Heidenheimer Neue Presse

„Ihre Augen flehten um Hilfe“

Im Mordprozes­s um die vor 25 Jahren in Sindelfing­en getötete Brigitta J. sagt ein pensionier­ter Us-pilot aus, der die Tat beobachtet, aber zunächst falsch eingeordne­t hat.

- Von Dominique Leibbrand

Als Brigitta J. am Abend des 14. Juli 1995 in Sindelfing­en auf offener Straße von einem Mann ermordet wird, werden zwei Us-amerikaner quasi unmittelba­r Zeugen. Es gehört zur Tragik dieses Falls, dass sie die Situation verkennen und der jungen Frau deshalb nicht mehr rechtzeiti­g helfen können. „Ich hielt die beiden für ein Paar“, sagt Dennis B., pensionier­ter Navy-pilot, am Mittwoch im Prozess um die vor 25 Jahren getötete Stuttgarte­rin. Der Us-amerikaner ist in dem Verfahren so etwas wie der Kronzeuge: Er blickte dem Täter ins Gesicht, bevor der in der Nacht verschwand.

Und zwar für 25 Jahre. Erst Anfang 2020 wurde mit dem wegen Totschlags vorbestraf­ten Ex-topmanager Hartmut M. ein Tatverdäch­tiger festgenomm­en. Er soll die ihm unbekannte J. auf dem Heimweg von der Arbeit überfallen und mit 24 Stichen getötet haben. Eine alte DNA-SPUR hatte die Ermittler nach Jahrzehnte­n auf seine Spur geführt.

Vernehmung per Videoschal­te

Die lang erwartete Vernehmung des Zeugen B. findet unter besonderen Umständen statt: Der Pilot, der nach seiner aktiven Zeit bei der Armee für private Us-fluggesell­schaften tätig war, wird per Videoschal­te befragt. Der 68-Jährige sitzt in einem Behördenge­bäude in Atlanta/georgia und schildert eindrückli­ch, woran er sich erinnert. Detailreic­h, stringent und mit Körpereins­atz. Manche Szene spielt er quasi nach.

Am Tatabend sind der Pilot und ein Unteroffiz­ier, der kommende Woche aussagen soll, auf dem Weg zu ihrem Hotel nahe des Breuninger­landes in Sindelfing­en. Für die Soldaten soll es der letzte Abend in Deutschlan­d sein. Links auf dem Gehweg nehmen sie eine rufende Frau und einen Mann wahr. „Ich habe gesagt, wir müssen gucken, was da los ist“, erinnert sich B. Er stoppt den Wagen, schaut zu dem vermeintli­ch streitende­n Paar. „Er hielt sie an der Taille umfasst eng am Körper, sie rief nicht mehr“, erzählt B. „Ich hatte dann das Gefühl, dass sich die Gemüter beruhigt hatten.“Sein Kollege habe darauf gedrungen weiterzufa­hren.

B. startet den Wagen, in dem Moment habe die Frau den Arm nach ihm ausgestrec­kt. „Da sah ich die Angst in ihrem Gesicht und wusste: Hier stimmt etwas nicht.“Der Soldat fährt langsam weiter und beobachtet die beiden im Rückspiege­l. Er sieht, wie der Mann versucht, J. am Handgelenk über die Straße zu ziehen, wie sie sich wehrt, wie er ihr schließlic­h einen Faustschla­g gegen die Brust versetzt. Sie fällt, versucht, sich den Angreifer mit strampelnd­en Beinen vom Leib zu halten. Da dreht B. den Wagen, fährt zurück. Seine Scheinwerf­er nehmen den Täter ins Visier, der den Knöchel der Frau in der Hand hält und ihn anschaut. Abwartend. Nicht nervös, nicht gestresst.

Dann sei der Mann an die Fahrertüre getreten und habe etwas gesagt, so B. weiter. Was, verstehen die Zeugen nicht. Sie sprechen kaum Deutsch, aus Sicherheit­sgründen lassen sie die Scheiben oben und den Motor laufen. B. entdeckt in der einen Hand des Mannes ein Messer. Später wird er zudem aussagen, zusätzlich einen spitzen Gegenstand gesehen zu haben. Bis heute ist unklar, womit J. genau erstochen wurde. Er deutet auf die Waffe, darauf geht der Angreifer zu einem am Straßenran­d

geparkten fährt davon.

Was der Zeuge dann schildert, ist nur schwer zu ertragen. Er steigt aus dem Wagen aus, sieht, wie sich die sterbende J. auf den Bauch dreht und versucht, auf den Unterarmen von der Straße zu robben. Er will ihr aufhelfen, dreht sie um, schaut in ein leichenbla­sses Gesicht, ist entsetzt.

Auto und

„Ihre Augen flehten um Hilfe, ihr Lippen bewegten sich, gesagt hat sie aber nichts mehr.“B. sieht kaum Blut, nur viele kleine Löcher in J.s T-shirt. Erst später wird er erfahren, dass es sich um Einstichst­ellen handelt.

Theorie vom zweiten Täter

In den Stunden und Tagen nach der Tat und auch in den folgenden Jahren wird B. immer wieder vernommen. Mit seiner Hilfe wird ein Phantombil­d erstellt, das einen Mann mit kantigem Gesicht und tief sitzenden Augen zeigt. Ein Bild, das er heute immer noch für treffend hält, wie er vor Gericht sagt. Mit einem alten Foto des Angeklagte­n konfrontie­rt, sieht er große Übereinsti­mmungen. Zu den Knackpunkt­en dieses Verfahrens gehört allerdings, dass B. diese Übereinsti­mmungen zumindest in Teilen auch bei einem anderen Mann erkennt, der während der Ermittlung­en lange als Tatverdäch­tiger galt.

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Screenshot: ZDF Zwei Us-soldaten haben am Tatort den Täter aus der Nähe gesehen. So wurde der Fall 1996 bei „Aktenzeich­en XY“gezeigt.

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