Heidenheimer Neue Presse

„Die Schnelltes­ts sind total wichtig“

Was die Tübinger Ärztin Lisa Federle von der Corona-strategie des Landes hält, warum sie Lockdown-lockerunge­n ist und wo sie Kraft für ihr Turbo-engagement tankt. für kontrollie­rte

- Von Alfred Wiedemann

Über Mittag schiebt sie den Termin schnell dazwischen fürs Interview per Telefon: Lisa Federle, Notärztin, Drk-kreisvorsi­tzende und Initiatori­n der Tübinger Corona-testaktion­en, die landauf, landab Schule machen. Die Zeit nehme sie sich gern, sagt Federle. Ihr sei wichtig, für mehr Schnelltes­ts zu werben. Und dafür, dass auch die Landesregi­erung auf mehr Tests setze.

Testen, testen, testen: Im Kreis Tübingen passiert das in Heimen schon seit April, gratis für alle seit November. Das Land setzt dagegen vor allem auf Tests bei Verdacht. Warum ist das Aufspüren der symptomlos Infizierte­n so wichtig? Lisa Federle:

Weil die meisten ja symptomlos infiziert sind, und von denen geht die größte Gefahr aus. Wenn jemand Krankheits­anzeichen hat, hält er sich in der Regel schon von allein zurück. Werden Infizierte ohne Symptome entdeckt, lassen sich Infektions­ketten unterbrech­en. Deshalb ist es total wichtig, viel zu testen.

Das Virus lasse sich nicht wegtesten, sagt Gesundheit­sminister Manne Lucha.

Das finde ich ziemlich unsinnig. Da kann ich auch sagen, ich brauche nicht zur Krebsvorso­rge, weil dadurch der Krebs auch nicht verschwind­et und auch mal was übersehen wird. Trotzdem ist beides sinnvoll: Krebsvorso­ge und Corona-schnelltes­ts.

Er sagt auch, zum Schutz der Heime gebe das Land alles.

Das ist völlig unglaubwür­dig. Schon im März 2020 habe ich systematis­che Tests in Heimen gefordert, im Oktober habe ich nochmals dazu aufgerufen. Es hat massiven Druck gebraucht, bis sich das Land langsam bewegt hat und die Heime endlich unterstütz­t hat.

Sie kritisiere­n den Grünen-politiker immer wieder. Würde Sie nicht reizen, selbst Luchas Job zu machen? Sie sind ja bei der Polit-konkurrenz, der CDU, aktiv?

Ich eigne mich für Krisen. Das war mit dem Arztmobil bei den Flüchtling­en 2015 so, das ist jetzt wieder so. Ich bin eine, die gern zupackt. Und ich liebe meinen Beruf als Ärztin und den Umgang mit meinen Patienten. Da kann ich ganz konkret helfen.

Für den Kreis Tübingen haben Sie mit viel Unterstütz­ung einen eigenen Weg durchgeset­zt. Kommunen können also selber auch machen. Warum machen es nicht mehr nach?

Es macht doch inzwischen Schule in vielen Landkreise­n. Ich bekomme praktisch pausenlos Anfragen von Landräten und anderen Verantwort­lichen, ich schaffe es nicht mehr, alle zu beantworte­n. Da wird nach dem Tübinger Konzept gefragt oder nach Bezugsquel­len für Schnelltes­ts. Gerade hat eine bayerische Landtagsab­geordnete angefragt, ob ich nicht in ihren Landkreis kommen und das Konzept erklären kann, sie wollen es sofort umsetzen. Vor lauter Anfragen komme ich kaum noch zu meiner Arbeit, ich bin ja Notärztin, habe eine Praxis.

Vielleicht ist auch nur in Tübingen denkbar, für 100 000 Euro Schnelltes­ts zu bestellen, ohne zu wissen, wer’s bezahlt. Die Unterstütz­ung von Seiten der Politik, der örtlichen Zeitung „Schwäbisch­es Tagblatt“, von vielen Engagierte­n ist schon besonders.

Einfach so bestellt habe ich ja nicht, ich wusste von Anfang an, ich habe maximale Unterstütz­ung von Landrat Joachim Walter. Ich wusste, der lässt mich nicht im Stich. Das Sozialmini­sterium hat mich dagegen im Frühjahr, als unklar war, wer die Tests in Pflegeheim­en bezahlt, abgespeist, die Kosten würden nicht übernommen, nur bei Bewohnern mit Symptomen. Als im Herbst die Schnelltes­ts freigegebe­n wurden, habe ich noch in der Nacht bestellt. Innerhalb von fünf Stunden hatte ich die Zusagen der Bürgermeis­ter und Oberbürger­meister im Kreis, auch von OB Palmer, dem der Schutz der Heime ebenfalls ein großes Anliegen ist. Beim Sozialmini­sterium, das die Tests in größeren Mengen sicher billiger bekommen hätte, bin ich wieder abgeblitzt. Erst später hat das Ministeriu­m wenigstens teilweise eingelenkt.

Wird es die kostenlose­n Tests in Tübingen weiter geben?

Ja. Dass Tübingen Ende Januar der erste Landkreis im Südwesten war mit einer 7-Tage-inzidenz unter 50, ist auch auf dieses Angebot zurückzufü­hren. 300 Menschen haben wir seit November herausgefi­scht, die sonst andere angesteckt hätten. Alles asymptomat­isch, die mit Symptomen haben wir sofort in die Fieberambu­lanz geschickt.

Wie sinnvoll sind die bald verfügbare­n Schnelltes­ts für daheim?

Die finde ich momentan nicht so sinnvoll. Bei unserem Test-angebot, das wir fünf- bis sechsmal in der Woche machen, sind manche positiv Getesteten total geschockt. Manche sind aber auch so lässig, dass fraglich ist, ob sie ihr Ergebnis dem Gesundheit­samt melden, wenn sie den Test daheim machen. Wir können aber Geschockte­n helfen, und wir melden jeden Positiven dem Gesundheit­samt und schicken ihn sofort zum PCR-TEST.

Was halten Sie von der Befürchtun­g, dass eine schlimme dritte Welle droht wegen Mutationen und möglicher Lockerunge­n?

Ich bin nicht für unkontroll­ierte Lockerunge­n. Ich bin Ärztin, und ich bin überzeugt davon, dass wir die Menschen beschützen müssen. Es gibt inzwischen aber so viele Kollateral­schäden, dass der Lockdown in absehbarer Zeit

Vor lauter Anfragen komme ich kaum noch zu meiner Arbeit.

Die Dankbarkei­t der Menschen gibt mir enorm viel Kraft.

kontrollie­rt gelockert werden sollte – wenn es möglich ist, damit sich die psycho-sozialen, wirtschaft­lichen und kulturelle­n Schäden nicht noch weiter vergrößern. Man darf nicht vergessen: Wir haben nicht nur Tote in Heimen, wir haben zunehmend auch Leute, die depressiv sind, die Angststöru­ngen entwickeln. Ich bekomme auch Mails von Menschen, die wirklich Panik haben vor Corona. Auch an die Kinder muss man denken, an die familiären Auswirkung­en, an Unternehme­r, die bankrottge­hen, das hat alles Riesenausw­irkungen.

Alle sind geschlauch­t im Coronatunn­el. Wo holen Sie die Kraft für Ihr Turbo-engagement her?

Ich bin jemand, der es gewohnt ist, schnell zuzupacken. Wenn ich als Notärztin einen schweren Einsatz nach dem anderen fahre, komme ich auch nicht zum Mittagesse­n. Die andere Seite ist: Ich habe eine supertolle Familie, ich wohne mit ältestem Sohn und Schwiegert­ochter im gleichen Haus, habe Enkelkinde­r, wir haben ein super Verhältnis, auch mit meinen anderen Kindern. Da hole ich mir sehr viel Kraft. Auch die Dankbarkei­t der Menschen gibt mir enorm viel Kraft, die tausenden Zuschrifte­n und Überraschu­ngen wie die, dass mir ein bekannter Künstler anbietet, dass ich mir eines seiner Bilder aussuchen darf. Oder die ältere Frau aus dem Schwarzwal­d, die erzählt, dass ihr Mann die Gratulante­n darum bat, für das Arztmobil zu spenden, statt ihm Geschenke zu machen. Das ist rührend. Tausende solcher Sachen könnte ich aufzählen. Da erlebt man viel Anerkennun­g, da freue ich mich natürlich darüber.

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Foto: Tom Weller/dpa Lisa Federle: Die bald verfügbare­n Tests für daheim sind nicht so sinnvoll.

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