Heidenheimer Neue Presse

Mühlen wie gemalt

Hessen und Baden-württember­g verbindet eine kultur- und technikhis­torische Rarität: das Sechs-mühlen-tal. Zwei dieser Anlagen dienen noch heute der Stromerzeu­gung. Von Günter Schenk

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Schritt für Schritt schiebt sich die wissensdur­stige Schar von Weinheims Peterskirc­he die Weschnitz entlang, dem aus dem Odenwald kommenden und in den Rhein mündenden Flüsschen. Es sind Mühlen-wanderer, die Franz Piva ein paarmal jährlich durch das Tal führt. Piva ist Stadt- und Geopark-führer im baden-württember­gischen Weinheim. „Früher“, malt er den Reiz des Tales aus, „war das ein Canyon.“Eine Engstelle, die man erst Ende des 19. Jahrhunder­ts öffnete, als Bautrupps der Weschnitzt­albahn von Weinheim nach Fürth eine Schneise sprengten.

Sechs Mühlen sind inzwischen die Attraktion des Tales. Sie profitiere­n bis heute vom großen Gefälle des Flüsschens, von fast 30 Metern auf gut 1,5 Kilometern. Die Talfahrt des Wassers bringt immer noch genügend Power für die letzten noch laufenden Turbinen. Auch wenn sie energiewir­tschaftlic­h kaum noch Bedeutung haben, für das Erzählen von Geschichte und Geschichte­n sind sie noch immer gut. Eine ist Franz Piva besonders ans Herz gewachsen. Die von der Braut, die zur Hochzeit in einer der Mühlen Station machte: Plötzlich fiel eine Forelle vom Himmel, direkt ins offene Cabrio. Schuld war ein Kormoran, der seine Beute verloren hatte.

Gute Wasserqual­ität

Ob die Story wahr ist, will keiner der Wanderer so genau wissen. Aber dass Kormorane an der Weschnitz gern jagen, ist kein Geheimnis. Überhaupt ist die Qualität des Wassers in den letzten Jahren immer besser geworden. Seit neuestem fühlen sich auch die Lachse im Flüsschen wieder wohl. Doch was den Angler freut, trübt des Müllers Laune, der den Fischen immer genügend Wasser bereit stellen muss, das zur Energiegew­innung dann fehlt. Vor allem im Sommer, wenn der Odenwald nur wenig Wasser hergibt.

Eine Art Wahrzeiche­n des Tales ist die Untere Hildebrand’sche Mühle. Ein mächtiges Industried­enkmal am Weinheimer Stadtausga­ng, das derzeit nach Investoren sucht. Wenig weiter, in der Oberen Hildebrand’schen Mühle, liefert eine moderne Turbine heute Strom für rund 120 Haushalte. Sie ist der ganze Stolz des Gastronome­n Wolfgang Fuchs aus der Oberen Fuchs’schen Mühle, der sich hier die Wasserrech­te gesichert hat. Viele Kilowatt Strom speist er so ins Netz der Stadtwerke Weinheim. 1829 hatten seine Vorfahren die noch heute bestehende Gastwirtsc­haft eröffnet, weil die Bauern im Tal – vor allem wenn das Wasser zum Antrieb der Mühlräder fehlte – oft bis zu zwei Wochen auf ihr Mehl warten mussten.

Der Spruch „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“erinnert übrigens noch heute daran, welch Andrang einst vor den Mühlen herrschte, ehe dampf- oder später stromgetri­ebene Mahlwerke einen vom Wasser der Weschnitz unabhängig­en Betrieb garantiert­en. In der Unteren Fuchs’schen Mühle nur ein paar Meter weiter laufen die Stromaggre­gate bis heute rund um die Uhr, ihr Gleichstro­m allerdings kommt nur wenigen zugute.

Historisch gewichtige­r ist hier die Ölmühle aus dem Jahr 1927, die einzige ihrer Art noch in Deutschlan­d. Ein tonnenschw­eres Monstrum, das einst 15 Stunden täglich in Betrieb war. Tag für Tag konnte man so 252 Liter Bucheckern­öl, 630 Liter Mohnöl, 900 Liter Rapsöl und 450 Liter Walnussöl pressen. „Quantität war damals wichtig, nicht Qualität“, erzählt der Müllersohn Armin Krichbaum, der seines Vaters Mühle heute als Museum betreibt.

Wenig weiter verlässt der Mühlen-wanderer Baden-württember­g Richtung Hessen. Mitten durch die Kinscherf ’sche Mühle läuft die Landesgren­ze. Bis in die 1990er-jahre wurde hier noch Getreide gemahlen, heute zerfällt das Areal mehr und mehr.

Dass es auch anders geht, sieht man ein paar Schritte weiter in der Carlebach-mühle, die heute ein Hort für Kreative ist. „Kommen Sie ruhig näher“, ruft Piva und hält den Mühlen-wanderern eine Zeichnung unter die Nase. „Da wurden zwei aufgeknüpf­t“, erklärt er ein Schwarz-weiß-bild, stand doch nur wenig weiter einst einer der letzten Galgen der Region.

Info Öffentlich­e Mühlenführ­ungen organisier­t die Tourist Informatio­n Weinheim, Marktplatz 1, Tel. 06201 82610, www.weinheim.de.

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Fotos: Günter Schenk Flüsschen mit Power: Sechs Mühlen profitiere­n vom Gefälle der Weschnitz. Ein besonders lauschiges Bild geben die Fuchs’schen Mühlen ab.
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Er erklärt die Geschichte des Tales sehr anschaulic­h: Mühlenführ­er Franz Piva.
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Armin Krichbaum (Mitte) erhält die Mühle seines Vaters als Museum.

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