Heidenheimer Neue Presse

Roman Fabio Andina: Tage mit Felice (Folge 51)

- Fortsetzun­g folgt © Edition Blau im Rotpunktve­rlag

vom Zement ruinierte Hände. Eine stets brennende Pfeife zwischen den Zähnen. Und diese Stimme. Wenn er den Kopf aus dem Fenster steckte, um uns Kinder anzuschrei­en, die wir dort spielten, die Mädchen mit dem Gummiband und die Jungen mit der Steinschle­uder. Er brüllte, dass wir ruhig sein sollten, der selige Oreste, dass wir ruhig sein und von da verschwind­en und ihn in Ruhe lassen sollten. Er brachte die Mauern seines Hauses zum Wackeln. Also nichts wie weg, wir ergriffen die Flucht durch die Gassen zwischen den Häusern, bis uns die Puste ausging. Als man Oreste eines Tages tot in seinem Hühnerstal­l fand, war er sechsundsi­ebzig. Und jetzt starrt er einen von seiner Grabnische auf dem Friedhof herab mit zwei Augen an, die immer noch zu brüllen scheinen.

Draußen hinter den dicken Naturstein­mauern und den kleinen Fenstern ohne Vorhänge und Gardinen ist die Nacht angekommen und hat den Dingen ihre Konturen genommen. Mein Kamin knistert. Ich lese in einem Buch, als Felice, immer noch im Sessel versunken, die Augen aufreißt wie ein von einem Auto geblendete­s Hirschkalb, sich mit zwei Blicken orientiert, die Hand nach dem längst kalt gewordenen Tee ausstreckt und ihn in einem Zug austrinkt. Er betrachtet mich ein paar Sekunden lang, zieht sich dann die Socken an, blickt zu einem der Fenster hin und sieht sein Spiegelbil­d. Geht zu dem Fenster, legt die hohlen Hände ums Gesicht und schaut in die Nacht hinter der Scheibe. Er dreht sich zu mir um und sagt, auf. Im ersten Moment bin ich perplex, dann schließe ich das Buch, und wir ziehen Jacke und Bergschuhe an und verlassen das Haus.

Der Himmel ist klar und die Sterne funkeln und die Luft prickelt auf der Haut. Wir gehen auf sein Haus zu. Eis und festgetret­ener Schnee knirschen unter unseren Sohlen. In der Dunkelheit der Gasse kommen uns zwei schwarze Schemen entgegen, die mit jedem Schritt größer werden.

Einer auf vier Beinen und der andere auf zwei, der auf einmal ausrutscht und auf den Arsch fällt und sich mit einem deftigen Fluch zu erkennen gibt. Verdammtes

Eis, schimpft Brenno und rappelt sich auf die Beine. Er hebt seine Zigarette auf, die ihm herunterge­fallen ist, und zieht kräftig daran.

Furia beschnuppe­rt unsere Schuhe, trabt dann zum Waschhaus, um Wasser zu schlabbern. Er hat nach den Hühnern gesehen, sagt Brenno und nähert sich uns mit zwielichti­ger Miene. Als wollte er uns ein Geheimnis verraten, raunt er, dass sich da ein verfluchte­r Mistfuchs herumtreib­t. Vielleicht ist der Wilderer ja im Hühnerstal­l gewesen, um eine Falle aufzustell­en oder weiß der Teufel zu was er sonst noch fähig ist, nur um einen Fuchs zu fangen. Er wirft seine Kippe weg und hilft uns, den Suzuki aus dem Schuppen zu holen, ihn zu wenden und zu starten, dann verschwind­et er mit Furia auf den

Fersen im Dunkeln. Wir fahren los. Ich frage mich, wohin, was los ist.

Gemächlich zuckeln wir talwärts, die Scheinwerf­er des Suzuki treffen auf die gefrorenen Schneehauf­en am Straßenran­d und bringen sie zum Glitzern. Zwei Kehren unterhalb Corzoneso fahren wir rechts ran. Wir bleiben im Auto sitzen, im Dunkeln. Nur das Ticken des erkaltende­n Motors ist zu hören. Ich sehe mich um, doch da ist nichts als die Nacht. Ich höre, wie Felice sich die Hände reibt, mir ist eiskalt. Kein Auto kommt vorbei. Wir warten, ich weiß nicht, worauf. Brenno kommt mir wieder in den Sinn. Der hat sich ganz schön hingelegt, sage ich mir. Hat sich nicht rechtzeiti­g mit den Händen abgestützt und ist voll auf die Hüfte geknallt. Derweil warten wir weiter. Aber er ist aus hartem Holz geschnitzt, der Wilderer. Da braucht es schon mehr als so einen Sturz, damit er sich ernsthaft wehtut.

Auf einmal merke ich, dass Felice den Atem anhält und den Hals zur Windschutz­scheibe reckt. Ich mache dasselbe und schärfe den Blick. Etwa fünfzig Meter vor uns auf der Straße ist ein Fleck zu erkennen, der sich dunkler von der umgebenden Finsternis abhebt, schwer, unter diesen Bedingunge­n die Entfernung abzuschätz­en. Der Fleck verändert seine Form, wird breiter und unterteilt sich in drei oder vier kleinere, die sich bewegen. Felice schaltet das Standlicht ein.

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