Scharfer Blick am Beckenrand
Der Heidenheimer Jürgen Bosch hat als Schiedsrichter Karriere gemacht. Nun rückt er ins technische Komitee des europäischen Verbandes auf.
Gute Schwimmer hat Heidenheim immer wieder hervorgebracht, einige schafften es in die deutsche Spitze. Zur Zeit werden etwas kleinere Brötchen gebacken und von internationaler Klasse kann schon gar nicht die Rede sein. Anders sieht es da am Beckenrand aus. Jürgen Bosch hat sich im deutschen Verband als Kampf- und Schiedsrichter einen Namen gemacht und wurde nun sogar ins technische Komitee des europäischen Schwimmverbandes LEN berufen.
Bis in die 1980er-jahre startete Bosch für die mittlerweile aufgelöste Schwimmstartgemeinschaft Heidenheim. „Ich hatte allerdings eher weniger Talent“, sagt der Heidenheimer, der sich bald auf auf seine Arbeit beim Deutschen Schwimmverband (DSV) konzentrierte, bei dem er seit einigen Jahren die Verantwortung für das Kampfrichterwesen trägt. Mittlerweile ist er für den Schwimmverein Schwäbisch Gmünd gemeldet, aber auch noch Mitglied im HSB – in der Baseballabteilung.
Für Bosch kamen bald internationale Einsätze dazu, beispielsweise bei den Olympischen Jugendspielen 2014 oder der Weltmeisterschaft 2017 in Budapest. Dieses Jahr wäre er zur Kurzbahn-wm nach Abu Dhabi gefahren, die Titelkämpfe wurden aber wegen Corona auf 2021 verschoben.
Im Rahmen seiner Tätigkeit wurde Bosch von Mitarbeitern des europäischen Schwimmverbandes gefragt, ob er sich eine Mitarbeit im technischen Komitee für den Bereich Beckenschwimmwettbewerbe vorstellen könne. Er konnte und wurde nun vor gut einer Woche als einziger Deutscher für zunächst einmal vier Jahre in dieses höchste Gremium berufen. Zudem steht er auf der internationalen Schiedsrichterliste des Weltverbandes FINA. Seine Tätigkeit beim DSV hat er deshalb abgegeben.
Zu seinen Aufgaben bei der LEN gehört grob gesagt die Einteilung der Schiedsrichter und die Überwachung der Abläufe bei großen internationalen Schwimmveranstaltungen sowie die Aus- und Fortbildung der Schieds- und Kampfrichter.
Was macht ein Schiedsrichter?
Aber was machen eigentlich Schiedsrichter beim Schwimmen? Den Anschlag registriert die Technik und Fouls kommen im Becken ja eher selten vor. „Da gibt es mehr, als man denkt“, schmunzelt Bosch. Zum Beispiel das Berühren des Beckenrandes bei der Wende oder die Einhaltung der Bewegungsabläufe in den verschiedenen Stilarten.
Dafür laufen sogar zwei Kampfrichter am Beckenrand mit. Und dennoch gibt es Grauzonen. „Wenn man Adam Peaty das erste Mal sieht, denkt man, das hat mit Brustschwimmen nichts mehr zu tun“, berichtet Bosch. Der Weltmeister, Olympiasieger und Weltrekordler aus Großbritannien hat einen Beinschlag, der mehr an das Delphinschwimmen erinnert, dennoch regelgerecht ist.
Besonders knifflig wird’s bei Staffeln, und nicht selten greifen die Schiedsrichter ein, weil ein Schwimmer kurz vor dem Anschlag seines Teamkollegen ins Wasser springt. Bei der Kurzbahn-em 2019 wurden im Finale gleich drei Staffeln wegen solcher Frühstarts disqualifiziert. Das Ganze geht so schnell, dass ein Supervisor Kameraufnahmen mit 1000 Bildern pro Sekunde zur Klärung heranzieht.
Eine Zeit lang musste das Material besonders sorgfältig überprüft werden. „Die Aufrüstung begann Ende der 1990er-jahre“, erzählt Bosch. Ganzkörperanzüge sollten für Auftrieb und damit einen Vorteil sorgen. Inzwischen dürfen nur noch von der FINA genehmigte Schwimmanzüge getragen werden.
Auch die Digitalisierung hält Einzug. Zum Beispiel versuchen es manche Athleten mit Schwimmbrillen, in denen sie ihre Zwischenzeit oder gar Anweisungen des Trainers ablesen können. Auch kleine Sender unter den erlaubten zwei Badekappen sind denkbar, aber natürlich verboten.
Immerhin: Um das Thema Doping kümmern sich andere Kontrolleure. Dafür müssen die Schiedsrichter mögliche Bestzeiten dokumentieren. „Vor einem Jahr war ich beim Weltrekord von Sarah Köhler dabei. Da geht der Puls schon kurz hoch“, berichtet Bosch. Denn wenn auf dem Formular eine Angabe fehlt, wird der Rekord nicht anerkannt.
Im Februar 2021 hat Bosch nun ein erstes Treffen mit dem Len-komitee, im Mai ist er bei der Europameisterschaft in Budapest – wenn nicht wegen Corona wieder alles anders läuft. Die Olympischen Spiele finden dagegen ohne ihn statt, in Tokio wird kein deutscher Schiedsrichter am Beckenrand sein.
Geld gibt es nicht
„Vielleicht klappt es bei den Spielen 2024, aber da ist viel Sportpolitik dabei“, sagt Bosch, der seine Tätigkeit ohnehin ausschließlich aus Liebe zum Schwimmsport betreibt. „Geld gibt es keines und nächstes Jahr gehen 80 Prozent meines Urlaubs für Arbeit als Schiedsrichter drauf. Das Ganze funktioniert auch nur mit Unterstützung der Familie“, betont Bosch.
Es fasziniert ihn immer wieder, wenn es gelingt, nach nur kurzer Besprechung mit einem bunt zusammengewürfelten Haufen von 30, 40 Schiedsrichtern aus aller Welt einen Wettbewerb reibungslos über die Bühne zu bringen. „Und wenn mich danach jemand fragt, ob ich überhaupt da war, ist das das größte Kompliment.“