Everything Everywhere All At Once
Es sind doch eher die Kleinigkeiten, die den Alltag bestimmen. Nehmen wir beispielsweise das Leben von Evelyn Wang (Michelle Yeoh). Dies ist von solch kleinen Nichtigkeiten geprägt. Die Steuererklärung für ihren Waschsalon ist fällig und sie hat keine Ahnung, was das Finanzamt von ihr möchte. Außerdem will ihr Mann Waymond (Ke Huy Quan) im ungünstigsten Augenblick die Scheidung. Dazu kommt, dass sie ihrem Vater Gong (James Hong) auch noch erklären muss, dass seine Enkelin lesbisch ist. Doch da tut sich ein interdimensionales Loch auf und ihr Ehemann aus einem anderen Universum instruiert sie, über eine Welten-rettende Aufgabe. Und das alles auf einmal. Jetzt noch weiter über die Geschehnisse im Film zu schreiben, würde den Rahmen dieses Textes sprengen. Der Science-fiction-ansatz des Regie- und Autorenduos Daniels (Dan Kwan, Daniel Scheinert) wirft der Zuschauerschaft technische Beschreibungen wie den stochastischen Wegfindungsalgorithmus hin, welcher erläutern soll, wie die Dimensionssprünge im Ganzen funktionieren. Dennoch wird allerspätestens bei der Einführung der Bösewichtin klar, dass dieser Film nicht vorrangig etwas mit Sci-fi am Hut hat und sein Ziel in eine ganz andere Richtung lenkt.
Ausflug nach Absurdistan
Die Antagonistin der Geschichte, Jobu Tupaki, stellt sich noch in der ersten Handlungshälfte (kein großer SPOILER) als Evelyns Tochter Joy (Stephanie Hsu) heraus. Die nun folgenden physischen Auseinandersetzungen zwischen Mutter und Tochter sind ebenso beeindruckend inszeniert, wie auch in Sachen Ideenreichtum absurd ausgeführt. Hier entfaltet sich auch die einzige Schwäche des Films: nämlich der grenzenlose Humor. Da schlagen an manchen Stellen die Gags im Sekundentakt auf das Publikum ein. Ist man im Begriff eine Absurdität zu erkennen, prasseln schon zwei neue auf einen nieder. Inhaltlich hat der ganze Wahnsinn durchaus System. Durch verrückte/unwahrscheinliche Aktionen kann Evelyn zwischen den Dimensionen springen und auf all die Fähigkeiten ihrer Multiversums-figuren zurückgreifen. Der Faktor Humor ist dabei von schwankender Qualität. Wenn Charaktere anfangen, sich mit Dildos totzuschlagen, und versuchen, auf Butt-plugs zu hüpfen (um ihre Fähigkeiten zu aktivieren, versteht sich), dann ist das alles im Geschmack sehr selektiv. Andererseits bildet der Film ja auch ALLE Genres ab, weshalb pornöse Elemente innerhalb dieser Logik durchaus Sinn ergeben. Auch lassen sich viele Referenzen wiederfinden, z. B. zu Pixars „Ratatouille“und zu diversen Regie-legenden wie Wong Kar-wai. Die kongeniale Martial-arts-action, der (durch die brillante Jamie Lee Curtis verkörperte) Horror und die Spezialeffekte sind trotz des begrenzten Budgets von 25 Mio. Us-dollar von höchster Qualität. Dabei ist die vorgeführte Action nie Mittel zum Selbstzweck. Jede Einstellung ist genau durchdacht und dauert nur so lange, wie sie auch wirklich dauern muss. Und doch bereitet die Laufzeit von knapp zweieinhalb Stunden voller brachialem, audiovisuellem Chaos mindestens milde Kopfschmerzen.
Eltern-kind-beziehungen
Das Kernelement in der Handlung ist die Mutter-tochter-beziehung zwischen Evelyn und Joy. Eine Beziehung, die sich auch in der von Evelyn zu ihrem Vater Gong widerspiegelt. Gong kommt zudem noch aus einem anderen Kulturkreis. Deutlich wird dies, wenn die Sprache der Figuren zum Einsatz kommt. Mit ihrem Vater spricht Evelyn Kantonesisch, mit ihrem Mann Mandarin. Mit ihrer Tochter kommuniziert sie in Mandarin und Englisch/deutsch. Joy spricht Englisch und ihre Muttersprache in schlechter Qualität. Großvater Gong wirft Joy vor, dass ihr Chinesisch mit jedem mal schlechter wird. Dies wiederum könnte ein Grund für die Namenswahl der „bösen“Joy als Jobu Tupaki sein.