Gleich zwei Freier zurückgewiesen
Heute vor 50 Jahren entschied der Gemeinderat, dass Herbrechtingen selbstständig bleibt. Die Tage waren turbulent, plötzlich schien eine Eingemeindung durch Heidenheim oder Giengen möglich.
Vor 50 Jahren hätte Heidenheim sich gern Herbrechtingen als Braut genommen. Und auch aus Giengen war ein Werben zu vernehmen. Doch am Buigen widerstand man.
Das Jahr 1970 neigte sich dem Ende zu, Weihnachten stand vor der Tür. Doch in der eigentlich besinnlichen Adventszeit machte sich unter den Herbrechtinger Bürgern eine gewisse Unruhe breit. Plötzlich war in den Lokalzeitungen von einer möglichen Eingemeindung Herbrechtingens nach Heidenheim oder Giengen zu lesen, erstmals am 8. Dezember. Ein Szenario, das den Herbrechtingern gar nicht gefiel und an das sie zuvor „nicht mal im Traum dachten“. Denn erst vor wenigen Wochen wurde die Bürgermeisterwahl auf den 24. Januar 1971 terminiert – einen Bürgermeister gibt es nur in einer selbstständigen Kommune.
Eingemeindungen belohnt
Zwar waren Eingemeindungen während der Gebietsreform in Baden-württemberg nichts Ungewöhnliches – so stand zu diesem Zeitpunkt bereits fest, dass Oggenhausen an Heidenheim geht. Aber sich einer anderen Kommune unterzuordnen, überstieg dann doch die Vorstellungskraft der Herbrechtinger. Vielmehr sah man sich selbst in der Rolle des „Übernehmers“. Mit gutem Grund: Die Reform hatte eine Stärkung der Verwaltungskraft kleinerer Kommunen durch Eingemeindungen zum Ziel. Zusammenschlüsse und damit die Selbstständigkeit aufzugeben, wurden vom Land finanziell belohnt. In Herbrechtingen empfand man sich jedoch mit 8500 Einwohnern und einer günstigen finanziellen und wirtschaftlichen Lage als groß und stark genug, um eigenständig zu bleiben. Auch das für die Reform zuständige Innenministerium bezeichnete Herbrechtingen als eine Selbstversorgergemeinde, die eine Verwaltungsgemeinschaft mit anderen Gemeinden bilden sollte.
Dadurch, dass der damalige Bürgermeister Oskar Mozer zum Thema Eingemeindung zunächst schwieg, wurde Unsicherheit in der Bevölkerung gesät. Ihr Unmut darüber, dass die Eigenständigkeit des 1200-jährigen Herbrechtingens auf dem Spiel stand, soll laut Mozer in Äußerungen gegipfelt haben wie „so etwas kommt für uns überhaupt nicht in Frage“oder „solche Gedanken sind geradezu verbrecherisch“. Rund eine Woche nach dem ersten Zeitungsbericht, am 15. Dezember, fand eine öffentliche Sitzung des Gemeinderates statt. Einziger Tagesordnungspunkt war „Begründung des nichtöffentlichen Beschlusses des Gemeinderats vom 11. Dezember 1970 betreffend Bürgermeisterwahl und Eingemeindungsfragen“.
200 Besucher in der Ratssitzung
Da die Verwaltung bereits mit einem großen Besucherandrang rechnete, wich man hierfür in den größeren Musiksaal der Bibrisschule aus. Es mussten sogar noch zusätzliche Stühle aufgestellt werden, da mit 200 Leuten mehr Zuschauer kamen, als erwartet. Eine so gut besuchte Sitzung des Gemeinderates hatte man bis dato nicht erlebt. Nach Tagen der Ungewissheit wollten die Bürger endlich erfahren, wie es um die Zukunft ihrer Heimat bestellt war.
Dann die Erleichterung. Bürgermeister Oskar Mozer teilte laut Sitzungsprotokoll mit: „Der Gemeinderat hat keinerlei Veranlassung, mit irgendeiner Nachbarkommune wegen eines Anschlusses von Herbrechtingen an diese zu verhandeln.“Der Rat habe das bisher nicht getan und werde das auch künftig nicht tun, die Bürgermeisterwahl finde wie beschlossen statt, so Mozer. Dass
Heidenheim, so fuhr er fort, nach dem „fetten Bissen Herbrechtingen“gerne schnappen würde, sei verständlich. „Es gibt im Kreis keine Gemeinde, die für Industrie und Gewerbe ähnlich günstige
Niederlassungsmöglichkeiten zu bieten hat wie Herbrechtingen.“Aber: „Wir lassen uns uns nicht verkaufen.“
Auch ein Schreiben aus Giengen
Mozer schilderte dann die Ereignisse, die zu diesem Beschluss geführt haben. Auslöser der ganzen Geschichte war, dass der Bürgermeister am 12. November verkündete, sein Amt aus gesundheitlichen Gründen Ende Februar niederlegen zu müssen. Drei Tage später, am 15. November, wurde ihm bekannt, dass Heidenheims Oberbürgermeister Martin Hornung zu zwei Mitgliedern des Gemeinderates Verbindung aufgenommen hatte. Dabei soll dieser laut Mozer sinngemäß erklärt haben: „Wenn Bürgermeister Mozer geht, soll Herbrechtingen die Gelegenheit nutzen und sich an Heidenheim anschließen.“Ein an ihn persönlich gerichtetes Schreiben von Hornung erhielt Mozer erst am 8. Dezember, am Tag einer Gemeinderatssitzung. In dieser hat man nicht über Eingemeindungsfragen beraten wollen, sondern eine nichtöffentliche Sitzung für den 11. Dezember anberaumt. An jenem Sitzungstag ging dann bei der Herbrechtinger Verwaltung auch ein Schreiben von Bürgermeister Walter Schmid ein, der den Hut für Giengen in den Ring warf. Vergebens. Die große Mehrheit des Gemeinderates stimmte am 11. Dezember dafür, dass Herbrechtingen Herbrechtingen bleibt.
Mozer gab sich in der öffentlichen Sitzung überzeugt, dass dies die einzig richtige Entscheidung sei und er hoffe, dass nun wieder Ruhe und Frieden in die Gemeinde einkehre. Der starke Beifall des Publikums sprach jedenfalls dafür.