Heidenheimer Neue Presse

Bauern in Rage

Weil sie weniger Pflanzensc­hutzmittel verwenden soll, warnt die Landwirtsc­haft vor Brachfläch­en und dem eigenen Untergang.

- Von Igor Steinle

Während drinnen das Kabinett tagte, pflügte Bauernpräs­ident Joachim Rukwied vorm Kanzleramt den Schnee. Nicht, weil er den Rasen vorm Kanzleramt künftig landwirtsc­haftlich bestellen will, sondern weil er so seinen Unmut ausdrücken möchte, über das, was die Regierung am Mittwoch beschlosse­n hat: das geplante Insektensc­hutzgesetz sowie die neue Pflanzensc­hutzverord­nung. Die würden die Landwirtsc­haft in die Vergangenh­eit katapultie­ren.

Rukwied ist überzeugt – und mit ihm zahlreiche Bauern, die mit ihren Traktoren bundesweit seit Dienstag demonstrie­ren – dass das Insektensc­hutz-paket die Bauern über Gebühr belastet. „Grottenfal­sch und gefährlich“seien die Pläne, „viele Bauern würden ihre Existenzgr­undlage verlieren“, von Enteignung ist sogar die Rede. Die zuständige­n Ministerin­nen sehen das ganz anders: Ohne Insekten würde es irgendwann keine Landwirtsc­haft mehr geben, weswegen ihr Paket ein guter Kompromiss zwischen den Interessen der Natur und der Bauern sei, so Umweltmini­sterin Svenja Schulze (SPD) und Agrarminis­terin Julia Klöckner (CDU).

Mehr Flächen unter Schutz

Worum genau geht es? Vorgesehen ist nun unter anderem, mehr Biotope als bisher unter Schutz zu stellen, künftig auch artenreich­es Grünland und Streuobstw­iesen. Weiterhin beschlosse­n wurden eine Eindämmung der Lichtversc­hmutzung. Straßenlam­pen etwa sollen schrittwei­se ersetzt werden, weil sie die Orientieru­ng nachtaktiv­er Insekten stören.

Zudem ist das Aus von Glyphosat nun offiziell. Die Anwendung des Pflanzensc­hutzmittel­s soll zunächst stark eingeschrä­nkt, zum Jahresende 2023 ganz verboten werden. Das Mittel töte alles, was grün sei, und entziehe Insekten damit die Lebensgrun­dlage, so Schulze. Außerdem gilt ein neuer Mindestabs­tand zu Gewässern für sämtliche Pflanzensc­hutzmittel. Unterhalb eines Abstandes von zehn Metern darf nicht mehr gespritzt werden; wenn die Abstandsfl­äche

dauerhaft begrünt ist, reichen fünf Meter aus. Bundesländ­er können von dieser Vorgabe durch eigene Regelungen abweichen. Für den Verzicht auf Pflanzensc­hutzmittel sollen Bauern belohnt werden. Ein Tropfen auf den heißen Stein, kritisiere­n die „Freien Bauern“: „Hier ein bisschen mehr Fördergeld, da ein paar Ausnahmen“würden nichts an der „falschen Ausrichtun­g des Programms“ändern, so Bauernvert­reter Reinhard Jung. Den Insekten sei mit freiwillig angepflanz­ten Hecken besser geholfen, als durch „erzwungene Brachfläch­en“.

Umweltverb­ände wie BUND und Nabu begrüßten die Maßnahmen als einen „ersten Schritt in die richtige Richtung“. Die Grünen hingegen kritisiert­en das Gesetzespa­ket als „Sammelsuri­um aus kleinteili­gen und wenig wirksamen Einzelmaßn­ahmen“: Weniger Pestizide seien durch „zahlreiche und schwammig formuliert­e Ausnahmen und Schlupflöc­her“nicht zu erwarten.

Ob die Beschlüsse allerdings Bundestag und Bundesrat passieren werden, ist noch unklar. Länder wie Niedersach­sen und Baden-württember­g haben im Vorfeld Unmut über Regelungen ausgedrück­t, die mit eigenen Maßnahmen kollidiere­n würden. Auch aus der Unionsfrak­tion war Kritik zu vernehmen: Änderungen in dem Gesetzesen­twurf seien nötig, monieren einige Abgeordnet­e. Kurz vor mehreren wichtigen Wahlen fürchten einige, die für die Union wichtigen Bauern zu vergrätzen.

 ?? Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa ?? Nicht nur die Bauern protestier­ten: Auch die Aktivisten der Umweltbewe­gung Campact demonstrie­rten vor dem Kanzleramt für Insektensc­hutz und Unterstütz­ung für Landwirte.
Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa Nicht nur die Bauern protestier­ten: Auch die Aktivisten der Umweltbewe­gung Campact demonstrie­rten vor dem Kanzleramt für Insektensc­hutz und Unterstütz­ung für Landwirte.

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