Coronapandemie
Landrat Peter Polta über die Herausforderungen beim neuen Impfzentrum, den Umgang mit Corona-leugnern und die Finanzlage beim Klinikum.
Landrat Peter Polta erklärt seine Krisenstrategie
Mit Landrat Peter Polta möchte man im Augenblick vermutlich nicht tauschen. Die Schwerpunkte in seinem ersten Amtsjahr waren eigentlich schon abgesteckt, doch dann kam Corona. Die Pandemie warf und wirft alle Pläne und Wünsche über den Haufen. Seine Familie sieht der oberste Krisenmanager im Landkreis Heidenheim schon seit Monaten kaum noch, für freie Tage ist keine Zeit. Stattdessen muss Polta Debatten mit Maßnahmengegnern führen, oder sich Gedanken um die finanziellen Auswirkungen der Pandemie auf den Kreishaushalt machen. Warum er trotz aller Probleme im kommenden Jahr ein Licht am Ende des Tunnels sieht, erklärt er im Interview mit der Heidenheimer Zeitung.
Herr Polta, Sie sind jetzt ein Jahr als Landrat im Amt. Den Start in Ihre neue Aufgabe haben Sie sich aber sicherlich anders vorgestellt?
Ich habe vor einem Jahr gesagt, dass Landrat mein Traumjob ist, und dabei bleibe ich. Ich habe mir die ersten Monate sicherlich anders vorgestellt. Corona lässt mir gar keine andere Wahl, als alles beherzt anzupacken und zu prüfen, wie alle Landkreisbewohner bestmöglich durch die Zeit kommen. Wichtig ist dabei vor allem die Zusammenarbeit mit den Städten und Gemeinden, denn nur gemeinsam bekommen wir das Krisen-management vernünftig hin.
Die Corona-krise hat in den vergangenen Monaten alles überlagert. Zuletzt mussten Sie sogar Hilfe von der Bundeswehr anfordern. Wie dramatisch schätzen Sie denn die Situation ein?
Der 7-Tage-inzidenzwert im Kreis liegt immer noch über 100 und stieg zuletzt wieder an. Das ist zwar unterhalb des Spitzenwerts 201, den wir vor einigen Wochen hatten, wir sind aber leider noch innerhalb der zweiten Coronawelle. Nur zur Erinnerung, als Covid-19-hotspot gelten alle Regionen, die über einem Wert von 50 liegen. Da sind wir noch deutlich drüber. Dieser Grenzwert wurde übrigens gewählt, weil die Bundesregierung und die Landesregierungen davon ausgehen, dass die Gesundheitsämter nur bis zu diesem Punkt eine Nachverfolgung der Infektionsketten sicher gewährleisten können.
Heißt das, die Nachverfolgung im Kreis funktioniert nicht mehr?
Doch, wir haben es sogar bei einem Inzidenzwert von über 200 geschafft, die Infektionsketten nachzuvollziehen. Das liegt daran, dass wir gut aufgestellt sind und ein gutes Team im Gesundheitsamt haben. Mir hat in dieser Phase eher etwas anderes Sorgen bereitet: die Lage in den Alters- und Pflegeheimen in der Region. Seit Beginn der zweiten Welle haben wir dort rund 150 positiv getestete Bewohner. Dabei handelt es sich zumeist um hochbetagte Menschen, bei denen zum Teil ein schwerer Verlauf zu befürchten ist und die dann ins Krankenhaus müssen. Das ist schlimm für die Betroffenen.
Zumindest in einem Punkt besteht Hoffnung. Es gibt einen, bald vielleicht sogar zwei Impfstoffe. Wie soll die Verteilung dieser Mittel im Kreis erfolgen?
Wir haben das Congress-centrum auf dem Schlossberg als mögliches Impfzentrum an das Sozialministerium gemeldet. Die Freigabe wurde mittlerweile erteilt, wir werden daher alles für einen Start am 15. Januar vorbereiten. Für den Betrieb werden wir bis zu 100 Helfer benötigen, die dort den Zweischicht-betrieb von 7 bis 21 Uhr gewährleisten sollen. Die Anforderungen an das Personal sind groß. Das reicht von Fahrern, die die Impfstoffe bringen, bis hin zu Ärzten, die aufklären, und medizinischem Fachpersonal, das die Impfungen vornimmt.
Also wird der 15. Januar 2021 der Tag sein, an dem sich das Blatt im Kampf gegen das Corona-virus wenden wird?
Da hängt sehr viel davon ab, wann der Impfstoff verfügbar sein wird. Aber, wenn wir das Serum erhalten, werden wir es auch an alle Impfwilligen verimpfen. Das wird noch einmal ein ungeheurer Kraftakt für alle Beteiligten. Denn wir müssen auch weiterhin die Infektionsketten nachverfolgen. Das wird nur durch die Zusammenarbeit aller Institutionen vom Gesundheitsamt, der Bundeswehr, den Verwaltungen bis zum DRK und den Feuerwehren funktionieren. Diese Doppelbelastung wird hart, ist aber alternativlos. Es ist aber das sprichwörtliche Licht am Ende des Tunnels, das wir sehen.
Wie viele Menschen sollen in Heidenheim am Tag geimpft werden?
Wir wollen am Tag bis zu 800 Menschen impfen. Bei dieser Zahl muss aber bedacht werden, dass Doppelimpfungen nötig sind. Das heißt, für einen Schutz muss nach einigen Wochen noch einmal aus derselben Charge nachgeimpft werden. Das ist nicht nur eine logistische Herausforderung. Der Bund hat deshalb angekündigt, über die Kassenärztliche Bundesvereinigung eine spezielle Software zur Verfügung zu stellen, die die Impfungen steuern soll. Allerdings ist die Entwicklung dafür gerade erst gestartet. Ich hoffe sehr, dass dieses Programm rechtzeitig bei uns ankommen wird.
Warum ist diese Software so wichtig?
An der Ausstattung vor Ort soll der Impfstart nicht scheitern. Wir beschaffen die Rechner und stellen nichtmedizinisches Personal zur Verfügung. Dafür stehe ich mit meinem Team ein. Der Bund muss aber zunächst noch festlegen, wer wann bei den Impfungen drankommt. So etwas muss einheitlich geregelt sein und darf sich nicht von Kreis zu Kreis unterscheiden. Sonst bekommen wir hier eine Gerechtigkeitsdiskussion und gefährden die Akzeptanz bei der Zivilgesellschaft.
Wenn wir schon bei der Akzeptanz für Corona-maßnahmen sind, zumindest als Journalist konnte man zuletzt den Eindruck gewinnen, dass die Zahl der Gegner im Kreis deutlich gewachsen ist. Beunruhigt Sie diese Entwicklung?
Ich beobachte diese Situation schon sehr aufmerksam. Ich versuche, die Kritik zu verstehen. Mir ist es wichtig, jeden ernst zu nehmen. Aber wenn ich anderer Auffassung bin, dann werde ich das auch kundtun. Ähnliches gilt, wenn die Argumentation irrational wird. Dennoch müssen wir gerade in der Corona-krise aktiv gegen die Spaltung der Gesellschaft kämpfen.
Erhalten Sie viele kritische Anschreiben oder Beschwerden?
Leider nimmt diese Post im Augenblick zu, gerade im Umfeld des kürzlich verabschiedeten Infektionsschutzgesetzes. Dabei wird vieles durcheinandergeworfen. Das Gesetz, das kann ich als Jurist sagen, stellt viele Maßnahmen, die es bereits gab, auf eine solidere Grundlage. Jeder Bürger kann nun genau sehen, was der Staat anordnen kann. Vor diesem Hintergrund kann ich die Aufregung, die gerade in Teilen der Bevölkerung herrscht, nicht nachvollziehen. Um es ganz klar zu sagen: Diese Regelung hat nichts mit einem Ermächtigungsgesetz zu tun. Vergleiche mit der Zeit des Nationalsozialismus sind für mich nicht verständlich.
Sinkt in der Bevölkerung die Akzeptanz für die Corona-maßnahmen?
Ich glaube nicht wesentlich. Ich weiß aber, dass die öffentliche Wahrnehmung manchmal etwas anders ist. Die Maßnahmen-gegner sieht man mit ihren Protesten eher als die große Mehrheit der Bevölkerung, die sich an die Vorgaben hält und versucht, positiv durch diese Zeit zu kommen. Es ist aber klar, dass mit der Zeit die Anspannung wächst und die kritischen Stimmen lauter werden.
Nicht nur in Berlin, Leipzig und Stuttgart wird gegen die Maßnahmen demonstriert, sondern auch in Heidenheim und Aalen. Wie nehmen Sie diese Art der Proteste wahr?
Jeder, der sich an die geltenden Pandemie-vorgaben hält, hat das Recht zu demonstrieren. Das muss unsere Demokratie aushalten. Aber es gibt Grenzen, die unter anderem darin bestehen, dass Abstände eingehalten und Masken getragen werden.
Was würden Sie tun, wenn Sie merken, dass bei Ihren Nachbarn eine private Feier mit vielen Menschen stattfindet?
Ich bin zurzeit viel im Büro und die Nachbarschaft hier ist sehr ruhig.
Das war jetzt aber sehr ausweichend . . .
Also gut, ich würde es vorsichtig in der Nachbarschaft ansprechen und darum bitten, die Feier auf einen Termin nach der Pandemie zu verschieben. Natürlich ist das ein Rechtsverstoß, aber mir ist das bisher noch nicht passiert.
Können Sie die Wut der Gastro- und Kulturbranche aufgrund der als nicht logisch empfundenen Maßnahmen nachvollziehen?
Dabei geht es weniger um Wut, sondern um Existenzängste. Deshalb
habe ich hier auch einen sehr großen Toleranzspielraum. Ich habe Verständnis für die Unternehmer, die um ihre Existenz bangen und sich artikulieren wollen. Da geht es um verschiedene Aspekte wie Arbeitsplätze und soziale Verantwortung und ich würde vermutlich ähnlich agieren, wenn ich in so einer Situation wäre. Aber auch hier gibt es Grenzen, wenn beispielsweise zu Rechtsverstößen aufgerufen wird.
Sie haben ab 2014 mit einer Taskforce im Landratsamt die Unterbringung der Flüchtlinge organisiert. Haben Ihnen diese Erfahrungen beim aktuellen Krisenmanagement geholfen?
Ganz klar, ja. Da gibt es Routinen, die man nutzen kann. Auch wenn die Lage in der Flüchtlingskrise eine andere war. Damals ging es darum, Menschen schnell unterzubringen. Wir haben die Situation im Kreis gut gemeistert, ohne dass wir in Turnhallen oder Zelte ausweichen mussten. In die Coronakrise konnte ich jedoch mitnehmen, wie man effektiv mit den Städten und Gemeinden kommuniziert oder wie wir uns im Kreis abstimmen. Diese Zusammenarbeit mit den Oberbürgermeistern und Bürgermeistern klappt inzwischen unglaublich gut. Außerdem geht es in Krisen darum, Entscheidungen zu treffen. Gerade während der Pandemie fehlt oft die Zeit, sich noch 35 weitere Alternativen anzuschauen, irgendwann muss entschieden werden, und nicht immer macht man es dabei jedem recht.
Die Corona-krise hinterlässt tiefe Spuren in der Finanz-bilanz des Kreises. Wie schlimm wird es noch?
Wir sind gerade dabei, den Haushalt aufzustellen. Da werden noch weitere Aufwendungen, unter anderem für das Impfzentrum, auf uns zukommen. Allerdings gehe ich bei diesen durchlaufenden Punkten davon aus, dass am Ende das Land die Kosten übernehmen wird. Das kommende Jahr wird schwierig, die richtig harten Einschnitte kommen aber erst 2022.
Was bedeutet das für den bisherigen Kurs im Klinikum? Sind hier Nachbesserungen notwendig?
Das Klinikum kostet den Landkreis Geld. Zuletzt haben wir im Frühjahr die Eigenkapitalausstattung erhöht. Auf der anderen Seite haben wir aber auch weitere Sparbemühungen eingeleitet. Diese Anstrengungen stehen jedoch nicht über allem. Ich möchte ein qualitativ hochwertiges Klinikum, das gut für die Zukunft aufgestellt ist. Wir verfolgen mit der Klinik eine klare Strategie. Wir können nicht mit Universitätseinrichtungen konkurrieren, sind aber ein sehr guter Zentralversorger für den Landkreis. Aus diesem Grund stehe ich auch klar zu einem kommunalen Klinikum. Dennoch wird die Situation herausfordernd bleiben. Wir haben ein großes Bauprogramm vor uns. Gerade entsteht der Strahlentherapie-bereich. Vor uns liegen dann noch die Bauabschnitte 3a und 3b. Diese Großprojekte werden uns bis Ende des Jahrzehnts umtreiben. Gleichwohl erwarte ich auch vom Krankenhaus, dass es einen finanziellen Beitrag leistet.
Wie lief das Jahr 2020 finanziell für das Klinikum?
Trotz Corona lief das bisherige Jahr nicht so schlimm wie erwartet. Außerdem bin ich den Oberbürgermeistern und Bürgermeistern der Städte und Gemeinden im Kreis sehr dankbar, dass sie das Krankenhaus mit einem Soli-beitrag unterstützen, der für sie eine zusätzliche Belastung bedeutet. Das zeigt, alle stehen hinter dem Klinikum. Aber wir haben noch vor sechs Wochen gesagt, eigentlich müssen wir das Geschäftsjahr 2021 mit dem 2019 vergleichen. Diese Aussage ist aber schon jetzt nicht mehr valide, weil auch das kommende Jahr sehr stark von Corona belastet sein wird.
Die Beratungsgesellschaft Oberender AG bekommt nach dem Abgang von Geschäftsführer Udo Lavendel viel Gegenwind aus dem Aufsichtsrat. Wie realistisch ist denn nach Ihrer Ansicht die Verlängerung des Mandates über 2022 hinaus?
Die Beschlusslage im Aufsichtsrat sieht vor, dass bis 2022 mit Oberender gearbeitet wird. Mit Dr. Rainer Pfrommer gibt es an der Spitze des Klinikums einen versierten Fachmann, der sich aktuell auch um die Sparpläne kümmert. Dafür brauchen wir zurzeit noch externes Wissen. Im Laufe des kommenden Jahres wird der Aufsichtsrat jedoch darüber entscheiden, ob mit Oberender weitergearbeitet werden wird oder nicht.
An der Ausstattung vor Ort soll der Impfstart nicht scheitern.
Vergleiche mit der Zeit des Nationalsozialismus sind für mich nicht verständlich.
Dort gibt es aber Stimmen, die sagen, unter kommunaler Leitung lief das Klinikum auch nicht schlechter als mit Oberender.
Das müssen wir in den nächsten Monaten ausloten. Ich kann mir natürlich auch einen kommunalen Krankenhausgeschäftsführer vorstellen. Das ist bei den meisten Kliniken zurzeit ja auch der Regelfall. Die Entscheidung darüber wird aber erst 2021 fallen.
Ich kann mir natürlich auch einen kommunalen Krankenhausgeschäftsführer vorstellen.
Ist Ihre Arbeitsbelastung gestiegen, seit Sie Landrat sind?
Meinen letzten freien Tag hatte ich Anfang Oktober. Seither war ich jeden Tag im Büro. Seit einigen Monaten habe ich auch eine Zweitwohnung in Heidenheim. Das erleichtert mir das Leben sehr, wenn ich abends gegen 22 oder 23 Uhr aus dem Büro komme. Dennoch ist der Landratsjob nach wie vor mein Traumberuf.
Wie oft sieht Ihre Familie Sie zurzeit überhaupt noch?
Ich habe eine sehr verständnisvolle Frau, die das auch aus ihrem familiären Umfeld kennt. Mein Schwiegervater war Geschäftsführer in einem produzierenden Unternehmen. Lange Arbeitszeiten sind ihr deswegen nicht unbekannt. Dennoch ist das für uns alle eine herausfordernde Situation. Auszeiten sind nicht möglich und meine Frau und mein Sohn sehen mich seit Monaten nur einmal in der Woche für ein paar Stunden.