Koalition will Kinderrechte stärken
Experten sehen den Formulierungsvorschlag von Union und SPD zur Änderung des Grundgesetzes kritisch. Im Bundestag wird eine Zweidrittel-mehrheit benötigt – die ist aber ungewiss.
Die Koalitionsfraktionen haben sich auf die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz geeinigt. „Ich freue mich, dass nach vielen Jahren endlich ein Vorschlag da ist, wie man Kinderrechten einen Verfassungsrang geben kann“, sagt der Ehrenvorsitzende des Deutschen Familiengerichtstags, Siegfried Willutzki, dieser Zeitung. Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Was hat die Koalition vereinbart?
Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder seien „zu achten und zu schützen“, heißt es in dem Kompromiss. Verfassungsrang soll darüber hinaus das Recht der Kinder „auf Entwicklung zu eigenständigen Persönlichkeiten“bekommen. Darüber hinaus wird festgelegt: „Die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt.“
Was würde sich durch den Grundgesetz-zusatz ändern? Friederike Wapler, Professorin für Rechtsphilosophie und Öffentliches Recht an der Universität Mainz, sagt: im Grunde nichts. „So wie der Text jetzt formuliert ist, hätte er keine Auswirkung auf das rechtliche Verhältnis zwischen Eltern und Kindern.“Aus ihrer Sicht sei es „auch gut so, dass am Verhältnis Eltern-kinder nicht in Form einer Grundgesetzänderung herumgeschraubt wird. So wie das rechtliche Verhältnis derzeit gestaltet ist, finde ich es vollkommen in Ordnung: Wir haben den Schutz der Privatheit der Familie. Der Staat kann aber auch eingreifen, wenn es in der Familie zu Gefahren für das Kind kommt.“Der frühere Familienrichter Siegfried Willutzki sieht den Koalitionsvorschlag dagegen positiver. Wichtig sei vor allem, dass das Recht der Kinder auf die Entwicklung einer eigenen Persönlichkeit ins Grundgesetz aufgenommen würde. „Allerdings wäre Artikel zwei des Grundgesetzes, in dem es um die freie Entfaltung der Persönlichkeit geht, der geeignetere Platz dafür.“
Wie kam es zu der jetzigen Formulierung? Die SPD wollte eigentlich erreichen, dass Kinderrechte
„vorrangig“zu berücksichtigen seien. Der Union ging das zu weit. Deshalb heißt es jetzt „angemessen“. Auch die von SPD gewünschten Beteiligungsrechte für Kinder waren mit der Union nicht zu machen. Spd-fraktionsvize Katja Mast spricht dennoch von einem „starken Tag für Kinder und ihre Familien“. Professorin Wapler ist anderer Meinung. „Wenn man nichts substanziell verändern will, dann kann man sich eine solche Grundgesetzänderung auch schenken.“Familienrechtler Willutzki betont, er sei sicher, dass die nun gefundene Formulierung noch nicht die endgültige Fassung sei. Wie wichtig wäre es, Beteiligungsrechte der Kinder ins Grundgesetz zu schreiben? Sehr wichtig, sagen sowohl Willutzki als auch Wapler.
„Die Sicht auf Kinder hat sich in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend verändert“, betont die Professorin aus Mainz. „Sie werden heute von Geburt an als Persönlichkeiten gesehen, die ernst zu nehmen sind. Dem sollte man Rechnung tragen, indem man im Grundgesetz festschreibt, dass Kinder alters- und reifeangemessen an staatlichen Entscheidungen beteiligt und dass ihre Äußerungen berücksichtigt werden.“Willutzki sagt, der Verzicht auf die Erwähnung von Beteiligungsrechten in dem Koalitionsbeschluss sei „ein ausgesprochenes Manko“.
Wie groß sind die Chancen, dass der von der Koalition beschlossene Text es tatsächlich ins Grundgesetz
schafft? Sehr gering. Es sei denn, er wird noch verändert. Das Grundgesetz kann nur mit Zweidrittel-mehrheiten in Bundestag und Bundesrat geändert werden. Doch von den Oppositionsparteien kommt verhaltene Zustimmung lediglich von der FDP. Mit den Stimmen der Liberalen wäre die Zweidrittel-mehrheit aber nicht erreicht. Grüne und Linke dringen vor allem auf die Aufnahme vor Beteiligungsrechten für Kinder ins Grundgesetz. Die Familienexpertin der Bundestags-grünen, Ekin Deligöz, spricht von einem „faulen Kompromiss“. Aber auch von der AFD kommt Kritik. Dort ist man generell gegen die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz.