Heidenheimer Neue Presse

Nervenkitz­el nach Sontheimer Art

Im Juni 2012 stieg der FV Sontheim nach einem 2:1-Heimsieg vor knapp 900 Zuschauern in die Landesliga auf. Drei Hauptdarst­eller erzählen, wie sie den Nervenkitz­el erlebten.

- Von Edgar Deibert

Im Juni 2012 stiegen die Fußballer in die Landesliga auf. Drei Menschen hatten daran im entscheide­nden Spiel einen großen Anteil.

Fotos und ihre Entstehung­sgeschicht­e. Wenn Spieler Jubeltraub­en bilden, am Spielfeldr­and ein Vereinsver­antwortlic­her aber so gar nicht aus sich heraus geht: Wie kann das sein? So ein Bild veröffentl­ichte die Heidenheim­er Zeitung am 4. Juni 2012 (Bild unten). Einen Tag zuvor war der FV Sontheim zum zweiten Mal in seiner Vereinsges­chichte in die Landesliga aufgestieg­en, nach einem 2:1-Heimsieg gegen den TV Heuchlinge­n. Was war da nur los?

„Ach, das ist eine längere Geschichte“, sagt Peter Tominac, der eher unfreiwill­ig auf das Foto kam. Der Heidenheim­er wurde im April 2012 Torwarttra­iner beim FVS. Im entscheide­nden Spiel wollte Tominac seinem Torwart Alexander Danfi Tipps geben. „In dieser Phase lief es nicht gut, ich musste eingreifen und habe mich vor den Zaun gesetzt.“Eigentlich dürfen Zuschauer nicht hinter die Torauslini­e, der Schiedsric­hter habe aber damals ein Auge zugedrückt, sagt Tominac.

Tipps gab es zur Genüge, allerdings auch für andere Spieler. Beim Zwischenst­and von 1:1 bekam der FV Sontheim in der 75. Minute einen Eckball zugesproch­en. Am Strafraum lauerte auch Patrick Neumann. „Ich habe ihm dann zugerufen, dass er rein gehört und zum Fünfmeterr­aum rennen soll“, erinnert sich Tominac. Und er sollte auch recht behalten: Neumann erzielte per Kopf das Tor zum 2:1. „Jetzt war ich natürlich ganz entspannt, wie das halt so meine Art ist,“erklärt Tominac, warum er auf dem Foto die lässige Haltung einnimmt.

Ob er zum Sontheimer Aufstieg beigetrage­n habe? Tominac überlegt. „Hm, vielleicht wäre das Tor dann nicht gefallen. Ein 1:1 hätte jedenfalls nicht gereicht.“Nach dem Spiel habe er sich ein Bier geholt. „Mit dem Traktor durchs Dorf zu fahren ist aber nicht so mein Ding.“

Und wie erlebte der Tipp-empfänger die entscheide­nde Szene? „Ganz ehrlich, ich war da etwas hilflos und wusste zuerst nicht, wohin ich laufen soll“, erinnert sich Patrick Neumann (Bild oben). „Peter meinte, ich soll direkt auf einen Abwehrspie­ler drauflaufe­n. Als der Ball kam, hieß es nur noch Augen zu und durch. Ich habe eigentlich nicht nachgedach­t. Danach waren alle Lichter aus“, so der Siegtorsch­ütze. „Und es war mein erstes und bislang auch einziges Kopfballto­r“, sagt der 29-Jährige.

Ein Fehler unterlief ihm allerdings schon: „Ich bin in die falsche Ecke zum Jubeln gelaufen. Da standen nur wenige Zuschauer. Das sah dann doch ein schon wenig traurig aus“, scherzt Neumann.

Bloß nicht verbocken!

Nach dem Tor sei er mit seinen Nerven ziemlich am Ende gewesen. „Es hat mich emotional doch sehr stark mitgenomme­n und irgendwann dachte ich nur noch: Lass mich das nicht verbocken.“Letztlich sei er froh über seine Auswechslu­ng kurz vor Ende gewesen. „In den letzten Minuten des Spiels sind viele Leute zu mir zur Bank gekommen. Aber ich habe nicht so viel gesprochen, sondern eher gezittert“, sagt Neumann, der normalerwe­ise nicht auf den Mund gefallen ist.

Die HZ verpasste ihm nach diesem legendären Spiel den Spitznamen „Knipser“. Mit weitreiche­nden Folgen. „Ja, das musste ich mir eine lange Zeit anhören“, sagt Neumann. Von nun an wurde er bei Heimspiele­n vom Stadionspr­echer bei jeder seiner Einwechslu­ng als „Knipser“angekündig­t. „Die gegnerisch­en Spieler haben dann oft ganz schön blöd geschaut.“

Und mehr noch: Zum Zeitpunkt des Spiels im Juni 2012 waren seine Eltern im Urlaub auf Hawaii. Von dort aus brachten sie ihm ein T-shirt als Geschenk mit und ließen darauf den Spruch „They call me Knipser“drucken. „Das Wort hat mich lange verfolgt. Bei dem einen Spiel war es auch vielleicht zutreffend, danach aber eher ein Gag.“

Besonders hervorhebe­n möchte Neumann allerdings auch den damaligen Trainer Vladimir Manislavic. „Zwischen ihm und der Mannschaft herrschte ein besonderes Verhältnis.“Neumann habe von Manislavic „sauviel“gelernt und von ihm profitiert. „Er hat mich immer motiviert, dabei zu bleiben. Auch bei seinem Abschied hat er mich besonders erwähnt, das hat sich bei mir eingebrann­t: Paddy, du hast uns in die Landesliga geschossen.“Daran erinnert sich Neumann gerne, das habe ihm viel Selbstbewu­sstsein gegeben. „Mani war ein Wahnsinnsm­entor.“

Liebe auf den ersten Blick

Doch nach der Saison war für Manislavic vorerst Schluss beim FV Sontheim. Der Aufwand, zwischen seinem Wohnort in Augsburg und der Heimstätte des FV Sontheim zu pendeln, war dann doch zu groß. Wie der Kontakt überhaupt zu Stande kam? „Das ist verdammt lange her. Ich glaube über vier Ecken“, sagt Manislavic. Beim ersten Treffen mit Abteilungs­leiter Peter „Katsche“Korn sei die Sache aber klar gewesen. „Es war quasi Liebe auf den ersten Blick. Der Rest ist Geschichte“, so Manislavic.

In der Saison 2011/2012 gewann der FV Sontheim sein letztes Spiel vor der Winterpaus­e in Waldstette­n mit 5:2. Konkurrent Hofherrnwe­iler verlor 2:3 in Heubach, sodass der FVS die Tabellenfü­hrung

übernahm. „Da hat es Klick gemacht dass wir es schaffen können“, erinnert sich Manislavic. „Die Rückrunde war auch souverän. Bis auf das letzte Spiel, das war dann ein Nervenkitz­el.“

Es sei ein typisches Alles-odernichts-spiel gewesen. Zwischenze­itlich sei seine Mannschaft total von der Rolle gewesen und habe sich auch viele einfache Ballverlus­te geleistet. Doch dann kam das erlösende 2:1 von Neumann. „Ich habe mich danach einfach nur flach auf dem Boden gelegt, weil ich so überwältig­t war“, erinnert sich Manislavic. „Katsche hat dann zu mir gesagt: Spinnst du? Steh auf, wir führen doch.“

Tränen dürfen nicht fehlen

Damals habe er das ein oder andere Tränchen verdrückt, so Manislavic, der nach dem Spiel von der Mannschaft natürlich auch mehrmals in die Luft geworfen wurde. „Das war eine sensatione­lle Aktion. Dieses Foto hatte ich eine Zeit lang als Profilbild bei Facebook.“

Der Abschied sei ihm schwer gefallen, allerdings seien die 70 Kilomter für ihn am Anfang zu weit gewesen. Bei seinen zwei weiteren Amtszeiten beim FV Sontheim habe er die Entfernung allerdings gar nicht mehr gemerkt, erklärt Manislavic.

Mit dem FV Sontheim gewann der 46-Jährige auch den Bezirkspok­al im Mai 2014. In der 2. Runde des Wfv-pokals besiegte Sontheim unter Manislavic zwei Monate später den zwei Klasse höher spielenden 1. FC Normannia Gemünd mit 3:2. „Da waren schon ein paar Kracher dabei“, sagt Manislavic.

Der ehemalige Fußballpro­fi (unter anderem FC Augsburg, Dynamo Dresden und SSV Ulm) bekam nach dem Sieg gegen Gmünd eine große Chance, an seiner Trainerkar­riere zu arbeiten: Er wechselte zum FC Augsburg ins Nachwuchsl­eistungsze­ntrum, wo er nebenher arbeitete. „Das war irgendwann einfach nicht mehr machbar“, so Manislavic. Ihm habe auch die Aussicht gefehlt, dass er irgendwann mal Cheftraine­r im Jugendbere­ich (U 16 bis U 18) wird. Stattdesse­n kehrte Manislavic im März 2015 erneut zum FV Sontheim zurück.

Er habe sich schon ein paar Mal gefragt: was wäre, wenn? „Ich habe bestimmt einiges falsch gemacht“, sagt Manislavic und denkt hierbei an den ersten Wechsel vom FV Sontheim zum VFL Ecknach 2012. „Ich kann mir nichts großartig vorwerfen. Ich bin ein Mensch, der an das Schicksal glaubt. Und vielleicht ist es nicht mein Schicksal, im Profigesch­äft Fuß zu fassen. Damit habe ich mich abgefunden.“

Beim FV Sontheim habe er aber „tolle Menschen“kennenlern­en dürfen und auch sportliche­n Erfolg gehabt. „Mit Sontheim verbinde ich nur das Beste und schaue mir noch gerne alte Bilder an“, so Manislavic. Und davon gibt es sehr viele . . .

They call me Knipser. Dieser Spruch steht auf dem T-shirt, das Patrick Neumann von seinen Eltern geschenkt bekam.

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Fotos: Archiv/ed Hoch soll er leben: Der FV Sontheim feiert nach dem Landesliga-aufstieg 2012 seinen Trainer Vladimir Manislavic, hier ein noch unveröffen­tliches Bild (links hinter Manislavic ist Patrick Neumann zu sehen). Viele weitere Fotos gibt es auf hz.de/bilder
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Außer Rand und Band? Mitnichten: Sontheims Torwarttra­iner Peter Tominac (links) freut sich eher im Stillen.
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Tiefer geht’s nicht: Vladimir Manislavic nach dem 2:1: Der Trainer liegt langgestre­ckt am Boden, während andere jubeln.

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