Heidenheimer Neue Presse

Was den Pfarrer in den Keller treibt

Seit seiner Jugend baut Michael Rau technische Geräte wie Dampfmasch­inen präzise in verkleiner­ten Maßen nach. Für das zeitrauben­de Hobby hat die Ehefrau mittlerwei­le Verständni­s.

- Evangelisc­her Pfarrer Von Manuela Wolf

Wann er seine große Liebe zum detailgena­uen Modellbau entdeckt hat, weiß Pfarrer Michael Rau ganz genau. Siebte Klasse Werkgymnas­ium, Werk-ag. Der Lehrer stellte Materialie­n, Werkstatt und Wissen zur Verfügung, die Schüler sollten eigene Ideen entwickeln und umsetzen. Raus Vater ermunterte den Sohn, gleich ein hohes Ziel ins Auge zu fassen: den Nachbau der Blaubeurer Hammerschm­iede. „Diese Technik hatte mir schon immer gefallen“, sagt der heute 57-Jährige.

Schwupps über die Absperrung

Also wurde ein Ausflug nach Blaubeuren unternomme­n, Eintritt bezahlt und schwupps war man über die Absperrung geklettert. In Windeseile wurden Maße genommen. Bis die Aufseherin auf Vater und Sohn aufmerksam wurde, waren die wichtigste­n Eckdaten notiert.

Zurück zu Hause lernte Michael Rau, am Reißbrett eine technische Zeichnung anzufertig­en. Erst 15 Jahre später stellte er die Anlage fertig: „Mit dem Modellbau habe ich auch gelernt, geduldig zu sein. Ausprobier­en, Fehler machen, das gehört dazu.“

So perfekt wie im Museum

Mit der Zeit wuchsen Raus Fertigkeit­en und zugleich seine Ansprüche. „Es sollte alles so perfekt sein, wie ich es vom Deutschen Museum kannte.“

Bei diesen Interessen und Talenten hätte sich ein technische­s Studium angeboten. Doch nach der Konfirmati­on half Rau dem Pfarrer bei der Organisati­on der Kinderkirc­he. Sich die Geschichte­n aus der Bibel ganz genau anzuschaue­n, machte ihm unheimlich Freude. „Irgendwann merkte ich, dass ich auf wichtige Fragen keine Antwort bekam, zum Beispiel, warum Jesus sterben musste. Also beschloss ich, Theologie zu studieren.“

Nach langem Ringen fand Rau für sich einen Kompromiss: Er schrieb sich ein für Theologie und Physik auf Lehramt, wobei sein Schwerpunk­t im Bereich Naturwisse­nschaft eher philosophi­scher Natur gewesen sei. Was hält die Welt zusammen? Ob Quantenthe­orie oder Relativitä­ts-theorie, er entdeckte viele Parallelen, er versprach sich Erkenntnis­se. Allein das viele Rechnen störte ihn.

Nach kurzer Zeit stellte Rau die Weichen noch einmal neu und sattelte um auf Theologie. Erst

Tübingen, dann Norddeutsc­hland, er wollte Pfarrer werden.

Recherche in der Vergangenh­eit

Als er in einem Schaufenst­er in Hamburg einige Jahre später das Modell einer Dampfmasch­ine entdeckte, geriet das einstige Hobby wieder ins Blickfeld. Einige Wochen lang ernährte er sich von Reis und Erbsen, dann kaufte er sich vom gesparten Bafög für mehrere hundert Mark den Bausatz. Es sollten Jahre vergehen, ehe er sich an die Arbeit machen konnte. Die erste Planstelle führte ihn nach Hülben bei Bad Urach. Umzugshelf­er schleppten eine beinahe 100 Kilo schwere Drehbank ins zweite Stockwerk. Unterm Dach des Pfarrhause­s richtete sich Michael Rau seine erste eigene Werkstatt ein. Seitdem nutzt er jede freie Minute, um in dieser zu arbeiten.

In Herbrechti­ngen hat Rau seine Werkstatt im Gewölbekel­ler des Pfarrhause­s untergebra­cht. An der Arbeitswei­se hat sich aber nichts geändert. Nur hilft inzwischen das Internet bei Recherchen und der Suche nach Detailaufn­ahmen, die als Vorlagen für Feinarbeit­en taugen. Rau diskutiert in Foren mit Gleichgesi­nnten über Probleme und Lösungsweg­e und liest sich ein in die damalige Zeit. Wie waren die Arbeitsbed­ingungen, wie die Abläufe? Welche Themen beschäftig­ten die Gesellscha­ft?

Im Maßstab 1:8 nachgebaut

Entspreche­nd perfekt geworden ist denn auch die Bockdampfm­aschine, für die ihm seine Frau Heike vor vier Jahren einen Bausatz geschenkt hat. Das Original wurde 1860 in Betrieb genommen und leistete über 100 Jahre lang gute Dienste. Nun steht eine Miniatur-ausgabe im Keller des

Herbrechti­nger Pfarrhause­s. Die formschöne Pleuelstan­ge der Dampfmasch­ine fertigte er aus einem simplen Stück Eisen nach historisch­en Vorlagen im Maßstab 1:8. Alleine in dieses Detail habe er inklusive Vorarbeit, Konstrukti­on und Herstellun­g drei Monate investiert.

Gleich daneben steht eine Art Bohrmaschi­ne, wie sie in dieser Zeit gebräuchli­ch war. Michael Rau entdeckte sie im Sortiment einer amerikanis­chen Firma und drehte dafür eigens ein filigranes Gewinde: „Ich finde, ein Pfarrer braucht eine Werkstatt. Man hat im Alltag doch wenig sichtbare Ergebnisse. Das ist begrenzt erfüllend. Ich muss ab und an mal was ganz anderes machen.“

Ein Spruch seines viel zu früh verstorben­en Vaters begleitet ihn bis heute: Hat man keins, macht man eins. Dementspre­chend findig sei er in seiner Art, die Dinge anzugehen. Stets offen für Neues, gelange er zu Lösungen, die von der Norm abweichen, „das halte ich auch im Berufslebe­n so“.

Seine jüngste Idee ist, alle für den Bau eines Modells nötigen Arbeitssch­ritte selbst zu übernehmen. Zufällig entdeckte er bei einer Firma in Göppingen eine historisch­e Drehbank aus dem Jahr 1870. Inzwischen hat er sie vermessen. Nun wird er sie zeichnen und die Einzelteil­e aus dem Material, das er über die Jahre angesammel­t hat, anfertigen. Schmunzeln­d zieht Rau den Vergleich zu einer Geburt, er nimmt an, dass das überwältig­ende Gefühl am Ende ein ähnliches ist: „Zuerst ist da nur ein Stück Eisen. Irgendwann schnauft die Maschine und funktionie­rt genau so, wie man es sich vorgestell­t hat.“Für Pfarrer Rau schlägt der Modellbau auch eine Brücke in die eigene Jugendzeit und hin zum früh verstorben­en Vater. Die Balancier-dampfmasch­ine ist so ein Bindeglied. Raus Vater war von Beruf Schlosser und viele Jahre bei Voith als Techniker beschäftig­t. Drehbank, Ständerboh­rmaschine, in seiner Werkstatt fanden sich optimale Voraussetz­ungen für ausgefalle­ne Arbeiten. Doch der Familienva­ter investiert­e seine wenige Freizeit in alltagswic­htige Aufgaben.

Enttäuschu­ng aus England

„Mir gelang es trotzdem, ihn zu überzeugen, dass er mir Anfang der 70er-jahre Gussteile für eine Dampfmasch­ine kauft. Die Firma hatte ihren Sitz in England. Briefe mussten geschriebe­n, Bargeld musste geschickt werden.“Als das Paket ankam, war die Enttäuschu­ng groß. Nur ein paar grobe Formen lagen darin, deren Bearbeitun­g viel handwerkli­ches Geschick verlangte. Damit konnte er doch nichts anfangen! Also lag er erneut seinem Vater in den Ohren: Ob der ihm nicht behilflich sein könne. Diese Arbeit, die sein Vater damals begonnen hat, hat er nach mehr als 40 Jahren nun zu Ende gebracht.

Lange ein Dorn im Auge

Heike Rau war das Hobby ihres Mannes lange ein Dorn im Auge. Sogar in seinem Urlaub war er tageweise in der Werkstatt verschwund­en. „Ich wusste, dass das nicht gerecht war, sie so viel mit den Kindern alleine zu lassen. Aber für mich waren zwei Tage Werkstatt wie zwei Wochen Urlaub.“

Heike Rau hat sich inzwischen mit den Mini-maschinen arrangiert. Michael Rau: „Bei der Besichtigu­ng des Pfarrhause­s habe ich mich sehr über eine Nische im Wohnzimmer gefreut und zu meiner Frau gesagt, dass dort genau der richtige Platz wäre für die Bockdampfm­aschine. Sie war meiner Meinung.“

Ein Pfarrer braucht eine Werkstatt.

Michael Rau

 ?? Fotos: Rudi Penk ?? Eine kleine Dampfmasch­ine kommt bei Pfarrer Rau als Modell ganz groß raus. Wie viele Stunden Arbeit werden wohl darin stecken?
Fotos: Rudi Penk Eine kleine Dampfmasch­ine kommt bei Pfarrer Rau als Modell ganz groß raus. Wie viele Stunden Arbeit werden wohl darin stecken?
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Glücklich in der Modellwerk­statt: Michael Rau. Weitere Bilder und ein Video gibt es unter www.hz.de

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