Frust und Freude
OB Bernhard lig spricht uber Frust, Erfolge, und veike Dinge, die er wahrend seiner dritten Amtszeit unbedingt noch erreichen und anstoßen will. Von Andreas Uitz
Heidenheims OB Bernhard Ilg im Interview.
Herr Ilg, was hat Sie in diesem Jahr am meisten geärgert? Bernhard Ilg:
Dass wir uns das Miteinander manchmal schwerer machen, als es sein müsste. Dass wir uns manchmal aus Kleinigkeiten heraus kleiner machen, als wir es verdienen. Ich habe das Gefühl, dass bei uns das Glas häufiger halb leer als halb voll dargestellt wird.
Nach langen Jahren des Booms ist aus Sicht vieler Menschen allerdings ein Stillstand eingetreten. Es gibt viele Leerstände in der Innenstadt und häufig wird auch die nicht zufriedenstellende Kneipenszene beklagt. Sind das keine Probleme?
Auch ich kann mir vieles anders vorstellen, was Ruhestörungen, den Abfall und das Miteinander der Menschen, was Gastronomie angeht. Fest steht aber, dass die Verwaltung keinen Schalter umlegen kann. Es gibt Zuständigkeiten und Unzuständigkeiten. Und die Kneipenszene fällt nicht in unsere Zuständigkeit.
Will heißen: Die Stadt kann keinen Einfluss darauf nehmen?
Das ist richtig. Aber die Stadt gibt jedem Begleitung, der sie will. Aber auch damit ist noch kein Schalter umgelegt. Und wenn ich höre, dass die Leerstände hier gewaltig sind, dann frage ich mich, ob ich der einzige Heidenheimer bin, der durch andere Städte geht, der mit Kollegen redet und feststellt: Diese Probleme haben wir alle. Es ist schon eine Besonderheit hier, dass alle Auffälligkeiten in stetiger Regelmäßigkeit diskutiert werden, bis jeder nur noch das Problem sieht. Dabei wird verdrängt, dass vieles drumherum auch ganz gut funktioniert.
Also ist das Problem grundsätzlich vorhanden und keine Heidenheimer Angelegenheit.
Auch die Berichterstatter suggerieren, dass die gesellschaftlichen Probleme des Landes spezifische Heidenheimer seien. Das führt immer mehr zu dieser Negativspirale.
Sie sagen, dass die Stadt auf vieles keinen Einfluss hat. Seit vielen Jahren wird diskutiert, Veränderungen in der Fußgängerzone vorzunehmen, passiert ist bisher nichts. Wäre das nicht ein Ansatz, die Stadt attraktiver zu machen und Impulse zu setzen?
Die Stadt ist bereit, das Ihre zu tun. Bei Beleuchtung, Straßenbelag, Spielmöglichkeiten usw. Aber ist das die Gewährleistung dafür, dass plötzlich die Innenstadt attraktiv ist? Oder hängt Attraktivität vom Angebot ab, von der Anziehung und den Magneten? Die Frage ist doch: Was ist Ursache, was ist Wirkung? Alle deuten immer nur auf die Stadt und suchen hier die Schuldigen für die Situation. Daraus, und auch aus der Berichterstattung kommt das Empfinden, dass die Innenstadt unattraktiv ist.
Dann ist die Zeitung daran schuld?
Ich lese auch alle Zeitungen um Heidenheim herum. Da haben wir schon ein Heidenheimer Problem.
Natürlich, wenn es Probleme gibt, dann berichten wir darüber. Das ist unsere Aufgabe als Journalisten.
Es geht um typische Problemdarstellung und darum, wie es verkauft wird.
Unterstellen Sie der HZ Populismus?
Nein, das würde ich nie tun. Ich respektiere Ihre Arbeit. Mir geht es nur darum, dass ich diese Stadt in den letzten 19 Jahren vorangetrieben habe wie keiner in den 40 Jahren zuvor. Aber durch Kleinigkeiten wird dann ein Bild produziert, das suggeriert, ich sei an allen Problemen schuld.
Herr Ilg, Sie klingen gefrustet, sind Sie das?
Ja, manchmal. Immer dann, wenn ich den Eindruck habe, dass nicht mehr wahrgenommen wird, was sich tut.
Ihre aktuelle Amtszeit läuft noch sechs Jahre. Haben Sie vor, das bis zum Ende durchzuziehen?
Dazu werde ich derzeit öffentlich nichts sagen. Ich bin für acht Jahre gewählt und habe früh genug erklärt, das erste Ziel sei das 65. Lebensjahr, dann entscheiden Gesundheit und Situation.
Gibt es große Veränderungen und Weichenstellungen in Heidenheim, die Sie unbedingt noch zu Ende bringen oder zumindest anstoßen wollen?
Ja, aber viele Dinge werde ich nur beginnen können.
Was liegt Ihnen besonders am Herzen?
Die Frage, wie unsere Stadt in Zukunft aussehen wird, treibt mich um. Die Themen lebenswerte Stadt, Umweltgerechtigkeit, Innovation sind wichtiger denn je. Wir brauchen eine Ist-analyse, um herauszufinden, wo eine Reise hingehen kann.
Und was heißt das konkret?
Es geht um Resilienz, die Widerstandsfähigkeit bei Katastrophen. Wir müssen uns mit den Dingen auseinandersetzen, weil wir wissen und spüren, dass sich beim Klima etwas verändert. Auch die digitale Kommune ist so ein Thema, ganz generell die digitale Herausforderung und Industrie 4.0. Gefordert sind wir auch bei der „Smart City“, ein Thema, das noch sehr verkannt wird. Es geht um Mobilität und Infrastruktur, um Ver- und Entsorgung. Hier gilt es, Erfahrungen zu sammeln. Eine Verbesserung unseres Verkehrsflusses erreichen wir nur durch moderne Rechnersysteme und Hinweise an das System – über Impulse durch Kameras. Digitalisierung muss vorangetrieben werden, weil jeder Einzelne, aber auch die Wirtschaft, davon profitiert.
Was wollen Sie noch anstoßen?
Natürlich ist mir das frühere Wcmareal wichtig. Wir sind im nördlichen Bereich schon weit gekommen, aber das Hauptthema ist und bleibt ein Dh-campus. Wenn der Landtag seine Arbeit richtig machen würde, hätten wir sehr viel Geld anderweitig einsetzen können. Zu meinem Aufgabenfeld gehören aber auch Sanierung und Neugestaltung des Rathauses und des Umfelds. Dabei geht es um die Mitarbeiter, aber auch um Ökologie. Wichtig sind mir auch weiterhin die Sanierungsgebiete, in denen in den vergangenen Jahren wirklich sehr viel verändert und verbessert wurde. Da müssen wir dranbleiben.
Sie sprachen das Thema lebenswerte Stadt an, dabei spielt Wohnen eine große Rolle. Wie ist Heidenheim da aufgestellt?
Wir haben hier nicht die Probleme wie Stuttgart, Tübingen oder Freiburg. Klar haben wir partiell Engpässe: Es kriegt nicht jeder die Wohnung, die er will. Aber wir haben keine Wohnungsnot, weil in den letzten Jahren sehr viel neuer Wohnraum geschaffen wurde.
Fürs Haintal gibt es im Bereich des früheren „Klein Zürich“von Seiten der Stadt konkrete Vorstellungen für eine Bebauung mit neuen Wohnformen. Aber bisher findet sich kein Investor dafür. Woran liegt das? Sind die Vorgaben zu eng?
Ich denke, wir haben gute Arbeit geleistet, indem wir in einem Wettbewerb gefragt haben, wie ein Bebauungsplan in seiner Ganzheit aussehen könnte. Jetzt geht es darum, innerhalb dieses Planes aufzuzeigen, wo was entstehen soll. Hier generationengerechtes Wohnen, dort Wohnen mit Behinderten, an einer Stelle mehr Kultur und Sport. Wie bilden wir diese Bereiche aus? Erst wenn das steht und wir wissen, wo welche Gebäude entstehen sollen, können wir an den Markt gehen. Diesbezüglich haben wir keine Erfahrung, aber wir haben einen Partner, der diese hat. Erst wenn dann niemand zugreift, wissen wir, dass wir das Rad überdreht haben.
Gehen Ihnen manche Prozesse, vor allen Dingen, wenn es ums Bauen geht, zu langsam?
Ja, viel zu langsam. Weil es einen Bedarf für Bauflächen gibt. Wenn dann bauwillige Heidenheimer in Nachbargemeinden ausweichen, weil wir nichts zur Verfügung stellen können, herrscht eine Schieflage. Vieles ist sehr viel aufwendiger geworden, ohne besser geworden zu sein. Die Energie, die Zeit, die Kosten für manche Verfahren sind drastisch gestiegen.
Das ist bei Gewerbegebieten ja ähnlich. Jetzt will die Stadt am Rinderberg ein großes Gewerbegebiet ausweisen, außerdem will Heidenheim gemeinsam mit Königsbronn ein Areal entwickeln. Besteht von der noch boomenden Wirtschaft überhaupt noch Bedarf, bis die Flächen bebaut werden könnten?
Unsere Aufgabe ist, Flächen bereitzuhalten für den Moment, in dem sie benötigt werden. Eine moderne Industriestadt muss Wachstum unterstützen und darf nicht den Stillstand fördern. Wer das nicht begreift, sägt den Ast ab, auf dem er arbeitet. Derzeit sind unsere Flächen entweder noch nicht bereit oder sie haben mit Wald zu tun.
Ist das ein Problem?
Welcher Investor hat denn Interesse daran, noch lange drüber zu diskutieren, dass Wald gerodet werden muss, wenn er bauen will? Und das, wenn in Dettingen und Giengen Schokoladenflächen vorhanden sind. Offensichtlich sind in Stuttgart landwirtschaftliche Nutzflä- chen weniger wert als Forstflächen, obwohl Heidenheim zu 60 Prozent aus Wald besteht. Ganz ehrlich: Da verliere ich langsam den Überblick.
Also wird der Rinderberg auf jeden Fall weiterentwickelt?
Auf jeden Fall. Der Gemeinderat hat dem ja auch zugestimmt.
Ein Gremium, mit dessen Mitgliedern Sie teils schon seit 2000 zusammenarbeiten, die Sie gut kennen. Bei den Kommunalwahlen im Frühjahr wird es sicherlich Veränderungen geben. Ist das für Sie Fluch oder Segen?
Ich bin seit 33 Jahren Bürgermeister und Oberbürgermeister. Ich habe schon oft im fünfjährigen Turnus veränderte Gremien und Mehrheiten vorgefunden. Ich habe dabei immer versucht, mit den Gremien und den Fraktionen zusammenzuarbeiten. Trotz Zugehörigkeit zur CDU habe ich immer wieder den Vorwurf gehört, mit anderen Fraktionen enger zusammenzuarbeiten.
Was bedeutet ein neuer Gemeinderat für Ihre Arbeit?
Es ist einerseits schön, mit bekannten Menschen zusammenzuarbeiten. Aber es ist auch gut, dass Veränderung stattfindet, weil damit ein neuer Austausch entsteht.
Sie machen sich also keine Sorgen?
Nein, ich hatte immer das Glück, dass ich mit Gemeinderäten zusammengearbeitet habe, die Dinge nicht fortwährend zurückgegeben haben, weil man nicht vorankommen wollte. Deshalb bin ich immer unglücklich, wenn ein Gremium als Abnickergremium bezeichnet wird.
Aber das hat auch seine Gründe. Oft entsteht der Eindruck, dass alles hinter verschlossenen Türen vorberaten und dann öffentlich nur eine Scheindebatte geführt wird.
Mich wundert, dass Sie das sagen. In anderen Gremien wie dem Kreistag wird nahezu alles nichtöffentlich vorberaten. Im Gemeinderat wurde über lange Strecken nahezu nichts mehr nichtöffentlich vorberaten. Ich gehe transparent mit der Öffentlichkeit, mit der Presse um. Wenn es ein Problem wie fehlende Kindergartenplätze gibt und die Verwaltung zieht eine Lösung aus dem Hut, was soll dann der Gemeinderat anderes tun als abzunicken?
Fakt ist doch aber, dass sich ein Großteil des Gemeinderats nahezu nie zu Wort meldet und einfach abstimmt.
Wenn sich noch mehr zu Wort melden würden, wäre das nicht unbedingt besser. Und wenn die Schweigsameren nicken, dann nicken sie nicht unbedingt ab. Aber es muss sich nicht jeder im gleichen Sinne zu Themen äußern – gemäß dem Motto: Es ist zwar schon alles gesagt, aber nicht von jedem. In jedem Gremium gibt es Menschen, denen das Sprechen weniger liegt als anderen. Die nicht auf Knopfdruck eine Rede halten können. Das bedeutet noch lange nicht, dass das keine engagierten Stadträte sind.
Hat sich für Sie durch die neue Bürgermeistern Simone Maiwald und den Weggang ihres Vorgängers Rainer Domberg etwas verändert?
Wir arbeiten bewusst auch räumlich nebeneinander. Wir haben ein enges, offenes und sehr loyales Verhältnis. Domberg und Ilg waren ein altes Ehepaar, Maiwald und Ilg sind halteinneues.
Lassen Sie uns nochmal über den Verkauf der Voith-arena an den FCH sprechen, der ja für viele Diskussionen bei den Heidenheimern gesorgt hat. Die Entscheidung ist gefallen, ist damit ein Knoten geplatzt?
Ich habe ganz generell kein Problem, wenn es zu Themen unterschiedliche Meinungen gibt. Um sich vom Mittelmaß, vom Durchschnitt abzugrenzen, muss man Entscheidungen treffen. Meine Entscheidung war, mich für eine prominente Sportart, für einen Standortfaktor, für einen Imagebildner einzusetzen. Also für den FCH und für die Opernfestspiele. Hier stimmten Leistung und Gegenleistung. Mir kam in der öffentlichen Diskussion zu kurz, dass sich der FCH bisher wie kein anderer Verein finanziell eingebracht hat. Wenn die Stadt diese Summen zurückzahlen müsste, würden Summen genannt, die manche in der Bäckerei, der Metzgerei, in der Kneipe und in sozialen Netzwerken für einen angemessenen Kaufpreis fürs Stadion halten.
Waren die Bedingungen des Pachtvertrags ein Fehler?
In meiner Amtszeit wollten wir immer den Vereinen gerecht werden. Die Null mehr muss eben immer dann kommen, wenn sich etwas deutlich vom Mittelmaß abhebt. Insgesamt sind alle unsere Verträge nicht danach ausgestaltet, wie ausgebufft die Stadt ist, sondern ob wir dem Gegenüber eine Hilfestellung geben. Der Wirkungsfaktor nach außen, der Standortfaktor spielen auch eine Rolle.
Sie sprechen gerne von Standortfaktoren. Welche Rolle spielt dabei für Heidenheim das Klinikum, das ja finanziell mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat?
Das Klinikum liegt in der Trägerschaft des Landkreises. Aber wir finanzieren es mit. Neben der Hochschullandschaft ist der Bereich Gesundheit und Versorgung ein essenzieller Standortfaktor, und damit ein Klinikum der Faktor schlechthin. Deshalb ist es gut, dass wir jetzt auf einem Weg sind, es inhaltlich, aber auch baulich nach vorne zu bringen. Mit viel Geld, Schmerz und Verteilungskämpfen ist man beim Klinikum auf einem guten Weg.
Sehen Sie eine Zukunft des Klinikums in kommunaler Trägerschaft? Oder muss früher oder später privatisiert werden?
Ich denke, die Bevölkerung legt großen Wert darauf, dass solche Einrichtungen in öffentlicher Hand bleiben. Deshalb muss das die oberste Maxime sein. Der neue Geschäftsführer hilft uns da enorm weiter.
Wovor haben Sie Angst?
Davor, dass uns das Geld ausgeht. Wenn die wirtschaftliche Lage schlechter wird, sich die Beiträge reduzieren, werden wir das spüren, und dann ist plötzlich die Luft weg. Dann wird die Geschwindigkeit, mit der wir über ein Jahrzehnt Gas geben konnten, sehr schnell reduziert. Das ist das Einzige, wovor ich Angst habe.
Viele Dinge werde ich nur beginnen können.
Dass uns das Geld ausgeht, ist das Einzige, wovor ich Angst habe.