Heidenheimer Neue Presse

Keine Punkte für Nostalgie

Die Fußballer der Stuttgarte­r Kickers sind auf den Tiefpunkt ihrer Clubgeschi­chte gestürzt. Sie spielen nur noch in der fünftklass­igen Oberliga.

- Von Daniel Grupp

Halbfinale im Dfb-pokal, nach 90 Minuten steht es im Weserstadi­on 1:1. Für Daniel Weiss war der Pokalkrimi der emotionale Höhepunkt als Fan der Stuttgarte­r Kickers. Es war ein Dienstagss­piel im Februar des Jahres 2000. Weiss war noch Schüler: „Nach zehn Stunden Rückfahrt ging es direkt in die Schule“, erinnert sich der heute 36-Jährige. Das Pokalspiel ist typisch für das Scheitern des fast 119 Jahre alten Stuttgarte­r Vereins. Die Blauen hatten in der 83. Minute ausgeglich­en, spielentsc­heidend war aber das 2:1 in der Verlängeru­ng, das Werder Bremen nach Berlin ins Endspiel gegen Bayern München brachte. Wären die Stuttgarte­r ins Finale gekommen, hätten sie sich für den Europapoka­l qualifizie­rt,

denn die Bayern spielten als Meister in der Champions League, bedauert Weiss die verpasste Gelegenhei­t.

1908 verlor der „FC Stuttgarte­r Cickers“(das C wurde 1920 durch ein K ersetzt) das Endspiel um die Deutsche Meistersch­aft gegen Viktoria Berlin. Bis Mitte der 1920er Jahre waren die Kickers die Nummer eins in Württember­gs Fußball. Bis nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Blauen wenigstens auf Augenhöhe mit den roten Rivalen aus Cannstatt. Nach dem Abstieg in die Oberliga ist der Club am fußballeri­schen Tiefpunkt angekommen.

Aus Sicht des VFB Stuttgart kocht die Konkurrenz­situation nur auf Sparflamme. „Zu den Bundesliga­zeiten der Kickers gab es deutlich mehr Rivalität“, sagt Ralph Klenk, Fanbeauftr­agter beim VFB.

Die Kickers sind nach einer Kaskade unbegreifl­icher Abstiege fünftklass­ig. Sie sind jetzt von der Bundesliga genauso weit entfernt wie von der Kreisliga. Spitze sind allenfalls noch die Jugendteam­s, die in den höchsten Klassen spielen. Sie sind neben dem VFB erste Anlaufstel­le für Talente aus dem Raum Stuttgart. Die Jugendarbe­it ist ein Grund dafür, dass die Blauen schnell aufsteigen müssen. Sonst ist der Status als Nachwuchsl­eistungsze­ntrum des Fußballbun­des weg.

Mit sechs schon im Stadion

Daniel Weiss, in Ostheim aufgewachs­en, ist seit der Kindheit Kickersfan. Als Sechsjährg­er hatte ihn sein Vater das erste Mal in den A-block mitgenomme­n. „Mein Vater war ein Blauer.“Der Bub erlebte, wie sich sein Team mit einem 3:0 am 35. Spieltag gegen Blau-weiß 90 Berlin an der Spitze der 2. Liga behauptete. Kurz darauf war der erste Aufstieg in die Bundesliga sicher. Das Berlin-spiel machte Eindruck auf den kleinen Daniel: „Ich war ziemlich geflasht.“Was der Erfolg bedeutete, war für ihn noch nicht klar: „Das war für mich alles viel zu hoch.“Weil er zu jung und zu klein war, „sah ich kein Tor“. Damals hatten die Degerloche­r eine gute Phase. Das Team war 1987 erstmals im Dfb-finale, verlor aber gegen den Hamburger SV.

Der 36-Jährige gibt das Erbe an seine sechs und vier Jahre alten Söhne Mats und Jona weiter. Jedes Jahr erhalten die Jungs ein Kickerstri­kot mit der Rückennumm­er ihres Alters und dem Namen des Spielers aus dem jeweiligen Kader. „Meine Buben sind schon komplett blau.“

Daran ändert auch der sportliche Niedergang nichts. Am Samstag kamen zum Oberligaau­ftakt dennoch mehr als 2500 Besucher und sorgten für eine, in der fünften Liga, ungewohnte Stimmung. Auch Weiss erlebte mit seinen Söhnen das bescheiden­e 0:0.

Der angestrebt­e Wiederaufs­tieg wird kein Selbstläuf­er. Die Kickers setzen auf ein realistisc­hes Herangehen. „Wir wollen die Oberliga annehmen“, sagt Geschäftsf­ührer Marc-nicolai Pfeifer. Über die Vergangenh­eit des Vereins und die gemachten Fehler möchte Pfeifer nicht reden. Das geschehe seit dem Absturz für seinen Geschmack viel zu häufig. „Das bringt nichts.“

Für Daniel Weiss gehört sein Herzensver­ein mindestens in die 3. Liga. Viel Nostalgie spiele bei der Erwartung mit. „Aber für Nostalgie gibt es keine Punkte.“Die Ursache des Niedergang­s lasse sich schwer erklären. „Normal hätte es nie so weit kommen können“, erinnert sich Weiss an die Verkettung unwahrsche­inlicher Ergebnisse, die vor zwei Jahren in die Regionalli­ga führten. Das Spiel gegen Wehen „war das erste Spiel meines Sohnes. Der arme Kerl hat dann 14 Spiele ohne Sieg gesehen.“Das Team habe sich nicht auf die schwierige Lage eingestell­t. Der Verein habe sich zu früh von Trainern wie Dirk Schuster und Horst Steffen getrennt. Manche Fans von Traditions­clubs erwarteten auch zu viel. „Da sitzen manche auf der Haupttribü­ne. Da kann man nur den Kopf schütteln, was die für Ansprüche haben.“Anderseits hätten es Traditions­clubs wie Koblenz, Kassel oder Kiel auch geschafft, wieder nach oben zu kommen.

Als die Kickers zwischen Regionalun­d 3. Liga pendelten, trug auch Guido Buchwald im Präsidium des Vereins Verantwort­ung, in der Saison 2012/13 sogar als Interimstr­ainer. Damals stiegen die

Blauen in die 3. Liga auf und blieben ein paar Jahre. „Wenn es gut läuft, wollen viele mitreden“, sieht Buchwald im Erfolg schon den Keim des Niedergang­s. Der Weltmeiste­r von 1990 ging als Spieler 1983 von den Kickers zum VFB. Seiner Einschätzu­ng nach haben die Blauen bei Anhängern und Struktur Potenzial für die 2. oder 3. Liga. Die jüngste Entwicklun­g sei mit Pech allein nicht zu erklären. Man müsse versuchen, eine Mannschaft mit den richtigen Charaktere­n zu besetzen. Der „Teamspirit“, müsse stimmen.

Aufstiege von Vereinen wie Darmstadt, Paderborn oder Fürth zeigen Daniel Weiss, dass auch die Bundesliga nicht verriegelt ist: „Ich hoffe, dass es meine Kinder erleben. Oder einmal nach Berlin. Das wäre richtig geil für die Jungs.“

Meine Buben sind schon komplett blau.

Daniel Weiss Kickers-fan seit seiner Kindheit

 ??  ?? Sie bleiben den Kickers treu: Daniel Weiss und seine Söhne Mats und Jona (r.) vor dem Stadion auf der Waldau. Foto: Ferdinando Iannone
Sie bleiben den Kickers treu: Daniel Weiss und seine Söhne Mats und Jona (r.) vor dem Stadion auf der Waldau. Foto: Ferdinando Iannone
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Links VFB, rechts Kickers: Guido Buchwald und Ralf Vollmer.

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