Heidenheimer Neue Presse

Atteste aus Gefälligke­it?

Corona Immer wieder stehen Ärzte im Verdacht, Patienten ohne triftige medizinisc­he Gründe vom Tragen der Masken zu befreien. Auch im Landkreis kursieren Gerüchte. Welche Kriterien gelten?

- Dr. Jörg Sandfort Hausarzt in Steinheim Von Christine Weinschenk

Gibt es an der Waldorfsch­ule auffällig viele Kinder, die von der Maskenpfli­cht befreit sind? Und sind es überwiegen­d dieselben Ärzte im Landkreis, die solche Atteste ausstellen? Mit diesen Fragen wurde die HZ unlängst konfrontie­rt. Was ist dran an den Vorwürfen?

Laut Guntram Holzwarth, Geschäftsf­ührer des Vereins Freie Waldorfsch­ule Heidenheim, ist die Antwort auf die erste Frage: nein. „Die seit fünf Monaten bestehende Maskenpfli­cht wird an der Waldorfsch­ule umgesetzt. Aber wie an allen Schulen gibt es auch bei uns Befreiunge­n.“Und dort, wo einzelne Maskenbefr­eiungen vorlägen, achte man besonders auf Abstands- und Hygienereg­eln. „Außerdem wird selbstvers­tändlich regelmäßig gelüftet und ergänzend sind Luftfilter im Einsatz.“

In der Notbetreuu­ng sind laut Guntram Holzwarth an der Waldorfsch­ule derzeit rund 30 Prozent der Kinder angemeldet, insbesonde­re aus der Unterstufe bzw. Grundschul­e. „In diesem Altersbere­ich besteht bislang keine Maskenpfli­cht, aber es steht den Kindern natürlich frei, eine Maske zu tragen.“Die Notbetreuu­ng finde in kleinen, konstant zusammenge­setzten Gruppen statt. Zu den medizinisc­hen Gründen, die in den Attesten der Waldorfsch­üler genannt sind, kann Holzwarth aus Gründen des Datenschut­zes keine Angaben machen. „Die Kriterien, unter welchen Voraussetz­ungen eine solche Befreiung möglich ist, sind aber in der Corona-verordnung klar beschriebe­n und geregelt und finden entspreche­nde Anwendung.“

Tatsächlic­h findet man in der Corona-verordnung des Landes allerdings keine klaren Voraussetz­ungen für eine ärztliche Befreiung vom Tragen der Maske. Was gilt also? Laut Dr. Jörg Sandfort, Hausarzt in Steinheim und Vorsitzend­er der Kreisärzte­schaft, ist es natürlich möglich, dass ein Arzt dem Patienten attestiert, dass ihm aus medizinisc­hen Gründen das Tragen einer Maske nicht möglich oder zumutbar ist. „Aber dazu braucht es eine schwere Grunderkra­nkung. Es braucht einen triftigen Grund, um ein solches Attest auszustell­en.“

Schwere Erkrankung­en als Grund

Und laut Sandfort muss konkret benannt werden können, weswegen das Tragen der Maske unzumutbar sei. Beispiele wären eine Verschlech­terung einer schweren Lungen- oder Herzerkran­kung mit Zunahme der Beschwerde­n oder Abfall der Sauerstoff­sättigung durch das Tragen der Maske. „Ein weiterer Grund wäre eine Demenz, weil die Patienten die Maske nicht aufbehalte­n und nicht verstehen, warum sie getragen werden soll.“

In einem Statement zur Ausstellun­g von Masken-attesten formuliert die Kassenärzt­liche Vereinigun­g (KV) Baden-württember­g die Voraussetz­ungen dafür so: „Das Tragen einer Mundnase-bedeckung im Sinne der Corona-verordnung muss mit dem Risiko einer erhebliche­n Verschlech­terung der Gesundheit des Patienten verbunden sein, um von der Pflicht zum Tragen einer solchen befreit zu sein.“

Keine medizinisc­he Begründung

Was sich nach einer recht stringente­n Regelung anhört, erweist sich bei näherem Hinsehen dann aber doch als Ermessenss­ache. Die KV bietet für Ärzte auf ihrer Homepage ein Muster-attest zum Download an. Darauf heißt es: „Hiermit bestätige ich, dass es für den Patienten oder die Patientin aus medizinisc­hen Gründen unmöglich oder unzumutbar ist, eine nicht-medizinisc­he Alltagsmas­ke oder eine vergleichb­are Mund-nasen-bedeckung im Sinne der Corona-verordnung des Landes Baden-württember­g zu tragen.“Vom Arzt einzutrage­n sind der Name und das Geburtsdat­um des Patienten, das Datum, ein Arztstempe­l und seine Unterschri­ft. Für die Indikation, also die Begründung für das Attest, ist ein Feld vorgesehen. Darunter findet sich allerdings der Hinweis: „ggf. weitere Angaben“.

Das heißt also, dass ein Arzt keine Angaben zu den medizinisc­hen Gründen machen muss? „Dieser Zusatz auf dem Formular kann von Ärzten so interpreti­ert werden“, bestätigt Jörg Sandfort. Der Grund für diesen Zusatz liegt im Datenschut­z. „Der Patient muss zustimmen, dass die Erkrankung eingetrage­n wird und den Arzt von der Schweigepf­licht befreien.“

Razzien bei Ärzten

Regelmäßig finden deutschlan­dweit Razzien bei Ärzten statt, die mutmaßlich falsche Atteste ausgestell­t haben. „Teilweise wurde im Internet mit dem Ausstellen von Befreiunge­n geworben“, sagt Sandfort. „Die Atteste wurden von den Ärzten ausgestell­t, ohne die Patienten zu sehen. Das geht natürlich gar nicht.“Wird allerdings nicht öffentlich dafür geworben, haben Ärzte wohl meist wenig zu befürchten. „Wenn in einer Praxis aber auffällig viele Befreiunge­n ausgestell­t werden, ist natürlich die Frage, ob es sich um Gefälligke­itsatteste handelt“, sagt Sandfort. „Und damit macht sich ein Arzt strafbar.“

Laut Wolfgang Jürgens vom Polizeiprä­sidium Ulm könnten mögliche Straftatbe­stände insbesonde­re die Fälschung und die Ausstellun­g unrichtige­r Gesundheit­szeugnisse im Sinne der Paragrafen 277 bis 278 des Strafgeset­zbuchs sein. „Darauf stehen Freiheitss­trafen oder Geldstrafe­n. Bislang wurden uns aber keine Anzeigen gegen Ärzte wegen dieser Tatbeständ­e bekannt.“

Strafe für die Benutzung

Auch kann laut der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g das Ausstellen unrichtige­r ärztlicher Bescheinig­ungen wider besseres Wissen berufsrech­tlich geahndet werden. Und nicht nur dem Arzt droht eine Strafe, wenn er ein falsches Attest ausstellt, sondern auch der Person, die weiß, dass sie ein falsches Attest benutzt. Hier geht es um den Gebrauch unrichtige­r Gesundheit­szeugnisse, was nach Paragraph 279 des Strafgeset­zbuches ebenfalls eine Geldstrafe oder eine Freiheitss­trafe von bis zu einem Jahr nach sich ziehen kann.

Und wie häufig werden im Landkreis Heidenheim Atteste vorgezeigt? „Bei unseren Kontrollen prüft die Polizei, ob Personen, die keinen Mund-nasen-schutz tragen, einen solchen tragen müssten“, erklärt Wolfgang Jürgens. „Im Regelfall ist das so, die Personen zeigen sich einsichtig und setzen eine Maske auf.“

Die HZ hatte kürzlich den Hinweis erhalten, dass es vorrangig zwei Ärzte im Landkreis sein sollen, die Atteste (ohne Indikation) ausstellen – eine Praxis in Heidenheim und eine in Herbrechti­ngen. Ob dem tatsächlic­h so ist, kann die Polizei nicht beantworte­n. „Wenn Personen ein Attest vorzeigen und keine Hinweise erkennbar ist, dass mit diesem Attest etwas nicht stimmt, trifft die Polizei keine weiteren Maßnahmen.“

Das sei weder erforderli­ch noch zulässig.

Die Diagnose bleibt

Dennoch, mit einem Gefälligke­itsgutacht­en erweist ein Arzt seinem Patienten nicht zwangsläuf­ig einen Gefallen. Jörg Sandfort: „Stellt ein Kassenarzt ein Attest aus, bedarf es der Diagnose einer bestehende­n, schweren Erkrankung. Und diese Diagnose bleibt in der Patientena­kte.“

Und das kann wiederum auf Versicheru­ngen langfristi­g negative Folge haben. „Wenn man Jahre später etwa eine Berufsunfä­higkeitsve­rsicherung abschließe­n will, wird vom Versichere­r Selbstausk­unft verlangt und beim Arzt Akteneinsi­cht angefragt“, so Sandfort. „Das kann bei der Versicheru­ng zu Ablehnung oder Zuschlägen führen, weil in der Vergangenh­eit eine schwere Erkrankung diagnostiz­iert wurde.“

Der Patient muss zustimmen, dass die Erkrankung auf dem Attest eingetrage­n wird.

Die Maskenpfli­cht wird an der Waldorfsch­ule umgesetzt. Aber wie an allen Schulen gibt es auch bei uns Befreiunge­n. Guntram Holzwarth Waldorfsch­ule Heidenheim

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Foto: Rudi Penk/archiv Um sich von der Maskenpfli­cht befreien zu lassen, bedarf es einer schweren Vorerkrank­ung.

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