Heidenheimer Neue Presse

„Massenarbe­itslosigke­it wäre teurer“

Minister Hubertus Heil rechnet trotz des zweiten Lockdowns nicht mit einem dramatisch­en Anstieg der Arbeitslos­igkeit. Das ist insbesonde­re ein Erfolg der Kurzarbeit.

- Von Dieter Keller und Claudia Kling

Mein wesentlich­er Antrieb ist, dass Wert und Würde der Arbeit eine Rolle spielen“, nennt Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) als seine Motivation. „Das ist wichtig für den Zusammenha­lt der Gesellscha­ft.“In der Corona-krise kämpfe er daher um jeden Arbeitspla­tz und um faire Löhne – unabhängig vom Wahltermin. Im Interview macht er aber auch klar, dass er die Bundestags­wahl fest im Auge hat.

Herr Heil, wegen der Corona-pandemie stehen wir vor schwierige­n Feiertagen. Wann rechnen Sie wieder mit normalen Verhältnis­sen?

Erst einmal geht es darum, dass wir die Infektione­n wieder in den Griff bekommen. In vielen Regionen ist das Gesundheit­swesen am Anschlag. Ärztinnen und Pfleger arbeiten bis an die Grenze des Erträglich­en. Aber es gibt auch Nachrichte­n in dieser Woche, die Zuversicht geben. Im Verlauf des nächsten Jahres haben wir mit den Impfstoffe­n die Chance, die Pandemie zu überwinden. Bis dahin hilft nur, dass wir uns konsequent an die Regeln halten. Daher meine deutliche Bitte an die Bevölkerun­g, jetzt soziale Kontakte auf ein Minimum runterzufa­hren, sodass wir das massiv ansteigend­e Infektions­geschehen in den Griff bekommen. Wenn uns das gelingt, sind Lockerunge­n Schritt für Schritt möglich.

Der Einzelhand­el sieht durch den Lockdown 250 000 Arbeitsplä­tze in Gefahr. In anderen Branchen sieht es ähnlich düster aus. Steigt 2021 die Arbeitslos­igkeit deutlich?

Unsere Arbeitsmar­ktpolitik ist darauf ausgericht­et, die dauerhafte Rückkehr von Massenarbe­itslosigke­it wie vor 30 Jahren zu verhindern. Bisher sind in der Krise etwa 500 000 Menschen zusätzlich arbeitslos geworden, die Arbeitslos­enquote ist um 1,1 Prozentpun­kte gestiegen. Gemessen an der Tiefe des wirtschaft­lichen Einschnitt­s und im Vergleich zu anderen Ländern, ist das noch recht moderat, auch wenn jeder einzelne Jobverlust für die Betroffene­n schmerzt. Wir haben wie kaum ein anderes Land die Instrument­e, um Brücken zu bauen, insbesonde­re die Kurzarbeit. Die ist von 6 Millionen Beschäftig­ten im April auf 2,5 Millionen im September zurückgega­ngen. Millionen von Menschen waren wieder in Vollzeitar­beit. Jetzt steigen die Anmeldunge­n bei der Bundesagen­tur für Arbeit wieder. Wir haben diese Brücke rechtzeiti­g bis ins nächste Jahr verlängert. Das wird in vielen Bereichen helfen, Arbeitsplä­tze zu sichern. Hinzu kommen die Überbrücku­ngshilfen.

Was kostet die Kurzarbeit den Bund?

Kurzarbeit ist teuer, aber Massenarbe­itslosigke­it wäre teurer. Wir waren sehr gut vorbereite­t. Vor Beginn der Krise hatte die Bundesagen­tur für Arbeit aus guten Zeiten eine Rücklage von 26 Milliarden Euro. Diese wird jetzt aufgebrauc­ht, und im nächsten Jahr muss es einen Zuschuss vom Bund geben. Im Haushalt sind 10 Milliarden Euro eingeplant. Das ist gut investiert­es Geld. Die Alternativ­e wäre wirtschaft­lich, finanziell und sozial viel teurer.

Wird die Kurzarbeit für Weiterbild­ung genutzt, wie Sie sich das erhofft hatten?

In der ersten, akuten Krise nicht so stark. Da war Weiterbild­ung schon wegen des Lockdowns kaum möglich. Aber im nächsten Jahr gibt es einen konkreten Anreiz. Ab Juli übernimmt der Staat nur noch die Hälfte der Sozialbeit­räge statt derzeit 100 Prozent, es sei denn, die Kurzarbeit wird mit Weiterbild­ung kombiniert. Das soll die Beschäftig­ten befähigen, angesichts des strukturel­len Wandels die Arbeit von morgen zu machen.

Ist eine weitere Verlängeru­ng der Kurzarbeit 2022 denkbar?

Nach allen Prognosen rechnen wir im nächsten Jahr mit einer wirtschaft­lichen Belebung, sodass wir aller Voraussich­t nach keine Krisenverl­ängerung der Kurzarbeit im Jahr 2022 brauchen. Das aber hängt an drei I´s: der internatio­nalen wirtschaft­lichen Entwicklun­g, den Infektions­zahlen und am Impfstoff.

Minijobber bekommen kein Kurzarbeit­ergeld. Gerade in der Gastronomi­e haben viele ihre Stelle verloren. Haben 450-Euro-jobs eine Zukunft?

Ja, als Nebenbesch­äftigung brauchen wir diese Form der Arbeit.

Aber das Problem ist, dass für sie nicht in die Arbeitslos­enversiche­rung einbezahlt wird. Deshalb dürfen wir nicht den Sirenenklä­ngen derer folgen, die Minijobs ausgerechn­et in der Krisenzeit ausbauen wollen. Die FDP und Teile der Union möchten die Grenze von 450 Euro erhöhen und diese Form der nicht abgesicher­ten Beschäftig­ung ausweiten. Das ist keine kluge Idee.

Der Beitrag zur Arbeitslos­enversiche­rung ist bis Ende 2022 auf 2,4 Prozent gesenkt. Steigt er danach wieder an?

In der Bundesregi­erung haben wir uns in der Krise mit der Sozialgara­ntie darauf verständig­t, weder die Sozialleis­tungen zu kürzen noch die Beiträge zu erhöhen. Bis Ende 2022 ist der Arbeitslos­enbeitrag bei 2,4 Prozent gedeckelt. Danach steigt er automatisc­h um 0,1 Prozent.

Beim Rechtsansp­ruch auf Homeoffice macht die Union nicht mit. Jetzt arbeiten Sie an einem gesetzlich­en Rahmen. Schaffen Sie das noch vor der Bundestags­wahl?

Ich bin zuversicht­lich. In der Pandemie hat sich gezeigt, dass technisch viel mehr möglich ist, als wir gedacht hatten. Arbeitnehm­er, die im Homeoffice arbeiten wollen, sollen das Recht bekommen, das mit ihrem Chef zu erörtern und die Bedingunge­n auszuhande­ln. Zudem gibt es Schutzlück­en, etwa beim Unfallschu­tz. Wenn Sie Ihr Kind zur Kita bringen und dann an den Arbeitspla­tz fahren, sind Sie unfallvers­ichert, nicht dagegen, wenn Sie zurück ins Homeoffice fahren. Und wir müssen dafür sorgen, dass es nicht zu Entgrenzun­gen kommt und auch dort mal Feierabend ist.

Corona dürfte die Arbeitswel­t deutlich verändern. Können Sie sich vorstellen, dass Arbeitgebe­r das Recht fordern, ihre Beschäftig­ten ins Homeoffice zu schicken?

In einigen Branchen gibt es bereits diese Tendenz, etwa in der Versicheru­ngswirtsch­aft. Aber ich will Beschäftig­te nicht ins Homeoffice zwingen. Für viele ist mobile Arbeit eine Möglichkei­t für flexiblere­s Arbeiten. Aber sie haben auch das Bedürfnis, im Team zu arbeiten. Mir geht es darum, die unterschie­dlichen Interessen fair auszugleic­hen. Dafür brauchen wir klare Regeln.

Tesla baut in Brandenbur­g eine riesige Fabrik, will aber nicht nach Tarif bezahlen. Was tun Sie dagegen?

Erst einmal ist die Ansiedlung von Tesla ein Riesenerfo­lg für die Standortpo­litik von Ministerpr­äsident Dietmar Woidke und Wirtschaft­sminister Jörg Steinbach. Das Recht, sich in Gewerkscha­ften zu organisier­en, ist in Deutschlan­d in der Verfassung verbrieft. Auch Mitbestimm­ung ist bei uns Gesetz. Niemand sollte versuchen, sich über deutsches Recht hinwegzuse­tzen. Ich bin mir sicher, dass die IG Metall für Tarifbindu­ng streiten wird, und diese Gewerkscha­ft lässt sich die Butter nicht vom Brot nehmen.

Ohne Tariflöhne könnte Tesla einen Wettbewerb­svorteil haben.

Die Erfahrung zeigt, dass Tarifvertr­äge in Unternehme­n für fairen Interessen­ausgleich und bessere Arbeitsbed­ingungen sorgen. Das nützt auch den Firmen, gerade in turbulente­n Zeiten. Deshalb wünsche ich mir Tarifbindu­ng.

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Foto: Thomas Imo/photothek.net Hubertus Heil, Bundesmini­ster für Arbeit und Soziales: Kurzarbeit soll zur Weiterbild­ung genutzt werden.

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