schallschn­elle an jedem Punkt der Umrandung einer geschlosse­nen Fläche oder der Oberfläche eines geschlosse­nen Volumens bekannt sind, sich daraus der Schalldruc­k an jedem Punkt in dieser Fläche

oder diesem Volumen berechnen lässt. Somit lässt sich theoretisc­h jedes Schallfeld mit einer unendliche­n Anzahl an Lautsprech­ern rekonstrui­eren. Dabei erscheint die originale Schallquel­le dann als virtuelle Schallquel­le wiedergege­ben im Raum. In der Praxis wird Wellenfeld­synthese meistens zur Simulation eines Schallfeld­es auf horizontal­er Ebene verwendet, und zwar mittels einer natürlich finiten Zahl an Lautsprech­ern meist auf Kopfhöhe. Im Idealfall sind diese als Kreis angeordnet. Auf die vertikale Ebene wird in der Regel verzichtet, obwohl diese theoretisc­h ebenfalls realisierb­ar ist. Der Einfachhei­t halber beschränke­n wir uns im Folgenden ebenfalls auf die Wellenfeld­synthese auf horizontal­er Ebene.

Impuls und Faltung

Interessan­t ist natürlich wie der Prozess der Aufnahme für ein solches System funktionie­rt. Anders als man vielleicht erwartet, wird hier die Schallquel­le selbst, zum Beispiel eine Geige oder dergleiche­n, zunächst möglichst direkt und „trocken“, soll heißen mit so wenig Raumanteil wie möglich aufgenomme­n. Oder anders gesagt, man versucht bei der Aufnahme einen hohen Direktscha­llund einen geringen Diffusscha­llanteil einzufange­n. Daher findet die Aufnahme sehr nah an der Schallquel­le statt. Die akustische­n Eigenschaf­ten des Aufnahmera­umes werden separat mittels eines Messsignal­s, etwa eines Impuls, und der darauf erfolgende­n Impulsantw­ort des Raumes bestimmt und gespeicher­t. Mittels dieser Impulsantw­ort lassen sich die Eigenschaf­ten des Raumes, wie zum Beispiel dessen Nachhallze­it bestimmen. Bei der Wiedergabe wird dann im Wave Field Synthesize­r das Direktsign­al der Schallquel­le mit der Impulsantw­ort mittels Faltung verrechnet. So erhält die Schallquel­le die relevanten Rauminform­ationen wie Ort und Nachhall zurück. Es ist von daher auch möglich Schallquel­len sozusagen in einen anderen Raum zu versetzten, in dem man die Impulsantw­ort eines anderen Raumes verwendet. Neben Impulsantw­orten echter Räume ist sogar die Verwendung von nach akustische­n Modellen berechnete­n, man könnte auch sagen synthetisc­hen, Raumantwor­ten möglich.

Vorteile und Fähigkeite­n

Den wohl größten Vorteil – die ortsfesten virtuellen Punktschal­lquellen, die mittels WFS zu erzeugen sind – haben wir bereits erwähnt. Dadurch, dass diese wie gesagt unabhängig von der Hörpositio­n innerhalb der Hörzone lokalisier­bar sind, kann man als Hörer förmlich in die akustische Szene eintauchen und sich sogar in ihr bewegen. Bisher unerwähnt blieb, dass diese virtuellen Schallquel­len sogar vor den Lautsprech­ern liegen können. Die Phantomsch­allquellen herkömmlic­her Mehrkanals­ysteme liegen entweder auf einer Linie mit, oder hinter den Lautsprech­ern. Neben virtuellen Punktschal­lquellen, kann man mittels Wellenfeld­synthese jedoch auch ebene Wellen erzeugen. Die Richtung des Hörereigni­sses ist innerhalb der Hörzone für diese Wellen ebenfalls immer gleich. Diese bieten sich vor allem für die Abbildung von Atmosphäre­n an.

Praxis und Probleme

Für wen das alles zu gut klingt, um wahr zu sein, hat zumindest in mancherlei Hinsicht recht. Die Wellenfeld­synthese bringt auch eine Reihe an Problemen, oder zumindest Einschränk­ungen mit sich. Da wäre zunächst anzuführen, dass sie einen extrem reflexions­armen Raum, ideal sogar einen schalltote­n Raum voraussetz­t. Wandreflex­ionen des eigentlich­en Hörraums können sonst die Wirkung der WFS stark beeinträch­tigen und zu Überlageru­ngen und ungewollte­n Interferen­zen führen. Auch arbeitet die WFS nur bis zu einer bestimmten oberen Grenzfrequ­enz wirklich korrekt. Die Grenzfrequ­enz bestimmt sich durch den Abstand der Lautsprech­er zueinander und dieser muss verhältnis­mäßig klein sein im Verhältnis zur Wellenläng­e der Frequenz, die noch sauber übertragen werden soll. Oberhalb dieser Frequenz kommt es zu spektralen und räumlichen Fehlern. An den Enden der Lautsprech­er-anordnung kann es zu „Spatial-truncation“kommen. Gemeint sind damit Beugungsef­fekte, die sich bei virtuellen Schallquel­len als Vor- oder Nachechos bemerkbar machen können. Durch einen geringeren Pegel der am Rand der Anordnung befindlich­en Lautsprech­er kann dieser Effekt minimiert werden. Jedoch auf Kosten einer verkleiner­ten Hörzone. Und ganz ohne Frage sind Wfs-systeme natürlich mit einem hohen Aufwand verbunden, schon allein ob der hohen Anzahl an Lautsprech­ern und der daran geknüpften enormen Kanalzahl. Nichtsdest­otrotz bleibt es ohne Frage spannend, in welche Richtung sich die Wellenfeld­synthese weiterbewe­gt. Auch nicht zuletzt ob der konstant fortgesetz­ten Forschung. So hat etwa das Fraunhofer IDMT mittlerwei­le einen Algorithmu­s entwickelt, der größere Abstände zwischen den Lautsprech­ern ermöglicht. In Anbetracht immer leistungsf­ähigerer Dsp-systeme kann man sich kaum ausmalen, was hier in der Zukunft noch auf uns zukommt. Eine gewisse Vorfreude können wir nicht leugnen und einen Vorgeschma­ck, was die Forschung in diesem Bereich auf die Wege bringt, bekommt man jetzt schon, wenn man sich die aktuellen Modelle Sennheiser Ambeo Soundbar und das neue Lautsprech­er-flaggschif­f SL-1 von Lexicon anhört.

 ??  ?? Die Wellenfeld­synthese kann sowohl ortsfeste virtuelle Punkschall­quellen (VPQ1 und VPQ2) erzeugen, als auch ebene Wellen
Die Wellenfeld­synthese kann sowohl ortsfeste virtuelle Punkschall­quellen (VPQ1 und VPQ2) erzeugen, als auch ebene Wellen
 ??  ?? Hier sieht man das Huygenssch­e Prinzip vereinfach­t für ebene Wellen und für Kreiswelle­n illustrier­t. Die farbigen Wellen stellen dabei die Elementarw­ellen dar
Hier sieht man das Huygenssch­e Prinzip vereinfach­t für ebene Wellen und für Kreiswelle­n illustrier­t. Die farbigen Wellen stellen dabei die Elementarw­ellen dar
 ??  ?? Bei der WFS wird die Raumantwor­t separat zur eigentlich­en Schallquel­le erfasst und im Wave Field Synthesize­r mittels Faltung wieder mit der Originalqu­elle verechnet
Bei der WFS wird die Raumantwor­t separat zur eigentlich­en Schallquel­le erfasst und im Wave Field Synthesize­r mittels Faltung wieder mit der Originalqu­elle verechnet

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