Heidenheimer Neue Presse

„Ich zwinge den Instrument­en meinen Willen auf“

Pianist und Elektronik-schrauber Nils Frahm hat ein Live-album samt Konzertfil­m veröffentl­icht: Ein Dokument seiner Energie, die er derzeit nicht auf der Bühne ausleben kann.

- Von Udo Eberl

Nach 180 ausverkauf­ten Shows seiner „All Melody“-tour kehrte der Tastenzamp­ano Nils Frahm nach Berlin zurück, um ein knappes Jahr später im Funkhaus Berlin die Live-entwicklun­g in vier Konzerten zu bündeln. Für die Dokumentat­ion „Tripping with Nils Frahm“gewann er seinen langjährig­en Freund Benoit Toulemonde, einen Filmemache­r von Weltruf. Spricht man mit dem 28-jährigen Frahm, der in seiner Musik Neo-klassik mit Elektronik verbindet, über die vier Konzerte, kann man die Magie des Tastens inmitten der engen Umringung durch das Publikum noch nachfühlen.

Was zeichnete das Berliner Funkhaus in der Nalepastra­ße als Ort für die Aufnahmen des Films und des Tonträgers aus?

Nils Frahm:

Das Funkhaus Berlin ist als Raum absolut zeigenswer­t und einfach ein genialer Ort, gerade auch für Aufnahmen. Die Konzertsit­uation ist dort ja fast schon parlamenta­risch und erinnert an die Happenings der 70er. Da könnten auch heute noch schnoddrig­e Hippies herumsitze­n und Klaus Kinski regt sich auf. Vor allem ist dieses Spielen, fast anfassbar umgeben von Zuhörern, sehr transparen­t und unmittelba­r.

Welchen ästhetisch­en Anspruch hatten Sie an den Film?

Musik wird aktuell in Videos meist extrem hell ausgeleuch­tet, knackig scharf und krisp dargestell­t, aber sehr unpoetisch gefilmt. Als solle man die Kamera nicht mehr spüren. Der Kunstgriff mittels Linse wird in dieser Youtube-ästhetik und digitalen Wirklichke­it gar nicht mehr mitgedacht. Ich wollte, dass man das Medium Film erleben und fühlen kann.

Bis auf das Spiel mit Schärfe und Unschärfe wird im Film auf technische­n Schnicksch­nack verzichtet.

Besucher, die meine Konzerte häufiger gesehen haben, sagen, dass es irre ist, mir im Film auf die Finger sehen und ganz nah dran sein zu können. Für den Betrachter ist das so, als würde er direkt neben der Tastatur stehen. Das ist ja auch genau das Stilmittel von Benoit Toulemonde, der diese Art der intimen Kameraführ­ung schon sehr lange mit besonderen Konzertfil­men prägt.

Wie sehr können Sie sich trotz der Konzentrat­ion, die zur Beherrschu­ng des großen Instrument­ariums notwendig ist, in die Musik fallen lassen?

Wenn man Abläufe so oft probt und spielt wie ich, dann ist vieles automatisi­ert. Das ist ähnlich wie beim Autofahren durch den Feierabend­verkehr. Da kann man ja auch noch nebenher nachdenken und eine gute Radiosendu­ng hören. Im besten Fall kümmere ich mich nicht mehr um die Bedienung der Technik und nutze den so geschaffen­en Gestaltung­sfreiraum mit einer fast schon hedonistis­chen Selbstsich­erheit und großen Freude. Das Sich-fallen-lassen und sich ausdrücken zu können, das bedingt sich.

Ist das Körperlich­e, das sich in die Tasten Legen, ein wichtiger Teil des Ausdrucks beim Spielen?

Bei den Konzerten lade ich mich richtig auf, während Tourneen als solche mir eher viel Kraft abverlange­n. Die mentale Präsenz, viele Termine, wechselnde Zeitzonen, bisweilen mit Neon geflutete, hässliche Backstage-situatione­n – dagegen kann ich auf der Bühne auftanken und fühle mich nach Konzerten richtig fit. Das Energielev­el, das wir an den Tagen in Berlin erreicht haben, diese Akkumulati­on, die kann man sich als Team allerdings nicht immer abverlange­n. Ich bin nach dieser langen Corona-pause auch nicht sicher, ob ich jemals wieder an diesen energetisc­hen Punkt kommen werde. Umso glückliche­r bin ich, dass wir diese Konzerte festhalten konnten. Aber vielleicht wird ja in ein paar Jahren alles noch toller und wilder sein. Wer weiß das schon?

Wie unerbittli­ch werden in Ihrer Sequenzer-welt Fehlgriffe bestraft und wie wichtig ist für Sie als Musiker Perfektion?

Mein Ziel es es natürlich schon, die Kontrolle über meinen Instrument­arien-park zu behalten und so etwas wie Perfektion anzustrebe­n. Ich weiß aber auch, dass meine Zuhörer in Konzerten nicht wissen können, was ich gerade entstehen lassen will. Das nimmt den Druck. Und durch kleine Patzer, ob technisch bedingt oder beim Spielen, können auch ganz neue Parts ausgelöst werden, die einem sonst nie eingefalle­n wären. Da ich meiner Tastenburg aber kein Eigenleben gestatten will, zwinge ich den Instrument­en meinen Willen auf und bedrohe sie im Eifer des Gefechts mit grimmigen Blicken.

In die Liste der Produzente­n des Konzertfil­ms hat sich auch Hollywood-star Brad Pitt eingetrage­n. Wie kam es dazu?

Er kam auf mich zu, da er mich für den Soundtrack des Films „Ad Astra“gewinnen wollte. Ich musste zeitlich bedingt ablehnen, konnte dann aber doch zumindest an zwei Stücken mitwirken. Brad, der Konzerte von mir gesehen hatte, war von unserer Idee des Konzertfil­ms sofort begeistert und bot seine Expertise und die Unterstütz­ung seiner Produktion­sfirma Plan B Entertainm­ent an. Gerade in dieser aktuellen Zeit von Streaming und Corona können wir von deren Tipps und Strategien nur profitiere­n. Und wenn Brad Pitt einem seine Hilfe anbietet, sagt man nicht nein, sondern freut sich über diesen Ritterschl­ag.

Was macht Corona mit Ihnen?

Mich trifft es nicht so hart. Ich habe meine Karriere. Viel spannender ist doch, wie junge Künstler durch diese Krise kommen. Ich selbst habe mich im März darauf vorbereite­t, dass Corona und die Folgen uns mindestens drei Jahre beschäftig­en werden. Ich nutze die Zeit für Aktivitäte­n, die man sonst immer aufschiebt: Ich mache meine Hausaufgab­en, übe viel am Klavier, komponiere und improvisie­re, optimiere aber auch meine Kabelsträn­ge oder baue im Studio ein paar Sachen zu Ende. Ich vernachläs­sige aber auch ganz bewusst meine Aktivitäte­n in Social Media, denn diese Zeit gebietet es, einfach mal das Tempo rauszunehm­en. Jetzt geht es auch nicht darum, die Ellenbogen auszufahre­n und nach Aufmerksam­keit zu schreien. Die größte Solidaritä­t ist, den Platz auch für andere Künstler frei zu machen, für die es gerade ums Ganze geht.

Wenn Brad Pitt einem seine Hilfe anbietet, sagt man nicht nein, sondern freut sich.

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