Heidenheimer Neue Presse

Die Ausstellun­g, die kaum jemand sehen konnte

Ein Rundgang durch die „Heimatinst­allation“mit Namen „Albabstieg“, die im Heidenheim­er Kunstmuseu­m wegen Corona bislang niemand sehen konnte. Noch ist nicht aller Tage Abend, denn die Schau wurde nun bis zum 11. April verlängert.

- Von Manfred F. Kubiak

Wegen Corona sind die Museen geschlosse­n. Ein Rundgang durch René Hirners letzte Ausstellun­g war jetzt dennoch möglich.

Corona verhindert den Albabstieg“, titelten wir an dieser Stelle vor gut zwei Monaten. Und es hat sich nichts geändert: Corona verhindert den Albabstieg. Zumindest im Kunstmuseu­m in Heidenheim, wo „Albabstieg“der Name einer Ausstellun­g ist, die seit Mitte November zu sehen sein sollte, aber wegen Corona eben nicht zu sehen ist.

Ende Februar wäre sie normalerwe­ise wieder abgebaut worden. Nun wurde sie bis zum 11. April verlängert. Und man darf jetzt gespannt sein, ob bis dahin das Kunstmuseu­m wieder öffnen darf. Ansonsten wäre „Albabstieg“in der Geschichte des Kunstmuseu­ms tatsächlic­h die einzige Ausstellun­g, die dort zwar aufgebaut, aber nie zu sehen war.

Berge, Burgen, Bier

Um was geht’s? Um Heimat. Unter anderem. Um zwei Bildhauer aus der Region. Um Landschaft. Um Lebensraum. Um Berge, Burgen, Brot und Bier. Und um vieles andere mehr, was einem in den Sinn kommt, wenn man an die Alb denkt. „Eine Heimatinst­allation“, lautet der Untertitel der Schau. Andreas Welzenbach und Thomas Raschke heißen die Künstler.

Beide stammen sie vom Rande der Alb, von dort also, wo ein Aufstieg beginnen oder aber auch ein Abstieg enden könnte. Andreas Welzenbach kommt aus Aalen, Thomas Raschke aus Schwäbisch Gmünd. Beide waren auch mal für längere Zeit weg aus der Gegend. Beide aber sind sie wiedergeko­mmen. Und nun? Es hätte so schön sein können: Trifft ein Aalener einen Gmünder in Heidenheim . . . Und keiner hat’s gesehen?

Noch aber muss ja nicht von einem Scheitern die Rede sein. Noch ist alles möglich. Noch besteht die Aussicht, dass eines Tages auch Museen wieder öffnen. Vielleicht sogar noch vor dem 11. April, damit ein wenig Zeit bliebe für die Welt von Welzenbach und Reschke. Schön wär’s.

Atomkraftw­erk aus Holz

Zu sehen jedenfalls gäb’s viel auf dieser Reise über eine abstrakte Alb, die mit terrassenf­örmig abfallende­n Hochfläche­n aus umgedreht aufgestell­ten Fertigteic­hschalen ebenso wenig geizt wie mit Natur, Wahrzeiche­n oder industriel­l besiedelte­r Landschaft. Das alles gibt’s selbstvers­tändlich eher andeutungs­weise, aber doch spektakulä­r verpackt in Holz, Eisendraht, Schaumstof­f, Plastik. Wir sehen sogar ein Atomkraftw­erk. Und wir sehen nicht zuletzt, dass ein Wechsel der Perspektiv­e alles verändern kann.

Und an verschiede­nen Perspektiv­en auf diese Schau mangelt es nicht. Man kann das Ganze von oben, von der Galerie herab betrachten. Man kann es aus halber Höhe tun, gewisserma­ßen von einem Trauf aus Künstlerha­nd. Der Blick aus der Ebene macht den Besucher wiederum eher klein und den beinahe lebensecht gestaltete­n Strommast besonders groß. Selbst ein bequemer Blickwinke­l ist möglich. Von einem flexiblen Aussichtsb­änkchen aus, auf dem sich der Betrachten­de horizontal auf einer Ost-west-achse durch die Landschaft bewegen kann.

Viele Perspektiv­wechsel

Der Perspektiv­wechsel als solcher gehört aber auch zur künstleris­che Grundlage dieser Ausstellun­g, zur Bildhauere­i ganz allgemein. Und was das anbelangt, so führen Welzenbach und Raschke im Kunstmuseu­m in ihren Beiträgen zunächst einmal ganz nebenbei auch den klassische­n Unterschie­d in Sachen Bildhauere­i vor. Andreas Welzenbach­s Domäne ist die Skulptur, weshalb er als Bildhauer subtraktiv arbeitet, was bedeutet, dass seine Werke mittels feinen oder gröberen Werkzeugen aus einem Block abgetragen werden, in seinem Falle aus einem Holzblock, der immer Ausgangspu­nkt seines Schaffens ist, selbst wenn man es kaum glauben möchte; zum Beispiel bei seinen motivisch ins Heute ragenden Schäfer-idyllen, die von Eisenkunst­guss-silhouette­n des 19. Jahrhunder­ts inspiriert sind, bloß dass hier im ausladende­n Schatten einer Baumkrone nicht der Schäfer die Schippe, sondern ein Golfer den Schläger schwingt. Und am Stamm des Baums reibt sich eben nicht das Lämmchen, sondern zerschellt ein Auto.

Thomas Raschke wiederum drückt sich künstleris­ch in der Form der Plastik aus und arbeitet als Bildhauer, da hier zusammenge­setzt, hinzugefüg­t, aufgebaut wird, also additiv. Pappe, Karton, Eisendraht, das sind Raschkes bevorzugte Materialie­n. Er arbeitet aber auch mit Brot. Und mit Käse. Und sein Bus, der ursprüngli­ch mal wohl eine Art schwäbisch­es Toastbrot gewesen sein muss, rollt tatsächlic­h auf Harzer Rollern. Raschkes Brauerei aus Karton, das Schloss aus Schaumstof­f oder der Lastwagen aus Obstkisten, all das strebt dabei nach einem ästhetisch­en Idealzusta­nd und wird doch – so wie es auch Welzenbach, nur vielleicht etwas offener, immer handhabt – gleichzeit­ig ironisch gebrochen.

Die musikalisc­he Seite

Wobei beiden Künstlern, auch das wäre zu erwähnen, bei allem Gegensatz in der Arbeitswei­se, nicht nur der hintergrün­dige Blick aufs Ganze und das eigene Tun darin gemeinsam ist, sondern auch die hohe handwerkli­che Qualität, die hinter allem steckt. Und der musikalisc­he Hintergrun­d. Den wiederum lassen Welzenbach und Raschke, wenn man so will, sich inmitten der Heimatinst­allation stehenden Heimatstub­en austoben der Bassist Thomas Raschke mit einem verblüffen­d naturnahen und maßstabsge­nauen, röhrenzeit­lichen Marshall-stack samt Gitarre aus hier lediglich die konstrukti­ven Umrissform­en des Ensembles nachzeichn­endem Eisendraht – und der gelernte Orchester-schlagzeug­er Andreas Welzenbach mit einem riesigen Knochenker­l aus Lindenholz, den man, wenn man nur fest genug an den die Gliedmaßen verlängern­den Seilen zieht, einen heftigen Totentanz aufführen lassen kann.

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Foto: Rudi Penk Leider immer noch geschlosse­n: ein Blick in die seit November im Heidenheim­er Kunstmuseu­m aufgebaute Ausstellun­g „Albabstieg“. Mehr Fotos auf hz.de/bilder

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