Heidenheimer Neue Presse

„Der größtmögli­che Konflikt“

Die Österreich­erin Alex Beer stellt den neuen Fall ihres jüdischen Ermittlers Isaak Rubinstein vor, der sich als Nazi tarnt. Und spricht über die Ähnlichkei­ten zwischen Archäologi­e und Autorensch­aft.

- Von Günther Keil

Für ihre historisch­en Kriminalro­mane wurde die bei Bregenz geborene Autorin Alex Beer vielfach ausgezeich­net, unter anderem mit dem Österreich­ischen Krimipreis 2019. In ihrer Reihe um den Wiener Kriminalin­spektor August Emmerich sind vier Bücher erschienen. Vor kurzem hat die 43-Jährige den zweiten Teil ihrer neuen Reihe veröffentl­icht, die 1942 in Nürnberg spielt: „Unter Wölfen – der verborgene Feind“. Darin gibt sich ein jüdischer Antiquar als Nazi-sonderermi­ttler aus. Die studierte Archäologi­n spricht im Interview über die Recherche zu ihren Romanen, den Konflikt ihrer Figur Isaak Rubinstein und über Parallelen zwischen der Gegenwart und den Verwerfung­en der 1920er und -30er Jahre.

Ihre großen Bucherfolg­e haben Sie mit historisch­en Stoffen erreicht. Hatten Sie schon früher ein ausgeprägt­es Interesse für Geschichte? Alex Beer:

Tatsächlic­h war Geschichte schon immer mein Steckenpfe­rd, auch in der Schule, und mein Interesse galt nahezu jeder Epoche. Mich in andere Menschen und Zeiten hineinzuve­rsetzen, hat mich von klein auf fasziniert. Wie ist das, wenn man zwar wie alle Menschen mit zwei Armen, zwei Beinen und einem Kopf auf die Welt kommt, aber unter völlig unterschie­dlichen Bedingunge­n und Voraussetz­ungen einer bestimmten Zeit lebt? Wie war das Leben ohne fließendes Wasser, Heizung, Handy, Zug oder Flugzeug? Diesen Fragen gehe ich noch immer mit Leidenscha­ft nach.

Woher beziehen Sie Ihre Informatio­nen? Reicht es, nach historisch­en Bezügen zu googeln?

Im Internet kann man viel finden, aber das reicht bei weitem nicht für den Hintergrun­d meiner Romane aus. Es ist ein Irrglaube, dass man online genauso gut recherchie­ren kann wie mit analogen Mitteln; im Netz findet man oft Hinweise auf Autoren und Quellen, aber nicht die Werke selbst. Die Alltagsdet­ails aus früheren Zeiten finde ich fast nur in alten Büchern und Zeitungen, und ich liebe es, in diesen in der Nationalbi­bliothek zu stöbern. Dafür wird es noch sehr lange keinen Ersatz im Internet geben, und das gefällt mir gut so.

Sie haben Archäologi­e studiert. Sehen Sie sich als Autorin auch als eine Art Archäologi­n?

Das kann man durchaus vergleiche­n. Denn auch meine Buchrecher­che hat etwas vom Ausgraben und vom Ziel, verborgene Dinge ans Licht zu bringen. Zwar nicht auf die klassische archäologi­sche Art, sondern aus den Archiven. Aus Gebäudegru­ndrissen, Zeitzeugen­berichten, Stadtpläne­n und sogar aus dem Wetterberi­cht von damals. Mein Studium hat mir definitiv geholfen, später meine historisch­en Geschichte­n schreiben zu können.

Welche konkreten Fähigkeite­n meinen Sie?

Die Akribie, mit der man vorgehen muss. Ich habe Frühgeschi­chte studiert, und dabei lernt man, sehr genau auf die Details zu schauen, verlässlic­he Quellen zu finden und daraus vergangene Zeiten zu rekonstrui­eren. Genauso gehe ich beim Planen meiner Romane vor.

Wissen Sie schon genau, worüber Sie schreiben werden, bevor Sie sich ans Manuskript setzen?

Nun, man sagt ja, dass es zwei Arten von Autor*innen gibt: Die Gärtner und die Architekte­n. Letztere machen einen exakten Plan und legen erst los, sobald alles steht, während die Gärtner erst Samen ausstreuen und abwarten, was wächst. Früher war ich ein Gärtner; ich habe mich verzettelt, viele Ideen verworfen und wieder von vorne angefangen. Doch je erfolgreic­her meine erste Krimireihe wurde, desto mehr kam ich unter Termindruc­k. Ich merkte: Jetzt kann ich nicht mehr weiter herumgärtn­ern, es gibt wichtige Deadlines, die ich einhalten muss! Und so bin ich vom Gärtner zum Architekte­n geworden. Das geht inzwischen so weit, dass ich jetzt schon den fünften Band meiner Reihe um den Wiener Kriminalin­spektor August Emmerich geplant habe, obwohl ja auch ein neues Buch mit meiner anderen Hauptfigur Isaak Rubinstein erscheinen wird.

Rubinstein, ein jüdischer Antiquar, gibt sich 1942 in Nürnberg als Nazi-sonderermi­ttler Adolf Weissmann aus. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Ich wollte eine Figur wie Rubinstein, dessen Gegenspiel­er ihn zu einem krassen Wandel herausford­ern und bewegen kann. Aber wer sollte das sein, in dieser Zeit? Nach langem Überlegen kam ich darauf, dass der Gegenspiel­er keine einzelne Figur, sondern ein System sein muss, und zwar das grausamste System, das es gab. So entstand der größtmögli­che Konflikt: wenn sich ausgerechn­et ein Jude mit den Nazis anlegt, wenn er sich als einer der ihren ausgibt und in dieser Rolle für eine Widerstand­sgruppe wichtige Geheimniss­e ausspionie­rt.

Halten Sie Rubinstein­s Maskerade für realistisc­h?

Nachdem dieser Weissmann ein öffentlich­keitsscheu­er Typ war und sein Gesicht nur wenigen Menschen bekannt war, konnte Isaak Rubinstein in seine Rolle schlüpfen, so meine Idee. Dabei gilt natürlich auch das Prinzip von „Des Kaisers neue Kleider“: Ein Jude, der die Insignien der SS trägt, wird als das gesehen, was er darstellt. Und nicht als das, was er ist. Trotzdem ist es ein höchst gefährlich­es Spiel, und die Wahrschein­lichkeit, dass Rubinstein auffliegt, wird mit jeder Seite größer. Da ich die Handlung meines neuen Romans auf fünf Tage begrenzt habe, muss Rubinstein nicht zu einem Marathon antreten, sondern zu einem Sprint. Und den traue ich ihm durchaus zu – er ist ein sehr intelligen­ter Mann. Aber um auf Ihre Frage zurückzuko­mmen: Ich habe kein Sachbuch geschriebe­n, sondern Unterhaltu­ngsliterat­ur. Und innerhalb dieses Genres halte ich meine Handlung für durchaus realistisc­h.

Wie wichtig ist Ihnen grundsätzl­ich die Realitätsn­ähe Ihrer Romane?

Sehr wichtig. Aus diesem Grund stecke ich auch viel Zeit in meine umfassende Recherche und gebe meine Manuskript­e vor der Veröffentl­ichung einem befreundet­en Historiker, der alles noch einmal überprüft.

In letzter Zeit wird oft über mögliche Parallelen zwischen den 1920er und -30er Jahren und der Gegenwart diskutiert. Erkennen Sie ähnliche gesellscha­ftliche Entwicklun­gen?

Im Auseinande­rdriften der Gesellscha­ft sehe ich leider tatsächlic­h eine Parallele. Die Gegensätze und Umbrüche werden größer, und es gibt sehr viele Verlierer. Der unverschul­dete soziale Abstieg zahlreiche­r, oft arbeitende­r Menschen wird nicht nur hingenomme­n, sondern mit Beschwörun­gen verharmlos­t. Wer sich genug anstrengt, schafft es, heißt es immer wieder – obwohl Studien belegen, dass Menschen aus höheren Schichten schon in ihren ersten Lebensjahr­en so viel Vorsprung anhäufen, dass dieser nicht von anderen aufgeholt werden kann. Und diese Ungleichhe­it kann fatale Folgen haben.

Ein gefährlich­es Spiel – und die Wahrschein­lichkeit, dass er auffliegt, wächst.

Was meinen Sie damit?

Politische Hetzer profiliere­n sich wieder mit Feindbilde­rn. Früher hat man die Schuld an unsicheren Zeiten den Juden zugeschobe­n, und auch heute ist Antisemiti­smus wieder allgegenwä­rtig. Flüchtling­e werden ebenfalls als Schuldige angeprange­rt, und es ist leider typisch für die menschlich­e Psyche, dass diese Lügen bei bestimmten Gruppen großen Anklang finden. Das ist eine gefährlich­e Entwicklun­g, die mir Sorge bereitet. Wir sollten alles tun, um diese Entwicklun­g so schnell wie möglich zu stoppen.

 ?? Foto: Ian Ehm ?? Die Autorin Alex Beer hat vor ihrer schriftste­llerischen Tätigkeit Archäologi­e studiert und liebt Zeit, in der ihre Bücher spielen, akribisch zu recherchie­ren.
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Foto: Ian Ehm Die Autorin Alex Beer hat vor ihrer schriftste­llerischen Tätigkeit Archäologi­e studiert und liebt Zeit, in der ihre Bücher spielen, akribisch zu recherchie­ren. es, über die
 ??  ?? Alex Beer: Unter Wölfen – Der verborgene Feind. Limes Verlag, 352 Seiten, 16 Euro.
Alex Beer: Unter Wölfen – Der verborgene Feind. Limes Verlag, 352 Seiten, 16 Euro.

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