Mörderisch unterhaltend
Charlotte Link hat einen neuen Bestseller geschrieben: „Ohne Schuld“. Was ist das Erfolgsrezept der Schriftstellerin?
Mehr als 30 Millionen verkaufte Bücher, die auch als schneller Lesestoff in Tankstellen oder Supermärkten angeboten werden. Sie schreibt Unterhaltungsliteratur – was die erfolgreichste deutsche Autorin der Gegenwart den Großfeuilletons verdächtig macht. Charlotte Link (57) aber kann es, sehr gut sogar. Auch ihr neuer Kriminalroman „Ohne Schuld“ist dramaturgisch ziemlich clever und psychologisch raffiniert aufgebaut. Und ein atemraubender Showdown fehlt auch nicht.
Zum dritten Mal spielt Detective Sergeant Kate Linville die Hauptrolle, jetzt offiziell ermittelnd für die North Yorkshire Police im Seebad Scarborough. Auf einer Zugfahrt gerät sie ins Pistolenfeuer eines Mannes, der eine panisch durch die Gänge flüchtende Frau verfolgt. Kate kann sich mit ihr in eine Toilette retten. Im Bahnhof ist der Täter unerkannt verschwunden. Zwei Tage später stürzt eine junge Lehrerin mit dem Fahrrad über einen gespannten Draht. Sie überlebt nur knapp.
Es war ein Attentat – denn es fiel auch ein Schuss, und zwar aus derselben Waffe, aus der im Zug gefeuert wurde. Aber weshalb handelte der Täter einmal brutal, zu allem entschlossen und dann entweder skrupulös oder nachlässig? Er hätte die schwer verletzt auf dem Boden liegende Frau hinrichten können. Und vor allem: Was verbindet die Opfer, was haben die beiden Fälle gemeinsam?
Das alles ereignet sich in einem heißen Sommer des Jahres 2019, Tag für Tag, die Kapitel sind fortschreitend datiert. Bald meldet sich aber auch, im Buch herausgehoben in einer anderen Schrift, immer wieder ein Mann, der aus seinem verpfuschten Leben erzählt – ein innerer Monolog,
ein vertrautes Stilmittel der Autorin.
Hochmoore, pittoreske Ortschaften und Küstenlandschaften? Charlotte Link liefert kein Pilcher’sches Herzkino mit Toten. Auch keine schrullig gemütlichen, very britischen Mördergeschichten, wie sie die deutschen Fans von „Inspektor Barnaby“lieben. Sie bedient keine Urlaubsgefühle wie etwa die Dupin-romane aus der Bretagne von Jean-luc Bannalec, verarbeitet keine Historie wie Volker Kutscher in seinen Gereon-rath-krimis, verfolgt keine Gesellschaftskritik, sie ist keine politische Stimme.
Sehr realistisch
Sie schreibt einfach nur packende Kriminalromane, in denen der ausländische Schauplatz die Fiktion betont, eine vermeintliche Distanz zur Realität betont. Einziges Ziel: „Ein Buch darf mich niemals langweilen“, sagte Charlotte Link einmal im Gespräch mit unserer Zeitung und spricht damit auch für ihre Leserschaft.
Das klingt anspruchslos, vermeintlich ambitionslos, und vielleicht werden ihre Kriminalromane deshalb unterschätzt. Wobei gerade ihr neues Buch „Ohne Schuld“, wie immer sorgfältig recherchiert, sehr gesellschaftskritisch gehalten ist: also sehr realistisch. Die Ermittlungen führen in die ärmlichen Arbeitersiedlungen von Leeds, zeigen bittere Schicksale auf. Mehr wird nicht verraten.
Dass Charlotte Link nur Kriminalromane von der Stange schriebe, lässt sich auch nicht sagen. „Sechs Jahre“hieß ein Buch, mit dem sie den Krebstod ihrer Schwester verarbeitete, von deren Leidenszeit, einer Odyssee durch die Krankenhäuser berichtete. Seitdem wisse sie, wie wichtig ein funktionierender Körper ist: „Wenn man sich seiner Gesundheit bewusst wird, ist das ein Anlass, glücklich zu sein.“Wenn jetzt im Roman die gelähmte Sophia Lewis, das Anschlagsopfer, im Krankenhaus ihre Lage reflektiert, erinnert das daran.
Die Autorin wählt zumeist die personale Erzählperspektive, so werden ihre Protagonisten im schnellen Schnitt greifbar. Die unscheinbare Ermittlerin Kate Linville ist eine graumäusige Antiheldin, aber intuitiv und mutig. Sie verlässt Scotland Yard, um in Scarborough ins Team des von ihr bewunderten Detective Chief Inspector Caleb Hale zu stoßen. Aber der wird gleich anfangs suspendiert, weil er alkoholisiert einen misslungenen Einsatz leitete. Kate und Caleb – nein, auch den von so manchen Leserinnen erwarteten Beziehungskitsch verweigert Charlotte Link.
„Ohne Schuld“ist schlichtweg gute, sehr spannende, auch emotional düstere Unterhaltung. Eine Alternative zu Netflix und Co.