Inge Gräßle plant politische Rückkehr
Nach dem Verlust ihres Eu-mandats verabschiedete sich die Heidenheimerin Inge Gräßle von fast allen politischen Ämtern. Warum plant sie jetzt doch eine Rückkehr auf die politische Bühne?
Nachdem Inge Gräßle ihr Eu-mandat im Mai 2019 verloren hatte, wurde es ruhig um die Großkuchenerin. Nun will sie in die Bundespolitik.
Löschen Sie am besten meine Handynummer aus ihren Kontakten“, lautete Inge Gräßles Rat im Mai 2019. Das war am Tag, nachdem sie ihr Mandat als Cdueuropaabgeordnete verloren hatte. Sie legte ihre politischen Ämter nieder, darunter auch das der Cdu-parteivorsitzenden im Landkreis Heidenheim. Dann wurde es still um die Großkuchenerin, die nahezu ein Vierteljahrhundert politisch laut war. Im September folgte die Überraschung: Inge Gräßle mischt wieder mit. Sie kandidiert für den Wahlkreis Backnang/schwäbisch Gmünd und kämpft dort um das Direktmandat für die CDU.
Nach der Zeit als Landtagsabgeordnete, Europaabgeordnete nun also noch die Bundespolitik? „Glauben Sie mir, das war ungeplant.“Was war denn dann der Plan? „Der Plan war, keinen Plan zu haben“, lacht sie. Es seien einige Unternehmen an sie herangetreten mit der Frage, ob sie bei Kontakten mit Brüssel helfen könne. Das sei viel weniger Arbeit gewesen als das, was jetzt auf sie zukomme.
Warum der Meinungswechsel?
„Ja, ich steige wieder in den Ring“, sagt sie und nennt ihre Gründe. Unter anderem Corona und die Folgen hätten sie umgestimmt. „Unsere Situation in Deutschland wird sich fundamental verändern“, ist sie überzeugt. „Die Frage ist: Sitzen Sie dabei und schauen zu, wie die anderen zurechtkommen, oder sagen Sie: Ja, ich mache das, weil ich sehe, dass Leute mit Erfahrung und Ideen gebraucht werden. Ich habe mich bei meinem Verantwortungsbewusstsein packen lassen.“
Die Nominierungsversammlung im September kommt einem Heidenheimer „Déjà-vu“gleich. Wie einst bei Gräßles Nominierung zur Landtagskandidatin setzte sie sich gegen zwei Männer durch. Bei einem Wahlsieg wäre sie die erste Frau für den Wahlkreis Backnang/schwäbisch Gmünd in Berlin.
Kein Zweifel: Inge Gräßle ist zurück auf der politischen Bühne. Der Schwenk von der Europazur Bundespolitik scheint ihr nicht schwerzufallen. So wie sie als Haushaltskontrolleurin mit Eurosummen verbal um sich schmiss, so weiß sie jetzt die aktuellen Haushaltseckdaten des Bundes auswendig.
Umzug geplant
Für einen Teil des Gebiets, den Altkreis Gmünd, war sie schon als Europaabgeordnete zuständig, der andere Teil im Rems-murrkreis sei ihr ebenfalls nicht fremd. Da pendeln auf Dauer zu zeitaufwendig sei und sie auch in ihrem Wahlkreis mit 34 Städten und Gemeinden vor Ort sein möchte, will sie umziehen. Mittlerweile ist sie in den Cdu-kreisverband
Ostalb gewechselt. In Großkuchen, in ihrem Geburtshaus, werde sie aber immer ein Standbein behalten.
Fast täglich ist Gräßle nun wieder in den sozialen Netzwerken präsent, zeigt sich bei Auftritten im neuen Wahlkreis und mit Statements. Doch eineinhalb Jahre
fehlen in der Vita der Frau, die ihr Leben der Politik verschrieben hat. Verbittert klingt sie nicht, wenn man sie nach der Lücke im Lebenslauf fragt.
Die Lücke im Lebenslauf
„Es ist ein Luxus, wenn man sich zurückziehen kann“, sagt sie. Von 180 auf Null, wie geht das? „Ich gebe durchaus die ein oder andere schlaflose Nacht zu, muss aber auch sagen, dass es mich in der Summe nicht sehr viel umgetrieben hat.“Sie habe viel nachgedacht, sich aber verboten, davon irgend etwas aufzuschreiben. „Ich dachte mir, es ist besser, wenn das keiner liest.“
Sie habe vor allem all das gemacht, was sie schon lange hätte tun sollen. Sie habe aufgeräumt, sich um die Familie gekümmert, vor allem um ihre 90-jährige Mutter,
mehr Kontakt mit der Nachbarschaft gehabt, habe viel gelesen. Mithilfe der Nachbarn habe sie renoviert, den Keller verputzt und Treppen gefließt. „Das sieht man den Fließen auch an.“Sie habe ihr Italienisch aus Studienzeiten aufgefrischt und Polnisch gelernt. „Eigentlich wollte ich Russisch lernen, aber dann habe ich mir gedacht, vielleicht ist es besser ich kann mich mit den häuslichen Betreuerinnen meiner Mutter besser verständigen.“
Ein ganz normales Leben?
Sie habe versucht, sich gesünder zu ernähren, sei viel gewandert. Zum Beispiel 100 Kilometer im Schwarzwald in fünf Tagen, habe Süddeutschland erkundet. „Das war eine sehr ausfüllende Zeit, ich habe mich keinen Tag gelangweilt.“Sie habe es genossen, das Leben auch mal anders zu erleben, „Es war, kann man sagen, ein ganz normales Leben, das auch viele Frauen führen, für die ich mich eingesetzt habe.“
23 Jahre Politikerinnen-laufbahn: finanziell hätte Gräßle ausgesorgt. Der Antrieb muss ein anderer sein. „Ich mache es aus Überzeugung, weil die Lage ernst ist. Ich gehe in einen Wahlkreis, der stärker als andere von der Transformation der Automobilindustrie betroffen ist. 80 Prozent der Arbeitsplätze im Raum Gmünd hängen am Auto und an der Zulieferung.“Sie sei beeindruckt von der Veränderungsbereitschaft, die die Stadt in der Vergangenheit gezeigt habe. Nun brauche man mit Bundesprogrammen einen industriellen Umbau und Neuaufbau. Dazu komme, dass 2025 19 Wahlkreise im Bund wegfallen, drei in Badenwürttemberg. „Ich werde dafür sorgen, dass dieser Wahlkreis nicht dabei ist.“
Chancen auf Wahlsieg?
Wie sicher ist Gräßles Wahl? „Es gibt keine sicheren Wahlkreise.“Über die Landesliste sei sie nicht abgesichert. „Aber glauben Sie mir, ich werde kämpfen und zeigen, welche Konzepte die CDU für die Zukunft hat.“Gespräche führe sie mit allen, von den Gewerkschaften bis hin zu den Arbeitgebern und Einzelhändlern. „Alle sind zurzeit im Krisenmodus.“
Sollte Gräßle der Einzug in den Bundestag gelingen, ist sie weder eine Unbekannte noch blutige Anfängerin. Man erinnert sich an die persönliche Videobotschaft von Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Abschied von Gräßle als Heidenheimer Kreisverbandsvorsitzende. Ihre Präferenzen in punkto Zuständigkeit? Gräßle blickt auf die coronabedingte Neuverschuldung von rund 400 Millionen Euro im Jahr 2020 und die folgenden Konsolidierungsjahre: „Ich bin überzeugt, dass Haushaltskontrolleure jetzt in Berlin dringender gebraucht werden denn je.“
Ich bin überzeugt, dass Haushaltskontrolleure jetzt in Berlin dringender gebraucht werden denn je.
Inge Gräßle
Zwei Legislaturperioden geplant
Gräßle ist 59 Jahre alt. In vier Jahren, bei der nächsten Wahl, 63. Wird sie also nur eine Übergangsabgeordnete sein? „Ich habe klargemacht, mit mir müsst ihr mindestens zwei Legislaturperioden lang rechnen. aber den von mir hoch verehrten Wolfgang Schäuble mache ich nicht.“Mittelfristig wolle sie helfen, dass der Nachwuchs im Wahlkreis in der Lage ist, die Aufgabe Bundestag zu übernehmen.