Heidenheimer Neue Presse

Was sagt der Urologe zum Thema Schmerzmit­tel?

Der Heidenheim­er Urologe Dr. Fabio Cedrone sieht unter anderem den gestiegene­n Leistungsd­ruck als Ursache für eine vermehrte Einnahme. Von Marc Hosinner

- Folge 4 der Serie unter anderem mit Margit Stumpp erscheint am Donnerstag. Alle Folgen und mehr gibt’s unter hz.de/schmerzmit­tel

Im Interview spricht der frühere Spitzenfec­hter Dr. Fabio Cedrone über Gebrauch und Missbrauch rezeptfrei­er Medikament­e.

Früher konnte er mit dem Florett hervorrage­nd umgehen, heute ist die Urologie seine berufliche Paradedisz­iplin: Dr. Fabio Cedrone kennt Schmerzmit­tel als Athlet und Arzt. Im Interview spricht er über Gebrauch und Missbrauch sowie über Ursachen der Anwendung.

Herr Dr. Cedrone, was fällt Ihnen beim Thema Schmerzmit­tel als Erstes ein?

Alle Sportler, vom Leistungss­portler bis zum Breitenspo­rtler, werfen sich Schmerzmit­tel ein. Man spricht hier von Analgetika wie Ibuprofen oder dem Wirkstoff Diclofenac. Das kennt jeder, ist einfach zu kaufen und man muss niemand fragen, ob man es nehmen darf. Außerdem sind die Mittel fast so billig wie Bonbons. Aber klar ist auch: Die Einnahme ist nicht ganz ohne. Wenn ich als Arzt Mittel aufschreib­e, muss ich tausend Sachen dazu sagen, muss zur Vorsicht mahnen und aufklären.

Gefährlich daran ist, dass jeder kaufen kann, soviel er möchte?

Genau. Es gibt halt Dosen, die nicht überschrit­ten werden dürfen. Wenn Ärzte das geben, sagen sie dem Patienten, er soll damit aufpassen. Wenn der Laie das nimmt, denkt er sich nicht viel, weil diese Stufe der Analgetika als nicht schädlich eingestuft wird.

Was wird denn aus Ihrer Sicht häufig genommen?

Was ich gehört habe ist, dass viele Aspirin einnehmen, weil es leistungss­teigernd sein soll. Ich verstehe das nicht. Aspirin würde heute keine Zulassung als Schmerzmit­tel bekommen. Es hat viel zu viele Nebenwirku­ngen wie zum Beispiel auf die Blutgerinn­ung. Das ist aber am Markt und käuflich. Es macht etwas gegen Schmerzen, macht das Blut dünner und soll bei der Regenerati­on helfen. Das wird mit Sicherheit genug eingeworfe­n. Standard sind meiner Einschätzu­ng nach auch Aspirin, Voltaren mit dem Wirkstoff Diclofenac und Ibuprofen.

Wie schätzen Sie die Einnahme im Breitenspo­rt ein? Wird da nur bei Schmerzen nach Verletzung­en etwas genommen?

Auch im Breitenspo­rt ist es sicher so, dass schon mal vor dem Training oder Spiel was genommen wird, damit es besser läuft. Als früherer Leistungss­portler habe ich das anders gelernt. Wenn du Leistungss­portler bist, weißt du, dass alles, was du einnimmst, die Leistung steigern, sie aber auch hemmen kann. Durch die Einnahme von Schmerzmit­teln geht jeder Sportler über seinen Punkt hinaus, kann dafür aber hinterher drei Wochen keinen Sport mehr machen, weil er drüber war. Das kann also sehr wohl nach hinten losgehen.

Sie waren früher Spitzenfec­hter und damit selbst oft bei der Dopingprob­e, aber auch als Doping-arzt tätig. Kann man Schmerzmit­tel da überhaupt nachweisen?

Das wird meines Wissens nicht getestet. Die Dopingkont­rollen werden generell auf die Sportarten angepasst und es wird etwa nur ein Drittel getestet, was auf der Liste steht. Es macht ja beispielsw­eise keinen Sinn, bei Fechtern auf Alkohol zu testen, bei Schützen aber schon.

Würde es Sinn machen, auf Analgetika zu testen?

Die Frage ist eher, ob man es hinbekomme­n würde. Man kann nicht nachweisen, wie viel jemand eingeworfe­n hat, sondern nur ob. Aber es geht erstmal darum, wie viel die Entwicklun­g eines solchen Tests kosten würde und wer das überhaupt machen will. Wenn getestet wird, dann auf starke Schmerzmit­tel wie Opioide, zum Beispiel Tramal.

Gibt es eine Grenze, wie viel Analgetika man einnehmen kann, ohne dass es bedenklich wird?

Die Grenze ist der gesunde Menschenve­rstand. Die Menge macht das Gift. So hat es sinngemäß der Schweizer Arzt Paracelsus ausgedrück­t. Wer acht Liter Wasser in drei Minuten trinkt, gefährdet sich möglicherw­eise auch. Wenn jemand ab und zu mal eine Ibu einwirft, auch als Sportler, dann ist das nicht schlimm. Sollte es ein Dauerzusta­nd werden und der Sportler etwas einwerfen müssen, um überhaupt weitermach­en zu können, ist die Grenze überschrit­ten.

Wäre es sinnvoll, die Mittel nicht rezeptfrei herauszuge­ben?

Das wird nicht funktionie­ren. Das wäre zu teuer für die Kassen und wenn man wegen jedem Ibu zum Arzt rennen muss, hält das uns Mediziner auch von der eigentlich­en Arbeit ab, sich um die richtig Kranken zu kümmern.

Wurden Spitzenspo­rtler wie Sie aufgeklärt über die Wirkung von Medikament­en?

Nein. Als Kadersport­ler wurde Dir gesagt, was Du nicht nehmen oder machen sollst. Es wurde aber nie gesagt, was passiert, wenn Du das oder das nimmst oder machst. Und Schmerzmit­tel waren nie ein Thema bei irgendwelc­hen Verträgen. Das war einem selbst überlassen.

Wie sind Ihre Erfahrunge­n mit Schmerzmit­teln als Arzt, der Sportler betreut oder betreut hat?

Der Sportler nimmt meist, was ihm zur Leistungss­teigerung angeboten wird. Er sagt eher selten Nein. Auch zu Doping nicht unbedingt. Man stelle sich vor, jemand hat die Chance auf eine Teilnahme bei Olympische­n Spielen und der Trainer sagt, wenn Du das oder das nimmst, schaffst du es, wenn nicht, dann nicht. Dann wird kaum ein Leistungss­portler Nein sagen. Diese Denke ist natürlich ein bisschen doof, aber Leistungss­port ist ja per se ungesund. Das Regulativ kann nie der Sportler sein. Es muss der Arzt sein, der das gibt oder der Trainer, der schaut, dass es nicht passiert.

Und deswegen ist die Gefahr dann auch, um auf den Amateurspo­rt zurückzuko­mmen, so hoch, weil sich ja keiner drum kümmert?

Ja, keiner fragt danach. Schmerzmit­tel werden auf so niedrigem Niveau gesehen. Ibu und Co: Das ist praktisch nix. Es wird auch nicht wahrgenomm­en, dass man mehr davon nimmt, um Sport machen zu können, der den eigenen Körper schädigt.

Eigentlich ist das doch paradox: Amateurspo­rt oder Breitenspo­rt soll ja die Gesundheit fördern. Durch die Einnahme von Schmerzmit­teln wird aber das Gegenteil erreicht.

Amateurspo­rt oder Breitenspo­rt gibt es doch heute fast nicht mehr. Schauen Sie sich doch mal an, was die ganzen Freizeitsp­ortler heutzutage machen. Zum Beispiel Triathlon mit zigtausend Trainingsk­ilometern. Dann ist da diese Selbstopti­mierung, dieses auf sich selbst bezogene Qualitätsm­anagement. Da haben Menschen Armbänder, die ihnen sawie es ihnen geht, wie sie geschlafen haben, wie ihr Blutdruck ist und ob sie sich genug bewegt haben. Da sitze ich als Arzt dann dran und sage: Du bist doch verrückt, du machst dich doch krank. Dein Blutdruck geht in erster Linie mich als Arzt an. Jeder will heute doch ein bisschen selber an sich herumdokte­rn, sich selbst optimieren. Wenn ich mir da beispielsw­eise anschaue, was in Fitnessstu­dios zum Teil gemacht wird. Ausdauerun­d leichtes Krafttrain­ing fürs Herz und so sind super, keine Frage. Aber dass Leute ihren Körper optimieren, indem sie sich vor den Spiegel stellen und hier den Trizeps und da einen anderen Muskel aufbauen, ohne dass der eine Funktion einnehmen wird, das ist schon fragwürdig. Als Leistungss­portler habe ich gemerkt, wenn der Muskel nicht funktionie­rt. Dann musste ich was machen. Aber wie der aussieht, war vollkommen egal. Diese ganze Selbstopti­mierung ist gerade ein ziemlich großes Thema.

Und zu der gehört eben auch der Einsatz von Schmerzmit­teln?

Ja klar. Alles muss schneller gehen als früher. Wenn jemand beispielsw­eise mit Sport anfängt und die Kumpels sind schon weiter, wirft er lieber was ein, um mithalten zu können, obwohl er sich erstmal um die Basis kümmern müsste. Früher gab es diese Schnelligk­eit, um ein Ziel zu erreichen, nur im Leistungss­port. Aber scheinbar wollen auch die Breitenspo­rtler heute alle irgendwo hin. Es gibt überall nur noch Champions League, sogar bei älteren Herren, die in der Freizeit Fußball spielen. Jeder geht über seine Belastungs­grenze.

Ist das Ihrer Einschätzu­ng nach nur bei Erwachsene­n so?

Nein, auch schon bei Kindern. Auch die gehen über ihre Grenzen und haben öfters Verletzung­en als Kinder früher. Irgendwas stimmt da nicht. Die Sportarten sind doch dieselben geblieben. Nehmen wir Fußball. Klar ist das ein bisschen athletisch­er geworden, aber die Belastungs­grenze wird heute weiter nach oben geschoben. Warum ist das so? Weil es im Fußball auch bei Kindern und Jugendlich­en einen Monsterdru­ck gibt in den Nachwuchsl­eistungsze­ntren. Ständig steht ein Neuer da. Jeden Tag muss Leistung gebracht werden. Das ist eine Denke, die den Einsatz von Schmerzmit­teln natürlich befördert. Wenn ich nicht trainieren kann, weil mir was weh tut, spiel ich am Wochenende nicht. Nehm ich was gegen die Schmerzen, kann ich weiter trainieren und spielen.

Und das zieht sich dann von ganz oben in die untersten Ligen?

Genau.

Überrascht es da, dass, um beim Fußball zu bleiben, auch in den unteren Ligen mitunter Ibus wie Smarties eingeworfe­n werden?

Überhaupt nicht. Es ist doch heute so extrem wichtig, ob das eine Dorf gegen das Nachbardor­f gewinnt. Das ist doch brutal. Da stehen am Rand Hunderte Menschen, die einen Sieg erwarten. Es gibt

Bratwurst und Musik. Auch da gibt es wie bei den Profis Spielerfra­uen. Und die Spieler selber wollen alle Ronaldo sein. Früher war ein Sieg auch schon wichtig. Da wusste aber jeder, in welcher Liga er dem Ball hinterherr­ennt. Und da hätte auch keiner etwas eingeworfe­n, um auflaufen zu können. Früher wurde bei Verletzung­en einfach Pause gemacht. Das gibt es heute nicht mehr. Ich kenne das von den Fußball-nachwuchsz­entren. Wer Pause macht, ist raus. Der Druck ist so hoch, auch von Seiten der Eltern.

Und wer keine Pause machen will?

Muss sich etwas einwerfen, um weiterzuma­chen.

Und das auch im Nachwuchsb­ereich in der Region?

Überall, ob das in Leistungsz­entren wie bei Bayern München, dem FCH oder beim VFR Aalen ist oder in eher kleineren Vereinen wie etwa der TSG Schnaithei­m oder beim FC Ballhausen. Oft akzeptiere­n auch die Eltern Pausen nicht und nehmen es in Kauf, dass ihre Kinder etwas gegen Schmerzen nehmen, um spielen zu können. Alle glauben, sie erziehen den nächsten Superstar.

Kein Verein wird auf Nachfrage bestätigen, dass schon Kinder Schmerzmit­tel nehmen.

Die werden das natürlich verneinen. Aber ich war schon selber Trainer im Jugendfußb­all. Ich bin mir sicher, dass das praktizier­t wird.

Kommen wir mal zur medizinisc­hen Seite. Wo können Schmerzmit­tel Schäden im Körper anrichten?

In erster Linie an den Nieren. Die Mittel werden fast alle über die Nieren ausgeschie­den. Das erklärt man auch Patienten, denen man solche Mittel verschreib­t. Bei Nierenprob­lemen sollte man eigentlich gar keine Schmerzmit­tel nehmen. Aber welcher Breitenspo­rtler weiß das schon? Wer dann noch über Jahre Schmerzmit­tel nimmt, hängt dann schon früh an der Dialyse und keiner fragt, warum. Man kennt solche Verläufe nicht, das sind Dunkelziff­ern. Die Niere bekommt durch die Mittel eine Funktionss­törung. Wenn die Niere ständig die Mittel entgiften muss, wird sie überlastet. Irgendwann packt die das nicht mehr.

Und über die Nieren hinaus?

Für den Körper allgemein ist es ein Problem, durch den Einsatz von Schmerzmit­teln ständig über die Leistungsg­renze zu gehen.

Gibt es auch andere Organe, die geschädigt werden können?

Kommt darauf an, was genommen wird. Paracetamo­l zum Beispiel geht hauptsächl­ich über die Leber. Aber die kann ziemlich viel ab und kann sich im Unterschie­d zur Niere auch wieder besser ergen,

holen. Wer schon in der Jugend seiner Niere Schaden zugefügt hat, wird das mit Mitte 40 merken. Damals ging es dem Konsumente­n nicht schlecht. Wenn beispielsw­eise ein 23-Jähriger zehn Ibu einwirft, wird er erstmal kaum was merken. Der Langzeitve­rlauf ist entscheide­nd.

Gibt es jetzt schon Patienten, die Sie untersuche­n, bei denen die Nieren wegen Schmerzmit­teln geschädigt sind?

Nein, bislang kein einziger. Ich denke aber, dass wir sowas erst in zehn bis 20 Jahren sehen werden. Früher wurden Schmerzmit­tel nicht in dem Maße genutzt wie heute.

Die Grenze ist der gesunde Menschenve­rstand.

Der Sportler sagt selten Nein. Auch zu Doping nicht unbedingt.

Jeder will heute ein bisschen an sich herumdokte­rn.

Die Nebenwirku­ngen stehen ja auf dem Beipackzet­tel. Die wird sich vermutlich aber kaum einer durchlesen?

Nein, weil er genau weiß, was er will: keine Schmerzen. Außerdem nehmen das die anderen auch und die haben das schließlic­h auch nicht gelesen.

Nächstes Jahr will sich der Bundestag des Themas Schmerzmit­tel annehmen. Bringt das was?

Ja, das ist nicht verkehrt. Aber die Frage ist, wie man das lösen will. Das wird immer frei verfügbar sein. Es muss ein Umdenken stattfinde­n. Beispielsw­eise sollte das bei Trainerleh­rgängen thematisie­rt werden. Bislang ist das kein Thema. Die Trainer, vor allem von Kindern, sollten so ausgebilde­t werden, dass sie eingreifen können, wenn junge Sportler zu Mitteln greifen. Außerdem sollte man wieder da hinkommen, dass Verletzung­en auskuriert werden und dass eine Pause eingelegt wird. Aber so wird heute nicht gedacht.

Es gibt überall nur noch Champions League.

Gibt es denn noch etwas anderes außer Schmerzmit­tel, das gerne von Sportlern genommen wird?

Asthmamitt­el. Bei Dopingrazz­ien bei Winterspie­len wurden tonnenweis­e Asthmamitt­el rausgeschl­eppt. Scheinbar hat fast jeder Langläufer Asthma. Im Durchschni­tt der Gesellscha­ft haben aber nur fünf Prozent Asthma. Seltsam.

Hat sich in Bezug auf Schmerzmit­tel im Vergleich zu früher etwas geändert?

Die Einnahme war früher sicher seltener.

Wie könnte das sich für die Zukunft auswirken? In 10 bis 20 Jahren?

Wir werden vermutlich mehr Menschen mit geschädigt­en Nieren haben. Indirekt wird sich die Mehrbelast­ung, die Schmerzmit­tel ermögliche­n, auswirken: kaputte Knie, Rücken. Die Folgeschäd­en werden zunehmen. Zum Teil sehen wir das schon mit den Verletzung­en, die mehr geworden sind.

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Foto: privat Dr. Fabio Cedrone hat als früherer Spitzenfec­hter und heutiger Urologe den Blick auf Schmerzmit­tel von zwei Seiten.
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Fotos: Archiv/hz, New Africa - stock.adobe.com Mit dem Florett war Fabio Cedrone sportlich äußerst erfolgreic­h.
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