Zwischen Himmel und Erde
Mit dem Aufzug hinauf bis zu den letzten Metern der heiligen Halle.
Leere Gotteshäuser? Das muss nicht so bleiben. Das niederländische Maastricht zeigt seit einigen Jahren, wie man die riesigen Immobilien wieder vollbekommt: Als Buchladen, Designhotel, Vorlesungssaal oder als Kindertagesstätte.
Boeken in een hemelse ambience - eine ungewöhnliche Aufschrift an einem Gotteshaus. Ton Harmes ist der ungewöhnliche Besitzer dieser ungewöhnlichen Kirche. Er wollte etwas Besonderes: Nach jahrelangem Suchen hatte der gebürtige Maastrichter 1000 Quadratmeter bezahlbare Verkaufsfläche gefunden, eine Seltenheit in der gut erhaltenen, mittelalterlichen Festungsstadt. Die einzig preiswerte Möglichkeit war, in ein leer stehendes Gotteshaus zu ziehen und dieses umzubauen. In einem der ältesten Kirchengebäude der Niederlande führt er seit über zehn Jahren das Dominicanen - einen Buchladen, der laut Umfrage der englischen Zeitung „The Guardian“zu den schönsten der Welt gehört.
Harmes findet, dass seine Heimatstadt zu Unrecht ein touristisches Schattendasein führt: Es ist nicht nur das entspannte, beinahe südländische Lebensgefühl, das er so mag, sondern es ist auch der Mut der Stadtväter, Ungewöhnliches auszuprobieren. Welche Stadt traut sich schließlich schon, Dutzende ungenutzte Kirchen, Kathedralen und Basiliken einer neuen Bestimmung zuzuführen?
Maastricht besitzt für seine 120 000 Einwohner viel zu viele Gotteshäuser. Deshalb standen viele der 53 Kirchen leer. Einige von ihnen wurden in den letzten Jahren umgerüstet. Das Dominicanen gehört zu den spektakulären Vorreitern; aber auch etwa die Universität Maastricht samt Bibliothek, Vorlesungssälen und Verwaltungsgebäude, das Naturhistorische Museum oder das prunkvolle Café La Bonbonnière zogen allesamt in ehemalige Gotteshäuser.
Die Maastrichter sind froh über den Erhalt der Dominikanerkirche - weil das Dominicanen der Stadt eine zusätzliche Touristenattraktion beschert hat und weil sie das Haus abgöttisch lieben. Fast jeder verbindet mit der alten Kirche persönliche Erinnerungen, schließlich war sie mal Pferdestall, mal Boxring, Fahrradgarage oder gar Ausstellungshalle für Reptilien; sie wurde umfunktioniert als Veranstaltungsort für Weihnachtsmarkt, Haschischpartys und Kinderkarneval.
Ehemalige Gotteshäuser können gewinnbringend sein - diese Erfahrung machte Camille Oostwegel. Für den Limburger Meister-hotelier sind funktionslos gewordene Kirchen ein Geschenk. Dafür steht sein elegantes Kruisherenhotel, ein ehemaliges Kloster. Während viele umfunktionierte sakrale Gebäude kaum mehr als ihre Fassade in die ungewöhnliche Nutzung retten konnten, versuchte er, ein Designhotel zu entwickeln, das eine besondere Symbiose von Altem und Neuem eingeht. Camille Oostwegel schuf Überraschendes in historischem Ambiente - da gibt es einen „heiligen“Eingang mit kupferfarbenem Tunnel als Pforte, den spirituellen Hof mit göttlich spiegelnder Wassersäule, vor allem aber eine eindrucksvolle Lichtinstallation. Große Lichtspender, Untertassen gleich, fließen lila, hellgrün oder gelb als Farbbogen durch den Raum - das Kunstwerk des Lichtdesigners Ingo Maurer gibt dem Hotel einen mystischen Schein. Oostwegel wollte durch die besondere Architektur und Stimmung eine veränderte ästhetische Spannung erzeugen.
Dafür ließ er im einstigen Kirchenschiff einen modernen Aufzug bauen, der eine dynamische Bewegung in den Innenraum bringen soll. Mit ihm kann man bis zu den letzten Metern der heiligen Halle hinauffahren und durch die obersten Abschnitte der sakralen Fenster schauen. „In welcher Kirche ist es möglich, solch einen Ausblick von höchster Höhe zu genießen und in einem Gewölbe nicht nur hinauf-, sondern auch von oben hinabzusehen?“, fragt er stolz. Wo bis zum 18. Jahrhundert Mönche beteten, Kranke pflegten und Bücher kopierten, wo später Napoleons Truppen Waffen und Munition lagerten, kommt der Unternehmer mit seinem Fünf-sterne-hotel nun dem eigentlichen Ursprung eines Klosters wieder näher: Die Besucher können Ruhe finden, meditieren - und auf Erleuchtung hoffen oder zumindest auf tiefe Entspannung.
Für Alfons Maria Kurris geht die starke Anziehungskraft der Kirchen auch dann nicht verloren, wenn sie verweltlicht werden. Er war 20 Jahre lang Pfarrer der Onze Lieve Vrouwenbasiliek und weiß: „Es bleibt in diesen Häusern doch dieses Gefühl, ganz und gar mit sich selbst verknüpft zu sein.“Regelmäßig besuchte er sowohl das Dominicanen als auch das Kruisherenhotel - und war doch stolz, der Onze Lieve Vrouwenbasiliek vorzustehen, denn sie ist nicht nur die beliebteste Kirche Maastrichts, sondern die schönste romanische Kirche der Niederlande und eine der Hauptstationen auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela.
Der Eingang der Kirche war sein „Kraftort“. Dort steht die blau schillernde Marienstatue „Stern der Meere“, davor flackern unzählige Kerzen. Für Gläubige ist sie ein Symbol für die Erscheinung der Jungfrau Maria; Touristen verstehen das Mini-monument als ein Highlight ihrer Sightseeingtour. Jedes Jahr an Ostern wird die Skulptur durch Maastricht getragen, gefolgt von über 20 000 Pilgern.
Die Maastrichter haben sich an die umgebauten Basiliken, Kapellen und Kathedralen gewöhnt. Nur um die D’n Awwe Stiene, die barocke Augustinerkirche, gab es Aufregung. Ein Restaurant, beschloss man, sollte hier einziehen, Partys sollten stattfinden - nur hatte man nicht bedacht, dass dröhnende Bässe das uralte, teils poröse Fundament zum Bröckeln bringen können. Nun wird der Nachtschuppen zur Tageseinrichtung für Kinder - mitsamt Spielplatz. Man geht offenbar davon aus, dass das fröhliche Gekreische der Kleinen dem 400-jährigen Gemäuer besser bekommt.