Tödliche Fehler
Die Deutschen bejubeln sich gern als Weltmeister – im Export, beim Reisen, einst auch im Fußball. Und so herrschte nach der ersten Corona-welle in Politik und Öffentlichkeit das Gefühl vor, als Pandemie-bekämpfer global betrachtet ebenfalls besonders gut dazustehen. Gern wurde darauf verwiesen, wie neidisch andere Staaten auf Deutschland blickten, weil man hier mit harten Maßnahmen und viel Geld die Überforderung des Gesundheitswesens und hohe Todesraten vermieden hatte.
Aber Erfolge sind immer nur eine Momentaufnahme. Wer meint, sich über kurz oder lang darauf ausruhen zu können, bekommt später die Quittung dafür präsentiert. Doch Warnungen von Ärzten, Virologen und selbst der Kanzlerin drangen im Lockerungswettbewerb der Länder nach dem Abflauen der ersten Welle nicht durch. Das politische Von-woche-zuwoche-denken, der Versuch, sich zu profilieren, indem man den eigenen Landeskindern besonders viele Lockerungen gönnt, vereinte sich mit einer Corona-ermüdung in der Bevölkerung, die die Regeln satt hatte und endlich wieder etwas Spaß wollte. Das Schlimmste war, dass im Hintergrund niemand an einem Notfallplan arbeitete. Wo doch eigentlich unstrittig war, dass es zu einer zweiten Welle kommen würde.
Natürlich gibt es gute Gründe dafür, dass man die Isolation von Senioren im Heim oder den Komplettausfall des Präsenzunterrichts in den Schulen nicht noch einmal stattfinden lassen wollte. Dann muss man aber auch rasch und konsequent handeln. Indem man etwa Luftfilter in jeden Klassenraum stellt und dreimal so viel Schulbusse fahren lässt. Das mag finanziell und organisatorisch eine Riesenaufgabe sein. Bewältigt man die aber nicht, läuft man mit seiner Daswird-schon-werden-haltung in die Katastrophe. Eine Katastrophe ist vor allem, was in den Pflegeeinrichtungen passiert. Wo Ausbruch um Ausbruch wütet und Leben um Leben kostet. Es reicht eben nicht, den Heimen einen Sack voll Schnelltests vor die Tür zu legen und regelmäßige Tests anzuordnen. Wenn sowieso fast überall schon in den Einrichtungen Personal fehlt, kann das nicht funktionieren.
Wie sehr geschlafen wurde, erkennt man auch am kleinen Beispiel der Vergabe besonders sicherer Ffp2-masken. Nach der ersten Knappheit im Frühjahr schwamm der
Das als Bollwerk bejubelte Gesundheitssystem kommt gefährlich nah an seine Grenzen.
Bund plötzlich in Masken. Es wäre reichlich Zeit und Gelegenheit gewesen, einen Teil an Ältere und chronisch Kranke auszugeben. Aber ausgerechnet erst zu Beginn des harten Lockdowns, wo Risikogruppen Besorgungen eigentlich vermeiden sollten, werden die Apotheken gestürmt, um an kostenlose Masken zu kommen.
Als Ergebnis versäumten Handelns wurde das im Frühjahr Errungene zunichtegemacht. Nun gibt es so viele Neuinfektionen wie noch nie, wird die Zahl der Toten immer dramatischer. Das noch vor Wochen als unüberwindliches Bollwerk bejubelte Gesundheitssystem kommt gefährlich nah an seine Grenzen. Einen Erfolg zu verspielen, ist nie angenehm. Im Fall Corona ist es aber besonders schlimm. Denn es hat tödliche Folgen.