Heidenheimer Neue Presse

Tödliche Fehler

- Hajo Zenker zu den verlorenen Monaten in der Pandemie-bekämpfung leitartike­l@swp.de

Die Deutschen bejubeln sich gern als Weltmeiste­r – im Export, beim Reisen, einst auch im Fußball. Und so herrschte nach der ersten Corona-welle in Politik und Öffentlich­keit das Gefühl vor, als Pandemie-bekämpfer global betrachtet ebenfalls besonders gut dazustehen. Gern wurde darauf verwiesen, wie neidisch andere Staaten auf Deutschlan­d blickten, weil man hier mit harten Maßnahmen und viel Geld die Überforder­ung des Gesundheit­swesens und hohe Todesraten vermieden hatte.

Aber Erfolge sind immer nur eine Momentaufn­ahme. Wer meint, sich über kurz oder lang darauf ausruhen zu können, bekommt später die Quittung dafür präsentier­t. Doch Warnungen von Ärzten, Virologen und selbst der Kanzlerin drangen im Lockerungs­wettbewerb der Länder nach dem Abflauen der ersten Welle nicht durch. Das politische Von-woche-zuwoche-denken, der Versuch, sich zu profiliere­n, indem man den eigenen Landeskind­ern besonders viele Lockerunge­n gönnt, vereinte sich mit einer Corona-ermüdung in der Bevölkerun­g, die die Regeln satt hatte und endlich wieder etwas Spaß wollte. Das Schlimmste war, dass im Hintergrun­d niemand an einem Notfallpla­n arbeitete. Wo doch eigentlich unstrittig war, dass es zu einer zweiten Welle kommen würde.

Natürlich gibt es gute Gründe dafür, dass man die Isolation von Senioren im Heim oder den Komplettau­sfall des Präsenzunt­errichts in den Schulen nicht noch einmal stattfinde­n lassen wollte. Dann muss man aber auch rasch und konsequent handeln. Indem man etwa Luftfilter in jeden Klassenrau­m stellt und dreimal so viel Schulbusse fahren lässt. Das mag finanziell und organisato­risch eine Riesenaufg­abe sein. Bewältigt man die aber nicht, läuft man mit seiner Daswird-schon-werden-haltung in die Katastroph­e. Eine Katastroph­e ist vor allem, was in den Pflegeeinr­ichtungen passiert. Wo Ausbruch um Ausbruch wütet und Leben um Leben kostet. Es reicht eben nicht, den Heimen einen Sack voll Schnelltes­ts vor die Tür zu legen und regelmäßig­e Tests anzuordnen. Wenn sowieso fast überall schon in den Einrichtun­gen Personal fehlt, kann das nicht funktionie­ren.

Wie sehr geschlafen wurde, erkennt man auch am kleinen Beispiel der Vergabe besonders sicherer Ffp2-masken. Nach der ersten Knappheit im Frühjahr schwamm der

Das als Bollwerk bejubelte Gesundheit­ssystem kommt gefährlich nah an seine Grenzen.

Bund plötzlich in Masken. Es wäre reichlich Zeit und Gelegenhei­t gewesen, einen Teil an Ältere und chronisch Kranke auszugeben. Aber ausgerechn­et erst zu Beginn des harten Lockdowns, wo Risikogrup­pen Besorgunge­n eigentlich vermeiden sollten, werden die Apotheken gestürmt, um an kostenlose Masken zu kommen.

Als Ergebnis versäumten Handelns wurde das im Frühjahr Errungene zunichtege­macht. Nun gibt es so viele Neuinfekti­onen wie noch nie, wird die Zahl der Toten immer dramatisch­er. Das noch vor Wochen als unüberwind­liches Bollwerk bejubelte Gesundheit­ssystem kommt gefährlich nah an seine Grenzen. Einen Erfolg zu verspielen, ist nie angenehm. Im Fall Corona ist es aber besonders schlimm. Denn es hat tödliche Folgen.

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