Heidenheimer Neue Presse

Triumph der Forscher

- Roland Müller zur Impfung gegen Covid-19 leitartike­l@swp.de

Zur Nörgelei haben die Deutschen ein inniges Verhältnis, und in der Tat: Das Land sitzt im Lockdown, die Intensivst­ationen werden voller, und eine neue, ansteckend­ere Virusvaria­nte könnte die kommenden Monate gründlich verhageln.

Und doch: Dass die Impfungen gegen Covid-19 nun begonnen haben, dass die Entwicklun­g des ersehnten Stoffs im Rekordtemp­o gelang, dass zudem ein deutsches Startup-unternehme­n quasi die globale Speerspitz­e der Corona-bekämpfung ist – all das ist eine Sensation. Ein Triumph der Wissenscha­ft. Vielleicht muss man sich im vielstimmi­gen Corona-dauergetös­e kurz die Zeit nehmen, um auf das Wesentlich­e hinzuweise­n: Corona wird nicht von Dummschwät­zern und Querdenker­n besiegt, nicht von Talkshow-helden oder Zeitungsko­mmentatore­n – und auch nicht von der Bundesregi­erung. Die Erkenntnis und den Sieg über das Virus kann nur die Wissenscha­ft bringen. Dass die Mainzer Biontech-gründer und Impfstoff-entwickler Uğur Şahin und Özlem Türeci aus türkischen Einwandere­r-familien stammen, ist eine zusätzlich­e kleine Randnotiz im Kampf gegen Vorurteile und Ignoranz.

Dabei hat die Corona-krise auf bittere Weise aufgezeigt, welch schweren Stand Forschung und wissenscha­ftliches Denken haben. Virologen und Epidemiolo­gen, die versuchten, der Welt die Lage zu erklären, wurden massiv angefeinde­t, bedroht und allzu oft von Besserwiss­ern jeder Couleur übertönt. Ärzte und Pflegepers­onal kämpfen in den Kliniken an der Belastungs­grenze um Patienten, während Corona-leugner und Verschwöru­ngsgläubig­e lachend ihren Egoismus und ihre Dummheit zelebriere­n.

Die Pandemie zeigt auch, wie dürftig das Wissen in der Bevölkerun­g über einfachste medizinisc­he Fakten ist. Man muss sich schon fragen, warum in einem Land mit Spitzenfor­schung und Hochleistu­ngsmedizin viele Menschen nicht den Unterschie­d zwischen einer „Erkältung“und der Grippe kennen – und Impfgegner­schaft in manchen Milieus zum guten Ton gehört. Diese unterschwe­llige Wissenscha­ftsfeindli­chkeit ist einer Gesellscha­ft, deren einzige Ressource eigentlich die Bildung ist, schlicht unwürdig.

Darüber, dass Deutschlan­d mit Biontech und dem Tübinger Impfstoffh­ersteller Curevac gleich zwei Vorreiter zu bieten hat, sollte man dann übrigens doch nicht zu viel jubeln. Curevac-gründer Ingmar Hoerr hat jüngst in einem schonungsl­osen Interview im „Spiegel“betont, dass die Rahmenbedi­ngungen für neue Technologi­en hierzuland­e denkbar schlecht seien – und der aktuelle Erfolg letztlich nur zufälliger Liebhabere­i einzelner Milliardär­e zu verdanken sei, da sonst niemand in innovative Forschung investiere.

Auch für die Bewältigun­g der drohenden Klimakrise, deren Folgen noch viel schwerer zu greifen sind als die einer akuten Pandemie, sollte die Lektion aus Corona sein: Hört auf die Wissenscha­ft. Auch wenn sie vielleicht Dinge zu sagen hat, die uns nicht gefallen. Aber Populisten, die dem Volk nach dem Mund reden, haben noch nie die Welt gerettet.

Die Corona-krise hat aufgezeigt, welch schweren Stand die Wissenscha­ft in der Debatte oft hat.

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