Die innere Jukebox von Sir Paul
Mit „Mccartney III“präsentiert der 78-Jährige ein Album, das in der ersten Corona-welle entstanden ist. Die Vielfalt der Songs reicht von sanfter Melancholie bis zum Blues-rock.
für die ein mittelmäßiger Künstler einen Pakt mit dem Teufel schließen würde.
Noch immer gibt es Menschen, die behaupten, nach dem Ende der Fab Four sei Paul Mccartney nicht mehr viel gelungen. Was natürlich angesichts seines Post-beatles-oeuvres von ungemeiner Borniertheit zeugt. Was man an ihm hat, lässt sich auch an „Mccartney III“hören: Hinreißende Melodien (etwa bei „Kiss Of Venus“, das sich in seiner schwelgerisch-schwebenden, melancholischen Schönheit nicht hinter anderen seiner kammermusikalischen Klassiker verstecken muss), ein von der apodiktischen Wucht Lead Bellys beeinflusster Blues („Women And Wives“), ein ziemlich leichtfüßig daherkommender Popsong („Find My Way“), ein bisschen 70erglam („Seize The Day“), eine ironische Abrechnung mit einem ehemaligen Geschäftspartner im Gewand eines Blues-rock-gassenhauers („Lavatory Lil“), ein donnernder Gitarrentrack, der gut zu Mccartneys Flirts mit dem Heavy-metal passt, die bekanntlich mit „Helter Skelter“ihren Anfang nahmen („Slidin’“).
Und der vielleicht ungewöhnlichste Song auf dem Album: „Deep Deep Feeling“. Er steht ziemlich in der Mitte von „Mccartney III“– eine Art Königsstück, schon alleine seiner Länge von knapp achteinhalb Minuten wegen. Es beginnt mit einem freistehenden, den ganzen Song beherrschenden Beat, über den sich ein suggestiver, beschwörender Gesang legt; Klavierakkorde kommen hinzu, etwas zugleich Abstraktes und Psychedelisches, verschiedenste Stimmungen scheint dieses collagierte Monstrum zu durchlaufen, um am Ende mit einer akustischen Gitarre noch einmal ins Offene, Unabsehbare weisen zu wollen. „Deep Deep Feeling“ist das experimentellste und originellste Stück auf dem neuen Album, das um einiges charmanter, direkter und unvorhersehbarer ist als das leicht überproduzierte und überambitionierte „Egypt Station“von 2018.
Brüchige Stimme
Die Stimme von Paul Mccartney ist dabei längst nicht mehr so wandlungsfähig und schmeichelnd wie sie einmal war; sie ist brüchig geworden. Weshalb er manchmal in Johnny-cash’sche Tiefen abtaucht oder sich ins Falsett flüchtet, was schöne Effekte erzeugt. Das Finale der Platte bildet allerdings ein bereits vor mehr als 25 Jahren aufgenommener Song: „Winter Bird – When Winter Comes“.
Seinerzeit saß die Produzentenlegende George Martin an den Reglern, und Mccartneys Stimme besitzt auf dieser Aufnahme noch ihre schmeichlerische Verführungskraft. „Mccartney III“ist nicht nur Momentaufnahme, sondern erzählt eine ziemlich weit zurückreichende Geschichte: Es ist, als ob das Album wie durch einen Schleier all das in Erinnerung rufen würde, was Mccartney in den letzten 60er Jahren geschaffen hat.