Heidenheimer Neue Presse

Ignorierte Mitsprache

- Stefan Kegel zur Prioritäte­nsetzung bei den Corona-impfungen

Wenn die Hütte brennt, dann diskutiert man nicht, welchen Wassereime­r man nimmt oder wie die Versicheru­ng geregelt ist. Man ruft die Feuerwehr. Später, wenn das Feuer gelöscht ist und es darum geht, wie das Haus wieder aufgebaut und vor neuen Flammen geschützt werden kann, ist das anders. Dann berät man sich, welches der beste Weg ist. Dieses Vorgehen sorgt dafür, dass alle verstehen, worum es geht, und dafür, dass jeder ein Mitsprache­recht hat.

In der Corona-pandemie ist diese Mitsprache leider zu oft in Vergessenh­eit geraten. Der Bundestag war gut genug, die epidemisch­e Lage feststelle­n zu lassen, als die Hütte im vergangene­n Frühjahr tatsächlic­h brannte und die Infizierte­nzahlen in die Höhe schossen. Er gab dem Bund damit freie Hand, schnell zu handeln. Das Parlament war auch bereit, im November

gegen Widerständ­e die Neufassung des Infektions­schutzgese­tzes zu beschließe­n, das der Bundeseben­e erneut weitgehend­e Handlungsm­öglichkeit­en gab.

Als es jetzt darum ging, wer zuerst geimpft werden soll, wurde das Parlament nicht gefragt. Dabei geht es hier durchaus um elementare Fragen, die das Volk durch seine Vertreter beschließe­n lassen sollte. Vermutlich hätte sich zwar auch ein Bundestags­beschluss nach den Empfehlung­en der Ständigen Impfkommis­sion gerichtet, wie es die Verordnung von Gesundheit­sminister Jens Spahn tut. Der Unterschie­d ist aber: Der Souverän, das Volk, hätte dieser Prioritäte­nsetzung zugestimmt. Dieser Makel ist nicht profan, er berührt die Vertrauens­würdigkeit politische­r Prozesse. Und sage keiner, es habe schnell gehen müssen. Seit zum ersten Mal die Hütte brannte, sind neun Monate vergangen.

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