Atteste aus Gefälligkeit?
Corona Immer wieder stehen Ärzte im Verdacht, Patienten ohne triftige medizinische Gründe vom Tragen der Masken zu befreien. Auch im Landkreis kursieren Gerüchte. Welche Kriterien gelten?
Gibt es an der Waldorfschule auffällig viele Kinder, die von der Maskenpflicht befreit sind? Und sind es überwiegend dieselben Ärzte im Landkreis, die solche Atteste ausstellen? Mit diesen Fragen wurde die HZ unlängst konfrontiert. Was ist dran an den Vorwürfen?
Laut Guntram Holzwarth, Geschäftsführer des Vereins Freie Waldorfschule Heidenheim, ist die Antwort auf die erste Frage: nein. „Die seit fünf Monaten bestehende Maskenpflicht wird an der Waldorfschule umgesetzt. Aber wie an allen Schulen gibt es auch bei uns Befreiungen.“Und dort, wo einzelne Maskenbefreiungen vorlägen, achte man besonders auf Abstands- und Hygieneregeln. „Außerdem wird selbstverständlich regelmäßig gelüftet und ergänzend sind Luftfilter im Einsatz.“
In der Notbetreuung sind laut Guntram Holzwarth an der Waldorfschule derzeit rund 30 Prozent der Kinder angemeldet, insbesondere aus der Unterstufe bzw. Grundschule. „In diesem Altersbereich besteht bislang keine Maskenpflicht, aber es steht den Kindern natürlich frei, eine Maske zu tragen.“Die Notbetreuung finde in kleinen, konstant zusammengesetzten Gruppen statt. Zu den medizinischen Gründen, die in den Attesten der Waldorfschüler genannt sind, kann Holzwarth aus Gründen des Datenschutzes keine Angaben machen. „Die Kriterien, unter welchen Voraussetzungen eine solche Befreiung möglich ist, sind aber in der Corona-verordnung klar beschrieben und geregelt und finden entsprechende Anwendung.“
Tatsächlich findet man in der Corona-verordnung des Landes allerdings keine klaren Voraussetzungen für eine ärztliche Befreiung vom Tragen der Maske. Was gilt also? Laut Dr. Jörg Sandfort, Hausarzt in Steinheim und Vorsitzender der Kreisärzteschaft, ist es natürlich möglich, dass ein Arzt dem Patienten attestiert, dass ihm aus medizinischen Gründen das Tragen einer Maske nicht möglich oder zumutbar ist. „Aber dazu braucht es eine schwere Grunderkrankung. Es braucht einen triftigen Grund, um ein solches Attest auszustellen.“
Schwere Erkrankungen als Grund
Und laut Sandfort muss konkret benannt werden können, weswegen das Tragen der Maske unzumutbar sei. Beispiele wären eine Verschlechterung einer schweren Lungen- oder Herzerkrankung mit Zunahme der Beschwerden oder Abfall der Sauerstoffsättigung durch das Tragen der Maske. „Ein weiterer Grund wäre eine Demenz, weil die Patienten die Maske nicht aufbehalten und nicht verstehen, warum sie getragen werden soll.“
In einem Statement zur Ausstellung von Masken-attesten formuliert die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Baden-württemberg die Voraussetzungen dafür so: „Das Tragen einer Mundnase-bedeckung im Sinne der Corona-verordnung muss mit dem Risiko einer erheblichen Verschlechterung der Gesundheit des Patienten verbunden sein, um von der Pflicht zum Tragen einer solchen befreit zu sein.“
Keine medizinische Begründung
Was sich nach einer recht stringenten Regelung anhört, erweist sich bei näherem Hinsehen dann aber doch als Ermessenssache. Die KV bietet für Ärzte auf ihrer Homepage ein Muster-attest zum Download an. Darauf heißt es: „Hiermit bestätige ich, dass es für den Patienten oder die Patientin aus medizinischen Gründen unmöglich oder unzumutbar ist, eine nicht-medizinische Alltagsmaske oder eine vergleichbare Mund-nasen-bedeckung im Sinne der Corona-verordnung des Landes Baden-württemberg zu tragen.“Vom Arzt einzutragen sind der Name und das Geburtsdatum des Patienten, das Datum, ein Arztstempel und seine Unterschrift. Für die Indikation, also die Begründung für das Attest, ist ein Feld vorgesehen. Darunter findet sich allerdings der Hinweis: „ggf. weitere Angaben“.
Das heißt also, dass ein Arzt keine Angaben zu den medizinischen Gründen machen muss? „Dieser Zusatz auf dem Formular kann von Ärzten so interpretiert werden“, bestätigt Jörg Sandfort. Der Grund für diesen Zusatz liegt im Datenschutz. „Der Patient muss zustimmen, dass die Erkrankung eingetragen wird und den Arzt von der Schweigepflicht befreien.“
Razzien bei Ärzten
Regelmäßig finden deutschlandweit Razzien bei Ärzten statt, die mutmaßlich falsche Atteste ausgestellt haben. „Teilweise wurde im Internet mit dem Ausstellen von Befreiungen geworben“, sagt Sandfort. „Die Atteste wurden von den Ärzten ausgestellt, ohne die Patienten zu sehen. Das geht natürlich gar nicht.“Wird allerdings nicht öffentlich dafür geworben, haben Ärzte wohl meist wenig zu befürchten. „Wenn in einer Praxis aber auffällig viele Befreiungen ausgestellt werden, ist natürlich die Frage, ob es sich um Gefälligkeitsatteste handelt“, sagt Sandfort. „Und damit macht sich ein Arzt strafbar.“
Laut Wolfgang Jürgens vom Polizeipräsidium Ulm könnten mögliche Straftatbestände insbesondere die Fälschung und die Ausstellung unrichtiger Gesundheitszeugnisse im Sinne der Paragrafen 277 bis 278 des Strafgesetzbuchs sein. „Darauf stehen Freiheitsstrafen oder Geldstrafen. Bislang wurden uns aber keine Anzeigen gegen Ärzte wegen dieser Tatbestände bekannt.“
Strafe für die Benutzung
Auch kann laut der Kassenärztlichen Vereinigung das Ausstellen unrichtiger ärztlicher Bescheinigungen wider besseres Wissen berufsrechtlich geahndet werden. Und nicht nur dem Arzt droht eine Strafe, wenn er ein falsches Attest ausstellt, sondern auch der Person, die weiß, dass sie ein falsches Attest benutzt. Hier geht es um den Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse, was nach Paragraph 279 des Strafgesetzbuches ebenfalls eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr nach sich ziehen kann.
Und wie häufig werden im Landkreis Heidenheim Atteste vorgezeigt? „Bei unseren Kontrollen prüft die Polizei, ob Personen, die keinen Mund-nasen-schutz tragen, einen solchen tragen müssten“, erklärt Wolfgang Jürgens. „Im Regelfall ist das so, die Personen zeigen sich einsichtig und setzen eine Maske auf.“
Die HZ hatte kürzlich den Hinweis erhalten, dass es vorrangig zwei Ärzte im Landkreis sein sollen, die Atteste (ohne Indikation) ausstellen – eine Praxis in Heidenheim und eine in Herbrechtingen. Ob dem tatsächlich so ist, kann die Polizei nicht beantworten. „Wenn Personen ein Attest vorzeigen und keine Hinweise erkennbar ist, dass mit diesem Attest etwas nicht stimmt, trifft die Polizei keine weiteren Maßnahmen.“
Das sei weder erforderlich noch zulässig.
Die Diagnose bleibt
Dennoch, mit einem Gefälligkeitsgutachten erweist ein Arzt seinem Patienten nicht zwangsläufig einen Gefallen. Jörg Sandfort: „Stellt ein Kassenarzt ein Attest aus, bedarf es der Diagnose einer bestehenden, schweren Erkrankung. Und diese Diagnose bleibt in der Patientenakte.“
Und das kann wiederum auf Versicherungen langfristig negative Folge haben. „Wenn man Jahre später etwa eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen will, wird vom Versicherer Selbstauskunft verlangt und beim Arzt Akteneinsicht angefragt“, so Sandfort. „Das kann bei der Versicherung zu Ablehnung oder Zuschlägen führen, weil in der Vergangenheit eine schwere Erkrankung diagnostiziert wurde.“
Der Patient muss zustimmen, dass die Erkrankung auf dem Attest eingetragen wird.
Die Maskenpflicht wird an der Waldorfschule umgesetzt. Aber wie an allen Schulen gibt es auch bei uns Befreiungen. Guntram Holzwarth Waldorfschule Heidenheim