„Massenarbeitslosigkeit wäre teurer“
Minister Hubertus Heil rechnet trotz des zweiten Lockdowns nicht mit einem dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit. Das ist insbesondere ein Erfolg der Kurzarbeit.
Mein wesentlicher Antrieb ist, dass Wert und Würde der Arbeit eine Rolle spielen“, nennt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) als seine Motivation. „Das ist wichtig für den Zusammenhalt der Gesellschaft.“In der Corona-krise kämpfe er daher um jeden Arbeitsplatz und um faire Löhne – unabhängig vom Wahltermin. Im Interview macht er aber auch klar, dass er die Bundestagswahl fest im Auge hat.
Herr Heil, wegen der Corona-pandemie stehen wir vor schwierigen Feiertagen. Wann rechnen Sie wieder mit normalen Verhältnissen?
Erst einmal geht es darum, dass wir die Infektionen wieder in den Griff bekommen. In vielen Regionen ist das Gesundheitswesen am Anschlag. Ärztinnen und Pfleger arbeiten bis an die Grenze des Erträglichen. Aber es gibt auch Nachrichten in dieser Woche, die Zuversicht geben. Im Verlauf des nächsten Jahres haben wir mit den Impfstoffen die Chance, die Pandemie zu überwinden. Bis dahin hilft nur, dass wir uns konsequent an die Regeln halten. Daher meine deutliche Bitte an die Bevölkerung, jetzt soziale Kontakte auf ein Minimum runterzufahren, sodass wir das massiv ansteigende Infektionsgeschehen in den Griff bekommen. Wenn uns das gelingt, sind Lockerungen Schritt für Schritt möglich.
Der Einzelhandel sieht durch den Lockdown 250 000 Arbeitsplätze in Gefahr. In anderen Branchen sieht es ähnlich düster aus. Steigt 2021 die Arbeitslosigkeit deutlich?
Unsere Arbeitsmarktpolitik ist darauf ausgerichtet, die dauerhafte Rückkehr von Massenarbeitslosigkeit wie vor 30 Jahren zu verhindern. Bisher sind in der Krise etwa 500 000 Menschen zusätzlich arbeitslos geworden, die Arbeitslosenquote ist um 1,1 Prozentpunkte gestiegen. Gemessen an der Tiefe des wirtschaftlichen Einschnitts und im Vergleich zu anderen Ländern, ist das noch recht moderat, auch wenn jeder einzelne Jobverlust für die Betroffenen schmerzt. Wir haben wie kaum ein anderes Land die Instrumente, um Brücken zu bauen, insbesondere die Kurzarbeit. Die ist von 6 Millionen Beschäftigten im April auf 2,5 Millionen im September zurückgegangen. Millionen von Menschen waren wieder in Vollzeitarbeit. Jetzt steigen die Anmeldungen bei der Bundesagentur für Arbeit wieder. Wir haben diese Brücke rechtzeitig bis ins nächste Jahr verlängert. Das wird in vielen Bereichen helfen, Arbeitsplätze zu sichern. Hinzu kommen die Überbrückungshilfen.
Was kostet die Kurzarbeit den Bund?
Kurzarbeit ist teuer, aber Massenarbeitslosigkeit wäre teurer. Wir waren sehr gut vorbereitet. Vor Beginn der Krise hatte die Bundesagentur für Arbeit aus guten Zeiten eine Rücklage von 26 Milliarden Euro. Diese wird jetzt aufgebraucht, und im nächsten Jahr muss es einen Zuschuss vom Bund geben. Im Haushalt sind 10 Milliarden Euro eingeplant. Das ist gut investiertes Geld. Die Alternative wäre wirtschaftlich, finanziell und sozial viel teurer.
Wird die Kurzarbeit für Weiterbildung genutzt, wie Sie sich das erhofft hatten?
In der ersten, akuten Krise nicht so stark. Da war Weiterbildung schon wegen des Lockdowns kaum möglich. Aber im nächsten Jahr gibt es einen konkreten Anreiz. Ab Juli übernimmt der Staat nur noch die Hälfte der Sozialbeiträge statt derzeit 100 Prozent, es sei denn, die Kurzarbeit wird mit Weiterbildung kombiniert. Das soll die Beschäftigten befähigen, angesichts des strukturellen Wandels die Arbeit von morgen zu machen.
Ist eine weitere Verlängerung der Kurzarbeit 2022 denkbar?
Nach allen Prognosen rechnen wir im nächsten Jahr mit einer wirtschaftlichen Belebung, sodass wir aller Voraussicht nach keine Krisenverlängerung der Kurzarbeit im Jahr 2022 brauchen. Das aber hängt an drei I´s: der internationalen wirtschaftlichen Entwicklung, den Infektionszahlen und am Impfstoff.
Minijobber bekommen kein Kurzarbeitergeld. Gerade in der Gastronomie haben viele ihre Stelle verloren. Haben 450-Euro-jobs eine Zukunft?
Ja, als Nebenbeschäftigung brauchen wir diese Form der Arbeit.
Aber das Problem ist, dass für sie nicht in die Arbeitslosenversicherung einbezahlt wird. Deshalb dürfen wir nicht den Sirenenklängen derer folgen, die Minijobs ausgerechnet in der Krisenzeit ausbauen wollen. Die FDP und Teile der Union möchten die Grenze von 450 Euro erhöhen und diese Form der nicht abgesicherten Beschäftigung ausweiten. Das ist keine kluge Idee.
Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung ist bis Ende 2022 auf 2,4 Prozent gesenkt. Steigt er danach wieder an?
In der Bundesregierung haben wir uns in der Krise mit der Sozialgarantie darauf verständigt, weder die Sozialleistungen zu kürzen noch die Beiträge zu erhöhen. Bis Ende 2022 ist der Arbeitslosenbeitrag bei 2,4 Prozent gedeckelt. Danach steigt er automatisch um 0,1 Prozent.
Beim Rechtsanspruch auf Homeoffice macht die Union nicht mit. Jetzt arbeiten Sie an einem gesetzlichen Rahmen. Schaffen Sie das noch vor der Bundestagswahl?
Ich bin zuversichtlich. In der Pandemie hat sich gezeigt, dass technisch viel mehr möglich ist, als wir gedacht hatten. Arbeitnehmer, die im Homeoffice arbeiten wollen, sollen das Recht bekommen, das mit ihrem Chef zu erörtern und die Bedingungen auszuhandeln. Zudem gibt es Schutzlücken, etwa beim Unfallschutz. Wenn Sie Ihr Kind zur Kita bringen und dann an den Arbeitsplatz fahren, sind Sie unfallversichert, nicht dagegen, wenn Sie zurück ins Homeoffice fahren. Und wir müssen dafür sorgen, dass es nicht zu Entgrenzungen kommt und auch dort mal Feierabend ist.
Corona dürfte die Arbeitswelt deutlich verändern. Können Sie sich vorstellen, dass Arbeitgeber das Recht fordern, ihre Beschäftigten ins Homeoffice zu schicken?
In einigen Branchen gibt es bereits diese Tendenz, etwa in der Versicherungswirtschaft. Aber ich will Beschäftigte nicht ins Homeoffice zwingen. Für viele ist mobile Arbeit eine Möglichkeit für flexibleres Arbeiten. Aber sie haben auch das Bedürfnis, im Team zu arbeiten. Mir geht es darum, die unterschiedlichen Interessen fair auszugleichen. Dafür brauchen wir klare Regeln.
Tesla baut in Brandenburg eine riesige Fabrik, will aber nicht nach Tarif bezahlen. Was tun Sie dagegen?
Erst einmal ist die Ansiedlung von Tesla ein Riesenerfolg für die Standortpolitik von Ministerpräsident Dietmar Woidke und Wirtschaftsminister Jörg Steinbach. Das Recht, sich in Gewerkschaften zu organisieren, ist in Deutschland in der Verfassung verbrieft. Auch Mitbestimmung ist bei uns Gesetz. Niemand sollte versuchen, sich über deutsches Recht hinwegzusetzen. Ich bin mir sicher, dass die IG Metall für Tarifbindung streiten wird, und diese Gewerkschaft lässt sich die Butter nicht vom Brot nehmen.
Ohne Tariflöhne könnte Tesla einen Wettbewerbsvorteil haben.
Die Erfahrung zeigt, dass Tarifverträge in Unternehmen für fairen Interessenausgleich und bessere Arbeitsbedingungen sorgen. Das nützt auch den Firmen, gerade in turbulenten Zeiten. Deshalb wünsche ich mir Tarifbindung.