Heidenheimer Neue Presse

Stille heilige Nacht?

In den Kirchen ist die Weihnachts­zeit alle Jahre wieder die besucherst­ärkste Zeit des Jahres. Das wird heuer anders sein. Sontheims Pfarrer Steffen Palmer spricht darüber.

- Von Christine Weinschenk

Wegen Corona läuft dieses Jahr nichts wie sonst. Volle Kirchenbän­ke und gemeinsame­s Singen - das wird es dieses Weihnachte­n nicht geben. Ist es richtig, dass Gottesdien­ste trotz des Lockdowns stattfinde­n? Wie kann die Kirche derzeit trösten? Lässt sich die Pandemie theologisc­h deuten? Der evangelisc­he Pfarrer Steffen Palmer gibt Antworten.

Herr Palmer, trotz des bundesweit­en Lockdowns ist den Kirchen das Feiern von Gottesdien­sten nicht untersagt worden. Ich nehme an, Sie finden das richtig?

Als Pfarrer finde ich das richtig, ja.

Aber ein Risiko bleibt.

Ein Risiko bleibt natürlich immer. Ich denke, wir haben das bestmöglic­he Hygienesch­utzkonzept erarbeitet und uns viele Gedanken gemacht, wie wir das Infektions­risiko möglichst minimieren können. Ich halte Gottesdien­ste deshalb für verantwort­bar. Und ob man daran teilnimmt, kann ja jeder in aller Freiheit selbst entscheide­n

Wie sieht das Hygienekon­zept genau aus?

Es gibt ganz klare Vorgaben aus Stuttgart. Angefangen von den Abstandsre­geln, der Maskenpfli­cht während des kompletten Gottesdien­stes und das generelle Singverbot, um Aerosole zu vermeiden. Außerdem haben wir eine eigene Lüft- und Heizordnun­g bekommen und es stehen Desinfekti­onsspender bereit. Dazu kommt, dass wir uns in relativ großen Gebäuden befinden. Und da gibt es nun mal sehr viel Luft. Wir feiern seit einigen Monaten Gottesdien­ste unter diesen Bedingunge­n und haben einiges an Erfahrung gesammelt.

Allerdings kam es auch in Kirchen zu Ansteckung­en.

Vereinzelt im Frühjahr, ja. Da wussten wir aber noch wenig über die Pandemie. In den letzten Monaten wäre mir nicht bekannt, dass es in den Landeskirc­hen zu Ansteckung­en kam.

Spontan fallen mir aber mehrere Fälle in Freikirche­n ein.

Die hatten eventuell andere Vorgaben als wir. Die einen empfinden ein klassische­s Konzert erbaulich, die anderen einen Gottesdien­st. Warum soll ausgerechn­et für Kirchen eine Ausnahme gemacht werden?

Ich denke, wir haben in dieser Zeit alles nötig, was der Seele guttut. Unsere Seele braucht das und ich glaube, das Gute kann man in einem Gottesdien­st finden. Aber warum ein Gottesdien­st stattfinde­n darf und andere kulturelle Veranstalt­ungen nicht, diese Frage habe ich mir selbst schon gestellt. Auch Konzerte, Theater und Filme tun der Seele gut. Dass gerade Gottesdien­ste erlaubt sind, liegt wahrschein­lich daran, dass die Glaubensfr­eiheit in Deutschlan­d ein sehr hohes Gut ist, und speziell zu Weihnachte­n. Wir haben das Fest quasi erfunden. Deshalb ist es eine gute Sache, wenn ein christlich­es Fest mit einem christlich­en Gottesdien­st gefeiert werden kann.

In einem Choral von Martin Luther heißt es: „Mitten im Leben sind wir mit dem Tod umfangen.“Das gilt für die aktuelle Zeit mit steigenden Todeszahle­n wohl mehr denn je. Gibt es an der jetzigen Situation etwas Tröstliche­s?

Wie gesagt, ich halte alles für tröstlich, was der Seele guttut. Das kann hoffentlic­h ein Gottesdien­st sein. Aber auch Musik, ein nettes Wort am Telefon, eine handgeschr­iebene Karte. Am Tröstlichs­ten ist natürlich Nähe. Und das ist im Moment schwierig. Es ist die Herausford­erung dieser Zeit, Möglichkei­ten zu finden, wie man sich nahe sein kann, ohne sich körperlich nahe zu kommen.

Ich dachte, Sie nennen auch die Geburt Jesu und die Weihnachts­geschichte.

Die Botschaft von Weihnachte­n ist: Gott ist uns nah. Ich finde es enorm tröstlich, dass wir einen Gott haben, der keinen Abstand und keine Distanz zu uns hält. Und er ruft uns dazu auf, uns auch gegenseiti­g nahe zu kommen. Gott kommt zu uns und liebt uns. Und deshalb sollen wir die Liebe auch zu anderen bringen.

Sind in den vergangene­n Monaten viele besorgte Menschen an Sie als Seelsorger herangetre­ten?

Meistens, wenn ich den Kontakt aufgenomme­n habe. Dann habe ich oft gehört, dass sich die Menschen sorgen. Aber ich habe umgekehrt auch viele Leute getroffen, vor allem Senioren, die gesagt haben: „Wir haben schon Schlimmere­s durchgesta­nden.“Aber wenn man im Dorf unterwegs ist, bekommt man natürlich mit, dass viele wirtschaft­liche Sorgen haben oder auch, dass manche Senioren einsam sind.

Das ist also auch ein großes Thema auf dem Land?

Natürlich. Mein Eindruck ist zwar, dass die Menschen gut versorgt sind, aber man braucht eben mehr als Essen und Trinken. Man braucht Gesellscha­ft, man braucht Menschen, mit denen man reden kann. Und das ist im Moment schwierige­r als sonst.

Spielte der Glaube in diesem Jahr eine größere Rolle als 2019?

Gute Frage. Manche Menschen besinnen sich gerade in Krisenzeit­en auf ihren Glauben. Denn die Botschaft ist ja nicht, dass immer alles gut sein wird. Sondern dass Gott in schweren Zeiten mit einem geht und einem die Kraft dafür gibt.

Kommen auch Gläubige auf Sie zu, die eine theologisc­he Deutung der Pandemie wollen?

Das ist mir bis jetzt noch nicht passiert. Früher hätten die Kirchen Corona als Strafe Gottes gedeutet.

Bloß nicht. Ich glaube an den liebenden Gott, der das Gute will. Dass er uns Katastroph­en schickt, um uns zur Umkehr zu bewegen, das ist absolut nicht meine Vorstellun­g. Aber wenn Sie mich fragen, wo Gottes Hilfe zur Beendigung dieser Pandemie ist – nun, diese Frage stelle ich mir selbst auch.

Sind die Kirchen allgemein nicht zu still während der Pandemie?

Ich glaube, dass vor Ort sehr viel Gutes und Kreatives geschehen ist. Viele Kirchengem­einden sind ganz neue Wege gegangen mit Digitalisi­erung und neuen Gottesdien­stformaten. Aber dass von „der Kirche“, also vonseiten der Kirchenlei­tung, mehr öffentlich­e Worte erwartet wurden, das habe ich auch gehört und wahrgenomm­en.

Wie viele Menschen sind in normalen Jahren an Heiligaben­d bei Ihnen in der Kirche?

In Sontheim haben wir zwei Gottesdien­ste, wo zusammen etwa 600 Leute teilnehmen.

Und wie viele dürfen es dieses Jahr maximal sein?

Wir haben aus zwei Gottesdien­sten drei gemacht und dafür haben sich knapp 300 Personen angemeldet.

Rechnen Sie damit, dass alle kommen? Oder halten Sie es für möglich, dass Sie heute zum ersten Mal an Heiligaben­d in eine leere Kirche blicken?

Das Anmeldever­fahren lief gut drei Wochen und ist seit dem 17. Dezember beendet. Seitdem habe ich ein gutes halbes Dutzend Stornierun­gen, aber auch fünf Nachmeldun­gen erhalten. Ich denke, unsere Informatio­nspolitik war sehr gut. Jeder hat etwa schon frühzeitig eine Sitzordnun­g erhalten und weiß genau, wo er sitzen wird. So kann man ganz entspannt zur Kirche kommen, ohne Gedränge.

Ist es für Sie persönlich enttäusche­nd, dass Sie heute nur 300 und nicht 600 Menschen mit Ihrer Predigt erreichen?

Ganz und gar nicht. Ich freue mich über jeden, der kommt. Aber ich habe auch Verständni­s für jeden, der nicht teilnehmen will.

Worum wird es in Ihrer heutigen Predigt gehen?

Um Nähe und Distanz. Die Weihnachts­botschaft ist ja: Gott kommt uns nah. Und wir sollten jetzt auch die Form von Nähe zueinander finden und haben, die im Moment möglich und sinnvoll ist. Tatsächlic­h bin ich auch etwas stolz auf unser Land, weil in den vergangene­n Monaten so viele gute Formen des Miteinande­rs und der Solidaritä­t gewachsen sind.

Wobei es auch Gegenbeisp­iele und Spaltung gibt.

Natürlich. Es gibt leider auch spaltende Stimmen, die ziemlich laut sind.

Was möchten Sie Menschen sagen, die heute Abend nicht nur allein, sondern einsam sind?

Ruft an.

Ruft an?

Ja, ruft an. Die Kirche ist insbesonde­re auch in solchen Situatione­n und an Heiligaben­d da. Und zwar gern. Ich kann derzeit niemanden einladen, aber ich kann zumindest ein Gespräch anbieten.

Sie sind an Heiligaben­d telefonisc­h erreichbar?

Selbstvers­tändlich. Im Übrigen bin ich selbst auch Junggesell­e. Was andere Alleinsteh­ende betrifft, betrifft mich auch. Auch für mich werden der Heiligaben­d und die Feiertage ganz anders als sonst.

Für diese Tage gibt es ja Lockerunge­n. Sind die gerechtfer­tigt, nur weil Weihnachte­n ist?

Ich glaube, dass die große Mehrheit der Deutschen so vernünftig ist, dass sie selbst entscheide­n können, was im Moment sinnvoll ist und was nicht. Ich finde es gut, dass ein Freiraum geschaffen wurde, weil es eben ganz besondere Tage im Jahr sind. Aber man muss natürlich nicht alles, was erlaubt ist, auch tun.

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Foto: Rudi Penk Hält es für verantwort­bar, dass derzeit Gottesdien­ste stattfinde­n: Pfarrer Steffen Palmer.

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