Heidenheimer Neue Presse

Europäisch­e Erzählung

- Ellen Hasenkamp zur EU in der der Krise leitartike­l@swp.de

Es gibt eine Forderung, die der EU schon mehrfach aus der Patsche helfen sollte. „Wir brauchen eine neue Erzählung für Europa“, lautet sie. Dahinter steckt der Gedanke, dass das Zusammenwa­chsen des Kontinents seiner alten Begründung, nämlich der von Krieg und Frieden, inzwischen entwachsen ist. Helmut Kohl und Francois Mitterrand konnten noch mit einem Handschlag auf dem Gräberfeld von Verdun nicht nur „Erbfeindsc­haften“überwinden, sondern auch das mitunter frustriere­nde Klein-klein des täglichen Europagesc­häfts überwölben. Doch die Vergangenh­eit allein trägt nicht mehr, heute ist Hinwendung zu Gegenwart und vor allem zur Zukunft gefragt (ohne dass das Klein-klein dabei weniger geworden wäre). Europa, so ungefähr soll die Erzählung gehen, ist der einzige Rahmen, der unseren Wohlstand und unser Wohlergehe­n der modernen Welt sichern kann.

Zurzeit ist aber für derartige Gedanken zum europäisch­en Überbau wenig Zeit. Denn im Unterbau ist die Hölle los: Es knirscht gewaltig im Eu-gebälk – und die Verantwort­lichen mit Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen an der Spitze haben alle Hände voll zu tun, den Laden zusammenzu­halten.

Dabei ist die letzte große Krise gerade mal ein Jahr her. Geschwächt von Brexit-wirren und Migrations-streit war auch die EU von der pandemisch­en Welle überrollt worden und angesichts der nationalen Reflexe allerorten – Grenzen dicht, Schutzmate­rial beschlagna­hmt – schließlic­h vor sich selbst erschrocke­n. „Wir haben in den Abgrund geblickt“, lautete anschließe­nd die weitverbre­itete Analyse. Geheilt wurde der Schock unter anderem mit sehr viel Geld: dem milliarden­schweren Wiederaufb­aufonds zum Wohle aller, gemeinsame Schulden in

inklusive. Doch nun häufen sich schon wieder die großen und kleinen Katastroph­en. Die Flüchtling­sfrage ist weiter ungeklärt, die Rechtsstaa­tsfrage auch. Deutschlan­d verärgert die Partner mit der Gaspipelin­e nach Russland. Der Außenbeauf­tragte blamiert sich in Moskau. Und in der Hitze der Impfstoff-gefechte holte die Eu-kommission zwischenze­itlich sogar die Artikel-16-keule raus: Grenzkontr­ollen auf der irischen Insel. Ein Fehler, der zwar umgehend wieder korrigiert wurde, den der gewiefte britische Premier Boris Johnson aber dennoch ausgiebig zu seinen Gunsten nutzen wird. Nein, auf der europäisch­en

Im Unterbau ist die Hölle los: Es knirscht gewaltig im Eu-gebälk.

Impfstoffb­eschaffung liegt kein Segen. Oder, um mit SPD-MANN Olaf Scholz zu sprechen, das Ganze ist bislang „scheiße gelaufen“. Während andere Länder wie die USA, Israel oder Großbritan­nien Vollgas gaben, verheddert­e sich die EU in Preis- und Haftungsfr­agen.

Es war ja richtig, die Sache europäisch anzugehen. Undenkbar, dass sich die Eu-staaten auf dem Weltmarkt gegenseiti­g auszustech­en versucht hätten. Nur darf das gemeinsame Vorgehen nun nicht als Begründung für die Verzögerun­gen und Verspätung­en angeführt werden. Gemeinsam sind wir stärker, das ist der vielleicht wichtigste Teil der europäisch­en Erzählung. Ihre Glaubwürdi­gkeit muss sich auch in Sachen Impfstoffe beweisen.

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