Heidenheimer Neue Presse

Roman Fabio Andina: Tage mit Felice (Folge 54)

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Er öffnet sie, holt die Blättchen heraus, zieht eins ab, streut Tabak darauf, rollt mit zwei Fingerbewe­gungen eine Zigarette und steckt sie sich in den Mund, tastet dann seine Jackentasc­hen ab, dann die Hosentasch­en. Hast du Feuer?, fragt er. Ich antworte ihm, dass ich nicht rauche, worauf er sich zu seiner ganzen Länge von fast eins neunzig erhebt, um auch die Gesäßtasch­en seiner Hose abzusuchen, aus denen er endlich ein Feuerzeug herausfisc­ht. Er dreht sich aus dem Wind, zündet die Zigarette an und setzt sich wieder. Und dann die Gumpe, sagt er, ihr braucht bestimmt ’ne Stunde, um da oben in den Bach zu steigen.

Ich sehe ihn an. Dabei hat er überall herumerzäh­lt, dass das mit der Gumpe nur Blödsinn sei. Ich will gerade erwidern, dass er also doch daran glaubt, aber er sagt, hast du nie das Bedürfnis, draußen im Dunkeln zu sein, allein, in der Stille? Fragt er, nachdem er den ersten Zug genommen hat. Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll.

Ich schon, antwortet er sich selbst, um danach wieder in Schweigen zu verfallen.

Die Zigarette hat er nun seit einer Weile zu Ende geraucht und sie davongesch­nippt, sodass sie fast in dem Rotzfleck mitten auf der Gasse gelandet ist, und wir haben zusammen zugesehen, wie sie erloschen ist.

An meine Eltern erinner ich mich nicht, sagt er. Ich hab ein paar Fotos. Nicht in einem Album. Aber das heißt nicht, dass ich mich an sie erinner. Ich erinner mich an die Fotos, weil ich sie mir ab und zu ansehe, ich hab sie in einer Dose. Weißt du, so eine Dose von diesen Butterkeks­en aus Dänemark? Genau, da sind sie drin, als könnten sie fast mit dir reden, ich mach die Dose auf, aber nichts, es sind stumme Erinnerung­en und fertig. Die Erinnerung­en sind stumm. Wenn ich ein bisschen bei meinen Eltern sein will, weißt du, was ich da mache? Eh? Ich muss hier draußen sein, in der Stille.

Es fällt mir zuerst schwer, seinem Gedankenga­ng zu folgen, aber ich glaube, das Wesentlich­e begriffen zu haben. Also halte ich die Klappe, und wir sitzen einfach da, genau wie zwei Saufbrüder. Nur das Wasser im Waschhaus ist zu hören.

Als ich nach einer weiteren Weile gehen will, sagt er, hier draußen, nachts, da glaube ich, dass sie bei mir sind.

Fünf

Ich bin mit der Wirtin Candida, Margareta von der Pizzeria, La Radio, Floro und Pep zusammen. Wir liegen in Felices Gumpe, nackt unter dem Sternenhim­mel und beleuchtet von einem Feuer aus alten Holzskiern, wie ich sie bei Emilio gesehen habe. An die Steine am Rand gelehnt lassen wir uns im Wasser treiben, immer ein Mann und eine Frau abwechseln­d, unsere Füße berühren sich in der Mitte. Das Wasser ist warm, es dampft wie ein Pool in einem Spa. Doch wir machen keine Kur. Wir spielen ein Gesellscha­ftsspiel. Jeder sagt etwas zu der Person rechts von ihm, die es dann leicht verändert an die nächste weitersagt und so fort.

Dann stehen Floro und Pep am Feuer und singen ein Lied in einer mir unbekannte­n Sprache, während Candida, La Radio und Margareta sich gegenseiti­g nass spritzen wie kleine Mädchen und mich auffordern mitzuspiel­en, aber die Wunde an meiner Hand blutet, worauf Margareta sagt, dass ich mir von Doktor Gianmaria eine Tetanusspr­itze geben lassen soll, ich lehne ab, aber sie pocht darauf und pocht und pocht.

Plötzlich ist es Tag, und eine sengende Sonne steht am Himmel.

Die drei Frauen liegen im hohen Gras, um sich zu bräunen.

Nicht weit davon, hinter einen Felsen gekauert, bringt Brenno das Gewehr in Anschlag, schießt und erlegt einen mächtigen Hirsch. Ich applaudier­e und sage, guter Schuss. Er dreht sich zu mir um und grinst schaurig, zeigt zwei lange gelbe Reißzähne, die in der Sonne glänzen wie aus Gold, und ich wache auf. Ich komme zu mir, greife zum Handy. Noch zehn Minuten, bis der Wecker klingelt. Zehn verlorene Minuten Schlaf. Ich ziehe mich an und gehe hinaus.

Es schneit nicht, und es sind keine Sterne zu sehen, der Untersetze­r ist blank geputzt. Die Kleider, die er vorgestern Abend aufgehängt hat, sind weg. Winzige Eiszapfen hängen an der Leine.

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