Heidenheimer Neue Presse

Junge Leute haben Angst

Die 15- bis 30-Jährigen blicken mit Sorge in die Zukunft.

- Guido Bohsem zur Debatte um Corona-schließung­en leitartike­l@swp.de

Viele junge Menschen erleben die Corona-pandemie als Zeit großer psychische­r Belastung. Knapp 46 Prozent der im Rahmen einer bundesweit­en Studie befragten 15- bis 30-Jährigen stimmten der Aussage voll beziehungs­weise eher zu, Angst vor der Zukunft zu haben. Besonders junge Menschen, die nicht mehr zur Schule gehen, klagten über Einsamkeit, finanziell­e Sorgen und andere Nöte. Das sind erste Ergebnisse der Studie „Juco 2“des Forschungs­verbunds „Kindheit – Jugend – Familie in der Corona-zeit“.

Den Corona-warnampeln in Deutschlan­d werden bald die Farben ausgehen. Noch dunkelrote­r lassen sich die Werte der Corona-infektione­n kaum noch zeichnen. Deutschlan­d, so scheint es, blickt wieder einmal in den Covid-abgrund. Damit wir nicht hineinstür­zen, fleht Kanzlerin Angela Merkel die Deutschen an, sich endlich vernünftig zu verhalten.

Das mag richtig sein, es ist aber auch einigermaß­en frech. Die Leute halten sich nicht an die Auflagen? Kein Wunder, die permanente Katastroph­enbeschwör­ung insbesonde­re des bayerische­n Ministerpr­äsidenten Markus Söder fordert ein derartig wurstiges Verhalten geradezu heraus. Niemand hat auf Dauer Angst vor einem Untergang, der alle paar Tage prophezeit wird und der dann ebenso regelmäßig nicht eintritt.

Was nicht heißen soll, dass die Lage nicht ernst ist, sondern lediglich, dass Ministerpr­äsidenten und Kanzlerin falsch damit umgehen. Das beste Beispiel dafür ist der geltende Spaß-lockdown von Kultur und Gastronomi­e, der aus absehbaren Gründen gescheiter­t ist.

So passte die immer wieder beschworen­e Inzidenz von 50 Infizierte­n auf 100 000 Einwohner in einer Woche vielleicht auf die Lage im September. Dass sie im Winter zwangsläuf­ig überschrit­ten wird, hätte jeder Hausarzt prognostiz­ieren können. Das Ergebnis ist die besagte, tiefrot-alarmieren­de Deutschlan­dkarte. Und weil sich diese Zahlen derzeit nicht erreichen lassen, diskrediti­ert sich jede Maßnahme als wirkungslo­s – eine selbstgest­ellte Falle.

Zweitens hat die Regierung nicht genug getan, um die Verbreitun­g des Virus erforschen zu lassen, etwa in einer breit angelegten Bevölkerun­gsstudie gleich im Frühjahr. Dass es die Infektions­zahlen

senkt, wenn das gesamte Land runterfähr­t, ist keine Raketenwis­senschaft. Doch welche Maßnahmen davon besonders effektiv sind, hat niemand ermittelt.

Wer auch immer drittens auf die Idee gekommen ist, die Weihnachts­tage als Zeit der Normalität zu verkaufen, muss spätestens jetzt zurücktret­en. Weil dieses schon immer schlecht begründete Vorhaben nun als pompöses, politische­s Verspreche­n im Raum steht, verhindert es eine konsequent­e Kurskorrek­tur.

Anders ist die absurde Diskussion nicht zu erklären, nach der einerseit wiederum die Krise ausgerufen wird, anderersei­ts mit weiteren Einschränk­ungen des öffentlich­en Lebens bis nach Weihnachte­n gewartet werden soll. Als ob sich das Virus gedulden würde, bis das Land zwischen den Jahren ohnehin ruht.

Es stimmt schon, das gesamte Corona-jahr haben die politisch Verantwort­lichen in einem permanente­n Entscheidu­ngsmodus verbracht. Sie haben stets das getan, was im Augenblick wichtig und dringend war und auf die Tagesordnu­ng drängte. Sie haben aber viel zu wenig Zeit in dem ebenso wichtigen Bereich verbracht, der sich mit strategisc­her Planung beschäftig­t. Diese Atemlosigk­eit wird ihnen von der Öffentlich­keit aufgezwung­en, auch das ist richtig. Leider war kaum jemand souverän genug, sich davon freizumach­en.

Als ob sich das Virus gedulden würde, bis das Land zwischen den Jahren ohnehin ruht.

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