Der Wert des Wir
Es ist also doch Heiligabend geworden. Auch wenn es uns in diesem Jahr manches Mal so vorkam, als würde das Corona-virus selbst das noch verhindern oder ein Querdenker enthüllen, dass Weihnachten eine Erfindung von Bill Gates sei.
Nichts dergleichen. In den meisten Wohnungen glitzert ein Weihnachtsbaum, dank eines nie dagewesenen Rekord-paketaufkommens (bei der Deutschen Post DHL allein 1,8 Milliarden Pakete) türmen sich Geschenke auf dem Gabentisch, im Glas funkelt der schwere Wein des ebenfalls boomenden Getränkeversandhandels. Wie – um Jesu Geburt Willen – kommen dann Politiker wie etwa Cdu-ministerpräsident Armin Laschet, auf die Idee, dies sei das härteste Weihnachten der Nachkriegszeit?
Mag dieser Vergleich auch mehr als hinken (was macht man nicht alles im Kampf um den Cdu-vorsitz...), hat er dennoch einen wahren Kern. In all unserem gemütlichen Lockdown-dasein, in geheizten Wohnungen und vor übervollen Tischen, umfängt viele eine Tristesse. Statt jauchzend das Gloria anzustimmen (ist in der Kirche im Moment eh nicht erlaubt), geht die Stimmung in Richtung Moll. Sollte die viel beschworene Besinnlichkeit am Fest doch gar nicht so erstrebenswert sein? Wiegt Einsamkeit genauso schwer wie Not und Entbehrung?
Es scheint so und es ist – hoffentlich – eine der großen Lehren aus dieser Coronazeit. Der heute lebenden Generation ist niemals zuvor so eindeutig vor Augen geführt worden, welchen Wert nicht nur persönliche Begegnung, sondern welchen Wert Gemeinschaft, welchen Wert ganz einfach Menschen haben – wenn man mitten unter ihnen ist.
Evolutionstheoretisch ist das eine ziemlich simple Feststellung. Einsamkeit
bedeutete für unsere steinzeitlichen Vorfahren in der Regel nichts anderes als den Tod. Die Spitze der Nahrungskette hat der Mensch erst durch seinen Erfindungsreichtum erklommen. Zuvor bewahrte ihn vor dem Zugriff des nicht immer freundlich gesinnten Höhlenbären nur die Gemeinschaft.
Diese Urerfahrung zieht sich durch die ganze Menschheitsgeschichte bis hin zu den großen Religionen. Wir feiern in Gemeinschaft, wir beten zusammen, wir singen zusammen. Die Weihnachtsgeschichte ruft die Hirten zu Jesu Geburt herbei. Gemeinschaft als religiöse Heilserfahrung – nicht nur das Neue Testament stützt sich auf dieses Prinzip. Einsamkeit kennt unsere Gesellschaft entweder als Strafe – das Prinzip Gefängnis – als erlittenes oder gelegentlich selbstgewähltes Schicksal, um in der Vereinzelung zu sich selbst zu finden. Ansonsten stürzt man sich geradezu in Gemeinschaft – nicht nur innerhalb der Familie oder mit Freunden. Zu den größten Glückserlebnissen von Menschen gehören Konzerte, Sportereignisse, große Feste. Inmitten von Freunden und Fremden, getragen von einer Welle der Zusammengehörigkeit.
Das Glück der großen Gemeinschaft bleibt uns in diesem Jahr versagt. Die Wärme des Weihnachtsfests müssen wir fast im Verborgenen entzünden. Mag der Kreis unserer Lieben noch so klein sein.
Wir feiern in Gemeinschaft, wir beten zusammen, wir singen zusammen.